Roman Jakobson

Egal ob Literatur- oder Sprachwissenschaft, niemand kommt in diesen Bereichen an Roman Jakobson vorbei. Er gilt als einer der bekanntesten Linguisten.

Roman Ossipowitsch Jakobson wurde am 23. Oktober 1896  als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren und wuchs mit zwei Brüdern in Moskau auf. Dort studierte er Slawistik und schloss sich dem literaturtheorischen Kreis der russischen Formalisten an, der sich ab 1915 bildete. In der Zeit seines Studiums beschäftigte Jakobson sich auch mit neuen Medien wie dem Film und der Strömung des Futurismus. 1918 erwarb er seinen Magister und arbeitete danach zwei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Moskauer Universität.

Ab 1920 lebte und arbeitete er in Prag, im diplomatischen Dienst. In den folgenden Jahren pflegte er eine enge Verbindung zu Nikolai Trubetzkoy, der in Wien lebte. 1926 gründete Jakobson mit anderen zusammen den Linguistischen Kreis in Prag und wirkte bis 1939 als ihr Vizepräsident. Zusätzlich lehrte er seit 1933 als Professor in Brünn, musste aber vor den Deutschen fliehen, die 1939 in die Tschechoslowakei einmarschierten. Sein Weg führte über Dänemark und Norwegen nach Schweden, wo er jeweils kleine Gastprofessuren übernahm. Ab 1942 lebte und lehrte er in New York und Harvard als Professor für Linguistik, Slawistik und Bohemistik. Bis 1967 wirkte er als Dozent, ging dann in den Ruhestand, forschte und schrieb jedoch weiter.

Seine frühen Forschungen im Bereich des Strukturalismus erarbeite er zusammen mit Trubetzkoy, der bereits 1938 starb. Sie interessierten sich vor allem für den Bereich der Phonologie und beschrieben die Grundlagen phonologischer Gesetzmäßigkeiten. Aus dieser Forschung entwickelte Jakobson seine Theorien im Bereich des kindlichen Spracherwerbs und der Sprachpathologien z.B. bei Aphasie. Noch heute gelten viele seiner Erkenntnisse und Theorien als aktuell. Ein für Sprachwissenschaftler*innen wichtiger Aspekt von Jakobsons Arbeit ist die Weiterentwicklung des Kommunikationsmodells, beruhend auf dem Modell von Bühler, dass er nicht direkt neu erschafft, sondern weiterentwickelt hat. Die Erkenntnisse seiner phonologischen Forschung legte den Grundstein für unser heutiges Verständnis wie Sprache funktioniert.

Dabei zeigt sich, dass es keine scharfe Trennung zwischen Sprache, Literatur oder Poesie gibt. Sie bedingen einander und sollten deshalb auch nicht isoliert betrachtet werden. Ein Schlagwort ist z.B. die ‚poetische Funktion der Sprache‘ oder ‚Poetizität‘, was Literaturliebhabern bekannt vorkommen dürfte. Die Verknüpfung der Sprachwissenschaft mit Literatur und Kunst, die er in Schriften und in der Lehre aufzeigt, verweisen auf Jakobsons großes interdisziplinäres Wissen.

Er schreibt und publiziert in verschiedenen Sprachen, zu ganz unterschiedlichen Themen, aber immer interdisziplinär gesehen, so dass viele Fachrichtungen unter seinem Namen vereint arbeiten können. Das ist ein wichtiger Schritt, denn zu oft noch schauen wir als Menschen ungern über unseren Tellerrand oder bewerten andere Fachgebiete schlechter oder als weniger wertvoll als unser eigenes.

Als Roman Jakobson am 18. Juli 1982 in Boston starb, hinterließ er der Welt eine Unmenge an Wissen, festgehalten in seinen zahlreichen Veröffentlichungen. Und noch heute werden seine Theorien gelehrt und haben nichts an ihrer Allgemeingültigkeit verloren.

Quellen

Birus, Hendrik. Roman Jakobson. In: Matías Martínez, Michael Scheffel (Hrsg.): Klassiker der modernen Literaturtheorie. Von Sigmund Freud bis Judith Butler (= Beck’sche Reihe. 1822). Beck, München 2010

Jakobson, Roman. Linguistik und Poetik, in: Jens Ihwe (Hg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven, Frankfurt/M. 1971

Bildquelle:

Von Philweb Bibliographical Archive – http://www.phillwebb.net/history/Twentieth/Continental/(Post)Structuralisms/Structuralism/Jakobson/Jakobson3.jpg, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16924084

Rumänisch

Das rumänischsprachige Kerngebiet liegt inmitten des Balkansprachbundes, in der viele Sprachen unterschiedlicher Familien wie Griechisch, Albanisch oder Mazedonisch liegen. Sie grenzen mit ihren Sprachgebieten zwar aneinander, sind aber nicht oder nur entfernt verwandt, was ungewöhnlich ist.

In Rumänien und Moldau ist Rumänisch Amtssprache, Regionalsprache in Teilen Serbiens und Griechenlands und seit 2007 auch eine der Amtssprachen der EU. Rumänisch hat etwa 20 Mio. Muttersprachler in Rumänien, ca.3 Mio. in Moldau und etwa 1,5 Mio. außerhalb dieser beiden Länder. Das heutige Rumänisch als Standardsprache bezieht sich eigentlich auf das Dakorumänische, das zusammen mit Aromunisch, Meglenorumänisch, Istrorumänisch und Dalmatisch (ausgestorben) die Gruppe der balkanromanischen Sprachen bildet.  Es ist die östlichste romanische Sprache in der romanischen Sprachfamilie, die großen „Geschwister“ Französisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch liegen weit entfernt. Das hat historische Gründe: In den römischen Provinzen Dakien und Moesien, die an der Donau liegen, wurde Latein gesprochen. Daraus entwickelte sich zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert, räumlich getrennt von der Sprachfamilie, das Rumänische, mit vielen Einflüssen der anderen Sprachen des Balkansprachenbundes, vor allem slawische.

Als ältestes schriftliches Dokument in rumänischer Sprache wird der Brief des Neacșu aus Câmpulung aus dem 16. Jahrhundert angesehen. Anders als viele Sprachen des Balkansprachbundes schreibt man das Rumänische heute in lateinischer Schrift. Bis 1862 galt aber die kyrillische Schrift, die Änderungen zur lateinischen Schrift wurde von der Rumänischen Akademie 1881 mit einer Reform der Schreibung zugunsten des phonetischen Prinzips durchgesetzt, wobei davon in den letzten drei Jahrzehnten wieder abgewichen wurde. Eine einheitliche Orthografie ist trotz offizieller Richtlinien noch nicht überall der Standard. Buchstaben, die es im deutschen Alphabet nicht gibt: <ă, â, î, ș, ț>.

Das Phoneminventar besteht aus 33 Phonemen: 7 Vokalen, 2 Halbvokalen, 2 Halbkonsonanten (aus Halbvokalen und -konsonanten entstehen zahlreiche Diph- und Triphthonge) und 22 Konsonanten. Der Wortakzent ist sehr dynamisch, die Regeln besitzen jedoch jede Menge Ausnahmen.

Entgegen den anderen romanischen Sprachen besitzt das Rumänische noch Teile von Kasusdeklinationen, außerdem theoretisch ein neutrales Genus, jedoch ohne eigene Form. Ungewöhnlich ist die Tatsache, dass der Artikel hinter dem Substantiv steht, das ist in romanischen Sprachen ungewöhnlich. Die Verben werden in zwei Konjugationsklassen aufgeteilt, Ausnahmen bilden ein paar Auxiliarverben. Außerdem verwendet das Rumänische sowohl analytische als auch synthetische Verbformen. Allgemein gilt die Wortstellung Subjekt-Verb-Objekt, aber ähnlich wie im Lateinischen gibt es viele Möglichkeiten zur Umstellung der Satzglieder.

Der größte Teil des Wortschatzes stammt aus dem Lateinischen, aber die starken Einflüsse der umgebenden Sprachen sind unverkennbar. Die rumänische Sprache nimmt ohne Probleme Lehnwörter auf. Mindestens 10% des Wortschatzes sind slawischen Ursprungs (unterschiedlich viel aus verschiedenen slawischen Sprachen) z.B. ‚corenie‘ – ‚Ursprung, Familie‘, kleinere Anteile aus dem Türkischen z.B. ‚cioban‘ – ‚Hirte‘, Griechischen z.B. ‚proaspăt‘ – ‚frisch‘, Albanischen z.B. ‚gata‘ – ‚fertig, bereit‘, Ungarischen z.B. ‚oraș‘ – ‚Stadt‘  und Deutschen z.B. ‚pantof‘ – ‚Schuh‘ , was oft an der geografischen Nähe der Sprachen liegt oder an historischen Gegebenheiten wie Herrschaftsgebiete oder Ansiedlungen von fremden Siedlern. Die stetige Einflussnahme des Russischen im 18. Jahrhundert bis zum Ende des Kalten Krieges hinterließ deutliche Spuren. Je nach Region zeigen sich die sprachlichen Einflüsse aus den verschiedenen Sprachen als Regiolekte, nicht alle haben es bis in das Standardrumänisch geschafft. Mittlerweile nimmt auch die Übernahme von Anglizismen zu, wie überall.

Die Überschneidungen mit den romanischen Verwandten in Westeuropa betragen teilweise 80%, was nicht heißt, dass sich Sprecher:innen romanischer Sprachen miteinander unterhalten können. Die Rumänischsprecher:innen sind sich ihres romanischen Erbes wohl bewusst. Trotz der langen Geschichte der Sprache erlangte sie bei weitem nicht so ein Prestige wie ihre westlichen Verwandten.

Quellen

Bochmann, Klaus & Stiehler, Heinrich. Einführung in die rumänische Sprach- und Literaturgeschichte. Romanistischer Verlag, Bonn 2010.

Iliescu, Maria. Rumänisch. In: Miloš Okuka (Hg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.

Das Fingeralphabet des deutschsprachigen Raumes

Wer im Alltag schon mal mit Gehörlosen oder Menschen mit Hörschädigung kommunizieren wollte, stand vielleicht, wie ich auch, vor einem Kommunikationsproblem, denn die wenigsten hörenden Menschen beherrschen Gebärdensprache bzw. die grundlegenden Gebärden. In Zeiten von Corona wird dieses Problem noch größer, weil die Masken es zusätzlich erschweren zu kommunizieren. Das eigentliche Problem ist aber die geringe Sichtbarkeit der Gebärdensprache im Alltag der hörenden Menschen. Ein erster Schritt zur verbesserten Kommunikation wäre das Erlernen des deutschsprachigen, ja es gibt viele verschiedene, Fingeralphabetes.

Fingeralphabete sind seit der Antike in unterschiedlichen Formen bekannt. Mönche kommunizierten mit Hilfe von Fingeralphabeten, um das Schweigegelübde nicht zu brechen. Gehörlose und Menschen mit Hörschädigung haben in der Vergangenheit häufig unter schwierigen Umständen gelebt, wurden ausgegrenzt und hatten meist keinen Zugang zu Bildung oder einem Beruf. Sie galten als nicht bildungsfähig, ähnlich wie Blinde bzw. sehbehinderte oder körperlich eingeschränkte Menschen.  Das änderte sich langsam in der Zeit der Aufklärung, Schulen wurde geschaffen, gehörlose und schwerhörige Menschen lernten lesen und schreiben usw. Um sich zu verständigen, vor allem miteinander, entstanden erste Gebärdensprachen und verschiedene Fingeralphabete.

Wie der Name schon sagt, beschreibt man mit den Fingern ein Alphabet, also einzelne Buchstaben. Und da Sprachen unterschiedliche Buchstaben haben können, sind die Fingeralphabete häufig sprachspezifisch (z.B. Silbenalphabete) bzw. durch Zeichen werden ergänzt wie im Deutschen die Umlaute oder das ‚ß‘. Fingeralphabete sind praktisch, vor allem um seinen Namen oder unbekannte Wörter wie Fachbegriffe oder auch Abkürzungen zu buchstabieren. Das Alphabet kann in diesen Situationen ein gutes Hilfsmittel sein.

Das deutschsprachige Fingeralphabet wird mit einer Hand ausgeführt, normalerweise Rechtshänder mit rechts, Linkshänder mit links.

Im deutschsprachigen Raum wird eine standardisierte Form des Alphabetes genutzt, mit einigen Abweichungen meist in der französischsprachigen Schweiz.

A = geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen seitlich angelegt

B = flache Hand vom Körper weg, Finger nach oben, Daumen auf der Handfläche

C = Daumen und Finger bildet einen offenen Halbkreis

D = Zeigefinger nach oben, Daumen und restliche Finger bilden einen geschlossenen Kreis

E = Daumen vor der Handfläche, restliche Finger berühren den Daumen mit den Fingerspitzen

F = Daumen und Zeigefinger bilden einen geschlossenen Kreis, die restlichen drei Finger parallel nach oben gespreizt.

G = geschlossene Hand zum Körper, Zeigefinger zeigt nach links

H = geschlossene Hand zum Körper, Zeige- und Mittelfinger zeigen parallel nach links

I = geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen davor, kleiner Finger nach oben

J = geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen davor, kleiner Finger nach oben, Drehbewegung der Hand um vertikale Achse

K = Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen nach oben gespreizt, restliche Finger auf der Handfläche

L = Handfläche von Körper weg, Zeigefinger nach oben, Daumen nach links, restliche Finger auf der Handfläche

M = Handfläche nach unten, Zeige-, Mittel und Ringfinger nach unten gestreckt, Daumen unter den Fingern

N = Handfläche nach unten, Zeige- und Mittelfinger nach unten gestreckt, restliche Finger auf der Handfläche, Daumen unter den gestreckten Fingern

= Daumen und restliche Finger bildet einen geschlossenen Kreis

P = Handfläche nach unten, Zeigefinger nach vorn, Mittelfinger nach unten, Daumen berührt den Mittelfinger, restliche Finger auf der Handfläche

Q = Zeigefinger und Daumen nach unten gestreckt, restliche Finger auf der Handfläche

R = geschlossene Hand von Körper weg, Zeige- und Mittelfinger zeigen gekreuzt nach oben

S = geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen vor den Fingern

T = geschlossene Hand nach links, Zeigefinger nach links gestreckt, Daumen auf dem Zeigefinger nach vorn

U = geschlossene Hand vom Körper weg, Zeige- und Mittelfinger zusammen nach oben, Daumen auf der Handfläche

= geschlossene Hand vom Körper weg, Zeige- und Mittelfinger gespreizt nach oben, Daumen auf der Handfläche

W = flache Hand vom Körper weg, Zeige-, Mittel- und Ringfinger gespreizt nach oben, Daumen auf der Handfläche

X  = geschlossene Hand nach links, Zeigefinger nach oben, aber angewinkelt

Y = geschlossene Hand vom Körper weg, Daumen und kleiner Finger nach oben abgespreizt

Z = geschlossene Hand vom Körper weg, Zeigefinger nach oben schreibt ein ‚Z‘ in die Luft (Zick-Zack-Bewegung)

SCH = flache Hand vom Körper weg, alle Finger gespreizt

CH = Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger bilden einen offenen Halbkreis, Ringfinger und kleiner Finger sind geschlossen, nur in der deutschsprachigen Schweiz und in Liechtenstein, in Luxemburger Fingeralphabet: Geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen ganz offen

Ä, Ö, Ü, ß    =wie A, O, U, S mit kurzer Bewegung der Hand nach unten

Die Akzentzeichen in den französischsprachigen Regionen werden in das Buschstabenzeichen bzw. in die Bewegung integriert.

Die Buchstaben sind mit ein wenig Übung gut zu erlernen, das Tempo hängt von der Routine ab und natürlich vom Gegenüber, schließlich soll der ja auch mitkommen! Einfach mal ausprobieren!

Natürlich ist das Fingeralphabet keine adäquate Alternative zur Gebärdensprache. Eine Unterhaltung mit dem Fingeralphabet zu führen wäre auf Dauer ermüdend. Wer regelmäßig mit Gehörlosen oder Menschen mit Hörschädigung zu tun hat, kommt um die Gebärdensprache nicht herum.

Quellen

Schneider,Emma. Gebärdensprache lernen für Anfänger: Erlernen Sie die Deutsche Gebärdensprache – Kommunikation, Körpersprache, Gestik und Mimik. (DGS, Gebärdensprache Buch) Independently published 2021

Bildquelle

Von Landesverband Bayern der Gehörlosen e. V. – Infokarte des Landesverband Bayern der Gehörlosen e. V., CC BY-SA 4.0, Link

Die Niederlausitz

Die Niederlausitz (niedersorbisch Dolna Łužyca) im Süden Brandenburgs und Norden Sachsens ruft bei den meisten Menschen Bilder des Spreewaldes und des Kohlebergbaus hervor. Im Vergleich zu anderen deutschen Regionen umfasst sie ein kleines Areal des gesamtdeutschen Bundesgebietes. Ein kleiner Teil der Niederlausitz liegt zudem der polnischen Woiwodschaft Lebus im heutigen Polen. 

Geografisch wird die Niederlausitz vor allem durch Flüsse begrenzt: Die Spree nördlich, der Bober (ein Nebenfluss der Oder) östlich, die Schwarze Elster (ein Nebenfluss der Elbe) südlich und die Dahme westlich. Diese „Grenzen“ zeigen deutlich, dass sich die Niederlausitz ein wasserreiches Gebiet ist, was historisch und wirtschaftlich bedeutend ist. Bedeutende Städte wie Cottbus (Chóśebuz) als größte Stadt, Lübben/Spreewald (Lubin), Lübbenau/Spreewald (Lubnjow), Vetschau (Wětošow), Spremberg (Grodk) und Guben (Gubin) wurde alle an Flüssen gegründet.

Wirtschaftlich nutzte der Mensch die Gegend traditionell holzwirtschaftlich, großflächige Landwirtschaft ist durch das niederschlagsarme Klima aber nur eingeschränkt möglich. Ab den 1930er Jahren und besonders zu DDR-Zeiten entstanden große Tagebaue, die die Landschaft prägten und in nächster Zeit stillgelegt und renaturiert werden sollen.

Die Besiedlung der Niederlausitz begann wahrscheinlich während der Jungsteinzeit. Archäologische Funde zeigen, dass bis 600 n.Chr. verschiedene Gruppen dort lebten, mehr oder weniger sesshaft, denn die kontinuierliche Versorgung mit Lebensmitteln ist dort schwierig gewesen. Sicher ist aber, dass sich um 600 n.Chr. westslawische Stämme, v.a. die Lusitzi, niederließen und Siedlungen gründeten. Die Nachfahren der Lusitzi und anderer westslawischer Stämme bilden die ethnische Gruppe der heutigen Sorben.

Um das 10. Jahrhundert kam das Gebiet unter deutsche Herrschaft als Teil des römisch-deutschen Kaiserreichs. Damit entstanden immer mehr deutsche Siedlungen, die im Laufe der nächsten Jahrhunderte unter verschiedene Herrscher gerieten, z.B. Wettiner, Wittelsbacher, Böhmen oder die sächsischen Kurfürsten. Trotz der Fremdherrschaft behielten die Sorben vorerst ihre Eigenständigkeit, meist siedelten die Deutschen in den Städten und die Sorben auf dem Land, so dass die Durchmischung der Bevölkerung wenig stattfand. Ab dem 16. Jahrhundert, verstärkten die Herrscher ihre Bemühungen die Sorben ihrer Sprache und Kultur zu entledigen. Einen Teil trug die Kirche zu dieser Entwicklung bei, denn die Niederlausitz schloss sich der protestantischen Kirche an, die ihre Gottesdienste auf Deutsch und Sorbisch abhielt und viele deutsche Geistliche in das Gebiet versetzte.

Nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses von 1815 gehörte die Niederlausitz zu Preußen, war somit von der Oberlausitz auch staatlich getrennt (die Oberlausitz verblieb beim Königreich Sachsen). Preußen gliederte das Gebiet in die brandenburgische Verwaltung ein, die die bisherige Autonomie der Sorben aufhob, was sich vor allem auf die Sprache und die Kultur der Sorben auswirkte und eine starke Abwanderung der sorbischen Bevölkerung zur Folge hatte. Unter den Nationalsozialisten verstärkte sich dieser Assimilationszwang noch weiter.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Niederlausitz hing eng mit dem Kohleabbau zusammen, mittlerweile ist der Kohleausstieg beschlossen und die Region muss sich umorientieren. Der Energiesektor ist immer noch ein großer Arbeitgeber, es wird nun aber vermehrt in erneuerbare Energien investiert. Außerdem nimmt die touristische Nutzung der gesamten Lausitz stark zu, das wachsende Interesse der Deutschen im eigenen Land Urlaub zu machen, stärkt die Tourismusbranche.

Auch das vielfältige kulturelle Erbe erfährt in den letzten Jahren einen Aufschwung. Das Land Brandenburg hat in seiner Verfassung den Schutz der sorbischen Kultur und Sprache verankert. Zahlreiche Institutionen und Kulturvereine setzten sich für den Erhalt und die Stärkung des Sorbischen ein. Die Traditionen wie das Zampern (camprowanje), Hahnrupfen (kokot), die Trachten oder die kunstvolle Verzierung der Ostereier sind nur ein kleiner teil des sorbischen Erbes. Viele Grundschulen der Region bemühen sich darum Sorbischlehrer zu finden, die die Sprache vermitteln, auch an Kinder ohne sorbische Wurzeln. Zahlreiche Medien wie die Zeitschrift NOWY CASNIK und das Programm Łužyca des RBBs sowie Radiosendungen und der sorbische DOMOWINA-Verlag (veröffentlicht in beiden sorbischen Sprachen) bieten die Möglichkeit die Niederlausitz als Region kennenzulernen bzw. die sorbische Sprache zu nutzen bzw. zu erlernen. Der Erfolg, eine Sprache mit höchstens 10.000 Sprechern (Niedersorbisch) zu retten, ist ein schwieriges, aber nicht unmögliches Vorhaben.

Die Niederlausitz als traditionsbewusste Region mit Entwicklungspotential bringt alle Voraussetzungen mit, die zum Erfolg führen können.

Quellen

Pohontsch, Anja et. al. Wo der Wendenkönig seine Schätze versteckt hat – Unterwegs in der sorbischen Niederlausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 2011

Wetzel, Günter. Germanen – Slawen – Deutsche in der Niederlausitz. In: Bericht der Römisch-Germanischen Kommission. Band 83, 2002

Radegast

Der slawische Gott Radegast hat viele Namen, je nachdem wo man sich befindet: Svarožić oder Dažbog im ost- und südslawischen Raum, bei den Elb- und Ostseeslawen Radegast, Radogast oder Redigast.

Die Herkunft des Namens Svarožić wird meist als ‚Sohn des Svarog‘ umschrieben, eine mögliche Verwandtschaft mit dem indoeuropäischen Wort swar mit der Bedeutung ‚Sonne‘ oder ‚Schein‘ passt zu seiner Funktion als Sonnengott. Der von den Elb- und Ostseeslawen verwendete Name ‚Radegast‘ stammt am ehesten von der Siedlung ‚Radegast‘ der Redaren, ist also keine Abwandlung von Svarožić. Seine Funktion wandelte sich im Laufe der Zeit; zuerst als Gott des Feuers und des Lichtes angebetet, verehrten die Elb- und Ostseeslawen Radegast eher als Kriegsgott, meist mit Schild und Lanze bewaffnet dargestellt.

Im 11. Jahrhundert wird ein Tempel, der dem Gott Radegast geweiht sein soll, von den Chronisten Adam von Bremen und Thietmar von Merseburg erwähnt. Dieser Tempel lag wohl auf einer Insel, die durch eine Brücke mit dem Festland verbunden war und von den dort lebenden Menschen auch für andere Gottheiten genutzt wurde. Als Holzbau mit Tierhörnern verziert, beherbergte der Tempel zahlreiche Skulpturen slawischer Götter. Die Slawen brachten den Göttern Opfer wie Lebensmittel, Tiere etc., manche Quellen sprechen auch von Menschenopfern. Zwei wichtige Attribute des Kriegsgottes sind das Pferd und der Eber, ersteres als Zugtier des Sonnenwagens und Orakeltier für Kriegsfragen, letzteres ebenfalls als Orakeltier.

Die Verehrung von Tieren und Himmelskörpern wie der Sonne ist elementar in der slawischen Mythologie. Die Menschen waren abhängig vom Kreislauf der Natur, Opfer zu Ehren der vielen Götter eine normale Sache. Die Verehrung der Sonne und des Feuers auf Erden, dessen Beherrschung das Überleben sicherte, galt als zentrales Ritual.

Schlechte Ernten aufgrund des Wetters wurde meist auf den Zorn der Götter zurückgeführt. Kriegerische Auseinandersetzungen wurden nach Befragung des Orakels begonnen. Eine typische Methode war das Führen eines Pferdes über zwei gekreuzte Lanzen durch einen Priester. Je nachdem mit welchem Bein das Pferd zuerst über das Kreuz stieg, sagte es Erfolg oder Misserfolg des Krieges voraus. Die Wahl der Lanzen bezeugt den Einfluss des Kriegsgottes Radegast.

Es ist nicht geklärt, ob es außer dem Tempel in Radegast noch andere gab. Die slawischen Stämme lebten eher verstreut, daher liegt die Vermutung nahe. Sicher ist, dass auf Rügen ein weiteres religiöses Zentrum der Slawen war, am Kap Arkona. Heute ist die Tempelanlage verschwunden. Die Verehrung Radegast fand sicherlich auch dort statt, obwohl im Laufe der Zeit seine Dominanz abnahm und Svantovit, ein anderer Gott der Slawen, die Rolle des Kriegsgottes übernahm.

Ein weiteres Indiz für die Verehrung von Radegast über die nordostdeutsche Region hinaus, ist der Berg Radhošť in dem tschechischen Teil der Beskiden. Radhošť ist der tschechsiche Name für Radegast.

Schriftlichen Quellen aus der Zeit vor der Christianisierung der Slawen sind leider nicht vorhanden, so dass die allermeisten Beschreibungen von Gottheiten, Riten und der Lebensweise der Slawen von Chronisten mit christlicher Weltanschauung geschrieben wurden, was nicht immer zu 100% authentisch gewesen sein wird.

Mit der Christianisierung der Slawen ging der Einfluss der Gottheiten zurück, doch in jüngerer Zeit kehren immer mehr Menschen zu ihren Ursprüngen zurück und verehren die alten Götter, pflegen Traditionen und heidnische Feste.

Quellen

Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1992

Grimal, Pierre (Hrgs.). Mythen der Völker 3. Fischer, Frankfurt am Main: Fischer 1967

Ferdinand de Saussure

Der Name Saussure begegnet jedem Linguistik-Studierenden im ersten Semester und begleitet durch das ganze Studium, ob man will oder nicht.

Der Schweizer Ferdinand de Saussure prägte die Linguistik wie kaum ein anderer. Am 26. November 1857 in Genf geboren, studierte er in Leipzig und Berlin Indogermanistik, promovierte und lehrte in Paris und bis zu seinem Tod in Genf. Seiner Familie entstammten viele angesehene Wissenschaftler und Künstler, der akademische Weg war demnach ein Muss für den jungen Mann. Nach seinem Studium heiratete er Marie Faesch, aus einer angesehenen Schweizer Familie, mit der er einen Sohn bekam, Raymond de Saussure, der später als Psychoanalytiker bekannt wurde. Ferdinand de Saussure starb am 22. Februar 1913 auf Schloss Vufflens in der Schweiz.

Saussures Studium sowie seine Lehrtätigkeit ließen zahlreiche Forschungsarbeiten entstehen, die sich im Kern mit vergleichender Linguistik und Rekonstruktion des Indogermanischen befassten.

Doch viel bekannter als die zu Lebzeiten erschienenen Arbeiten, sind die Theorien des Strukturalismus. Saussures Schüler Charles Bally und Albert Sechehaye veröffentlichten nach seinem Tod das Buch „Cours de linguistique générale“ (dt. „Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft“), in dem Saussures Theorie „Sprache als Zeichen“ dargestellt ist. Er durchleuchtet jeden Aspekt der Sprache, hinterfragt und gibt mögliche Antworten. Wer es schon mal gelesen hat, wird feststellen, dass es durchaus zu Diskussionen anregt und zusätzliche Fragen aufwirft.

Ein klassisches Modell zur Definition bzw. Frage „Was ist Sprache?“ von Saussure teilt sich in drei Aspekte:

Langage →die Fähigkeit des Menschen zu sprechen

Langue → Sprache als Einzelsprache mit grammatischen Regeln etc., die innerhalb einer Gruppe von Menschen vorherrscht

Parole → der Sprechakt mit seinen individuellen Komponenten, die Veränderungen der Langue einleiten kann

Diese drei Aspekt bedingen einander, ohne ihre Kombination wäre die Kommunikation durch Sprache nicht möglich. Damit ist Sprache ein von Menschen für Menschen gemachtes System, das nur durch sie lebendig gehalten und verändert wird. Die stark theoretischen Ausführungen können das Thema „Sprache“ sehr abstrakt erscheinen lassen, denn im Alltag denken wir selten darüber nach wann wir etwas wie sagen.

Die Veränderlichkeit von Sprache(n) ist für Saussure abhängig von den Sprecher*innen, die Veränderungen einfließen lassen, aber andererseits unterliegen Sprachen Gesetzen z.B. historische Lautwandel, die unbewusst gesehen.

Saussure sah die Sprachwissenschaft als interdisziplinäre Wissenschaft an. Nur mit Hilfe der Soziologie, Geschichte, Ethnologie u.v.a. waren seiner Meinung nach konkrete Aussagen und Beweisführungen möglich. Für unser heutiges Verständnis von Wissenschaft ist das selbstverständlich, aber zu Saussures Zeiten ein recht neuer Gedanke.

Seine Zeichenlehre (weiter Stichworte→ semiotisches Dreieck, Signifikat, Signifikant, Arbitrarität des Zeichens etc.) begründete innerhalb der Linguistik ein neues Forschungsfeld, die Semiotik. Saussures Ideen des Strukturalismus wurde von vielen Forscher wie Roman Jakobsen oder Nikolai Trubetzkoy genutzt und ausgebaut, griffen in der 1930er Jahren aber auch auf andere Wissenschaftszeige wie der Anthropologie und Literaturwissenschaft über. Bekannte Vertreter sind z.B. Levi-Strauss und Roland Barthes.

Das Werk Saussures wird in der Sprachwissenschaft als Grundlage für viele weitere Forschungen genutzt. Die Allgemeingültigkeit seiner Theorien überdauern bislang die Schnelllebigkeit der Wissenschaftslandschaft.

Quellen

Jäger, Ludwig. Ferdinand de Saussure zur Einführung. Junius, Hamburg 2010

Joseph, John. Saussure. Oxford University Press, Oxford 2012

Saussure, Ferdinand. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. De Gruyter, Berlin 1967

Estnisch

Trotz der relativ kleinen Sprecherzahl von etwa 1,1 Millionen in und außerhalb Estlands, weist Estnisch (estn. eesti keel) eine lange Historie und interessante Sprachcharakteristika auf.

Es ist eine von 12 Sprachen des ostseefinnischen Zweiges der finno-ugrischen Sprachen, am engsten verwandt mit dem ausgestorbenen Livischen und Finnischen, aber auch entfernt mit Ungarisch. Als einzige Amtssprache Estlands gilt Estnisch seit dem EU-Beitritt 2004 auch als EU-Amtssprache, was der Sprecherzahl aber wenig nützt.

Wie die anderen Mitglieder der finno-ugrischen Sprachfamilie ist Estnisch eine flektierend-agglutinierende Sprache, was sich sprachhistorisch aber zu Gunsten der Flexion verschoben hat. Historisch beeinflusst wurde das Estnische stark vom Deutschen (Christianisierung durch den Deutschen Orden), Schwedischen (Zeit der Gegenreformation) und Russischen (Zugehörigkeit zum Russischen Reich und als Teil der Sowjetunion). Nach der Unabhängigkeit Anfang der 90er Jahre forcierte die estnische Regierung den flächendeckenden Ausbau des Estnischunterrichtes, Verwendung als Verwaltungssprache etc. Die im Land lebenden Minderheiten, vor allem ethnische Russen, müssen Estnischkenntnisse nachweisen, um entweder die Staatsbürgerschaft zu erhalten oder im Staatsdienst (weiter-)arbeiten zu können. Man kann sich gut vorstellen, dass diese sprachlichen Voraussetzungen bei den nationalen Minderheiten Ärger hervorrufen. Seit der Einführung dieser Regulierungen sind durch konsequenten Estnischunterricht in allen Schulen und ein gutes Kursangebot im Erwachsenenbereich deutliche Fortschritte zu erkennen.

Anders als viele europäischen Sprachen gibt es in Estnischen, im Verhältnis zur Sprecherzahl, massenhaft Mundarten innerhalb der Dialekte, was vor allem auf die Gesellschaftsstrukturen der letzten 250 Jahre zurückzuführen ist. Die Landbevölkerung war größtenteils an ihre Gemeinden gebunden, durch Leibeigenschaft und Frondienst. Daher waren ganze Bevölkerungsgruppen räumlich isoliert, was die Herausbildung von Dialekten begünstigt. Die heutige Standardsprache orientiert sich dabei an den Dialekten des Nordens, aber im Allgemeinen gleichen sich alle Dialekte mit der Zeit an.

Im NordenWest-Dialekt
Zentral-Dialekt
Ost-Dialekt
Im SüdenMulk-Dialekt
Tartu-Dialekt
Võru-Dialekt
Seto-Dialekt
 Nicht klassifiziertNordostküsten-Dialekt
Insel-Dialekt

Die Sprachstruktur des Estnischen unterscheidet sich deutlich von den Sprachen ihrer Nachbarstaaten wie Russland oder Lettland, was auf die unterschiedlichen Sprachzweige zurückzuführen ist und ein möglicher Grund dafür ist, dass viele ethnische Russen in Estland die Sprachprüfungen nicht zufriedenstellend absolvieren.

Estnisch wird in lateinischer Schrift geschrieben, dabei unterscheiden sich vom deutschen Alphabet nur die Buchstaben <š>, <ž> und <õ>. Das Vokalsystem ist, für deutsche Verhältnisse, reichhaltiger und regelintensiv. Alle Vokale (a, e, i, o, u, ü, ä, ö und õ) haben drei verschiedene Längen (kurz-lang-überlang), die distinktiv, d.h. bedeutungsunterscheidend, sind. Außerdem sind auch die Merkmale ‚Lippen gerundet-ungerundet‘ und ‚Zunge vorne-hinten‘ wichtig. Je nach Definition zählt das Estnische mindestens 20 oder mehr als 30 Diphthonge!

Das Konsonantensystem ist nicht übersichtlicher. Zwar gibt es nur 17 Konsonantenphoneme, die aber wie die Vokale über drei distinktive Längenstufen verfügen. Anders als im Deutschen werden die Plosive nicht behaucht.

Der Wortakzent estnischer Wörter liegt generell auf der ersten Silbe, bei Fremdwörtern bleibt der ursprüngliche Akzent meist erhalten. Da es im Estnischen, ähnlich wie im Deutschen, zahlreiche lange Wörter (meist Komposita) gibt, liegt der Nebenakzent auf einer der weiteren ungraden Silben.

Allgemein gibt es keine grammatischen Geschlechter, viele Personenbezeichnungen gelten sowohl für männlich und weiblich. Zusätzlich kennt das Estnische keine Artikel, weder bestimmt noch unbestimmt. Die zugrundeliegende Wortstellung ist SVO, wobei zwischen normalen Aussagesätzen und inversen Sätzen unterschieden werden muss. Die Variante OVS ist seltener, aber grammatisch korrekt. In Nebensätzen findet man, wie im Deutschen, das Verb an finaler Position. Ein interessanter Punkt ist die Verwendung von Partikelverben, die laut Wissenschaftlern eine deutsche Entlehnung darstellen. Die 14 Kasus machen auf Deutschsprechende schon ziemlich Eindruck, die Hälfte davon sind Lokalkasus.

Die Lexik des Estnischen ist durch die historischen Einflüsse, z.B. des Deutschen Ordens, mit mehreren tausend Entlehnungen durchsetzt. Diese stammen aus dem Nieder- und Hochdeutschen z.B. ‚müts‘ – ‚Mütze‘ oder ‚vürts‘ – ‚Gewürz‘. Heute findet man, wie überall, auch Entlehnungen aus dem Englischen. Die aus dem Russischen stammende Wörter werden auf etwa 300 geschätzt und wurden an die estnische Phonologie angepasst.

Quellen

Winkler, Eberhard. Estnisch. In: Miloš Okuka (Hg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.

Laanest, Arvo. Einführung in die ostseefinnischen Sprachen. Buske-Verlag, Hamburg 1975

Sütterlin

Heutzutage beherrschen nur noch ganz wenige eine 1911 in Preußen eingeführte Schreibschrift, die von Ludwig Sütterlin entwickelt wurde: Das Sütterlin oder die Sütterlinschrift.

Die Sütterlinschrift ist eine spezielle Schreibschrift, die als Vorstufe der Kurrentschrift klassifiziert ist. Da die Kurrentschrift für Schreibanfänger der damaligen Zeit schwer zu erlernen war, beauftragte das preußische Kultur- und Schulministerium Ludwig Sütterlin damit eine vereinfachte Ausgangsschrift zu entwickeln.

Strenger als in Europa üblich, war der preußische Staat darauf aus den Schrifterwerb und allgemein Schreibkompetenzen aller Schüler möglichst effizient zu gestalten. Dazu gehörte auch eine effiziente Schreibung, die nicht nur einfach zu lernen, sondern auch schnell und leserlich zu schreiben war. Das Schreiben mit einer Metallfeder erfordert einen gleichmäßigen Druck und eine gute Hand-Auge-Koordination. Die sonst übliche Kurrentschrift erschwerte dies, sodass Ludwig Sütterlin die Buchstaben vereinfachte, das Verhältnis anpasste und sie vertikaler ausrichtete.

Seit 1915 lernten Kinder in Preußen Sütterlin, jedoch stand diese Schrift in großer Konkurrenz zur lateinischen Ausgangsschrift, die in den meisten europäischen Ländern mit lateinischer Schrift vorherrschte. Man kann auch vermuten, dass Preußen mit einer anderen Schrift ein politisches Statement setzen wollte, obwohl die lateinische Ausgangsschrift im Handel etc. unverzichtbar war.

Nach der Einführung der Sütterlinschrift ging die Verwendung der Kurrentschrift Schritt für Schritt zurück und ab 1935 wurde nur noch Sütterlin als Deutsche Volksschrift unterrichtet, dabei aber noch weiter vereinfacht. Die klassische Sütterlinschrift wurde 1941 sogar komplett abgeschafft. Ein denkbarer Grund wäre der Umstand, dass die Menschen in den von Deutschland besetzten Gebieten das klassische Sütterlin weder lesen noch schreiben konnten. Damit entstanden Probleme im Schriftverkehr und in der Durchsetzung von Anordnungen, daher wurde die einfachere Schrift als Standard festgesetzt.

Nach dem Krieg reaktivierte man Sütterlin nicht mehr und die Menschen, die es lesen und schreiben können, weil sie es in der Schule gelernt hatten, wurden naturgemäß mit der Zeit weniger.

Die Menschen, die heute oder auch schon die letzten Jahrzehnte schreiben gelernt haben, werden große Schwierigkeiten beim Entziffern der Sütterlinschrift haben. Vielleicht hat man noch Großeltern, die Sütterlin gelernt haben. An Schriftstücken fehlt es sicher nicht. Es gibt genug Archive, aus denen man sich Schriftproben holen kann. Freunde der schönen Handschrift lernen Sütterlin oft, um miteinander zu korrespondieren oder Briefe und Karten besonders ansprechend zu beschriften.

Nostalgiker und Sütterlinliebhaber versuchen seit dem Verschwinden der Schrift aus dem Lehrplan der Deutschen Schulen die Erinnerung lebendig zu halten. Sie geben Workshops zum Schrifterwerb oder führen Interessierte in Archive, um gemeinsam Dokumente in Sütterlin lesen zu üben. Das ist natürlich nur eine kleine Gruppe von Personen, aber sie pflegen ihre Leidenschaft treu.

Wer also interessiert ist, kann sich an die Hamburger Sütterlinstube und die „Sütterlin-Schreibstube“ in Konstanz wenden.

Quellen

Sütterlin, Ludwig. Neuer Leitfaden für den Schreibunterricht. Berlin 1926

Bartnitzky, Horst. Welche Schreibschrift passt am besten zum Grundschulunterricht heute? In: Grundschule aktuell, Heft 91, 2005

Masurisch

Die Frage ob Masurisch (polnisch gwara mazurska , masurisch mazurská gádka/mazurská gádkia) als Dialekt oder eigenständige Sprache angesehen werden soll, spaltet die Forschung. Für beide Standpunkte lassen sich Argumente finden, aber die Mehrheit ist für Dialekt.

Masurisch wird im Nordosten Polens, in den Masuren gesprochen. Der westslawische Stamm der Masowier besiedelte von Süden aus die Masuren und waren bis zum Jahr 1000 ein unabhängiger Volksstamm. Der polnische Piastenfürst Bolesław Chrobry unterwarf sie und gliederte das Gebiet in sein Reich ein. Im Laufe der Zeit gerieten Masowier unter die Herrschaft des Deutschen Ordens, der die Christianisierung vorantrieb. Eigentlich waren die Masowier Fischer und Bauern, zogen aber durch die Siedlungspolitik auch vermehrt in die neu gegründeten Städte wie Pisz, ehemals Johannisburg. Auch die Frage der Konfession ist in Masuren nicht pauschal zu beantworten. Die Reformation und Gegenreformation schuf eine gemischte Bevölkerung, die Gebiete der Masowier sind weitestgehend evangelisch, nur rund um Allenstein, heute Olsztyn, katholisch.

Die Industrialisierung zog im 19. Jahrhundert viele Menschen aus den masurischen Gebieten in Richtung Westeuropa. Die beiden Weltkriege verstärkte diese Tendenz und befeuerte die Assimilation der Masurisch-Sprechenden weiter. Der Bevölkerungsschwund wirkte sich auch auf die Sprache aus.  Man geht von etwa 80.000 Sprechern vor 1945 aus, heute sind es Schätzungen zufolge noch 15.000.

Heute sind die meisten Masurischsprechenden polnische Staatsbürger, pflegen aber auch ihre masurischen Wurzeln. Es gibt verstärkt Bemühungen die Sprache bzw. den Dialekt zu stärken.

Das Masurische weist interessante Unterschiede zum Standardpolnischen auf. Das Augenscheinlichste ist das sogenannte ‚Masurieren‘, d.h. die polnischen Laute /cz/, /sz/, /ż/, /dż/ wie /c/, /s/, /z/ ausgesprochen werden z.B. wird aus ‚czapka‘ → ‚capka‘ (dt. Mütze), jedoch kann man es auch in anderen Gegenden im Osten Polens hören.  Auch die Tendenz velare Laute /k/, /g/ und /ch/ vermehrt palatalisiert als /ć/, /dź/ und /ś/ auszusprechen, ist typisch für die Masuren. Die Nasalvokale des Polnischen /ą/ und /ę/ verlieren hier ihre Nasalität und werden zu /ɔ/ und /ɛ/. In einigen Fällen kann im Masurischen die obligatorische Erweichung von Konsonanten vor /i/ in eine harte Aussprache wechseln, polnisch ‚lipa‘- ‚Linde‘ oder ‚posłuchali’- ‚sie hörten‘ in ‚lypa‘ oder ‚posłuchaly‘.

Auch in der Grammatik zeigen sich ein paar kleine Abweichungen von Polnischen z.B. die Endung -i statt des üblichen -ej im Genitiv und Dativ der weiblichen Substantive.

In der Lexik zeigt sich ein hoher Anteil an deutschen Entlehnungen z.B. ‚bónÿ‘ – ‚Bohnen‘ oder ‚prÿnc‘- ‚Prinz‘, was auf den historischen Kontakt zurückzuführen ist, genauso wie Anteile pruzzischer Wörter. Die Masuren weisen wegen der abweichenden Lexik oft auf den Status einer eigenen Sprache hin, linguistisch gesehen machen aber die Unterschiede im Wortschatz allein noch keinen Dialekt zu einer eigenen Sprache.

Die masurische Literaturlandschaft musste mit der Tatsache umgehen, dass es für das Masurische keine einheitliche Schriftsprache gibt und ihre Autoren entweder auf Deutsch oder Polnisch schreiben bzw. schrieben. Bekannte Vertreter sind Erwin Kruk, Siegfried Lenz und Fritz Skowronnek, die alle aus den Masuren stammen.

Im Allgemeinen sind die Dialekte in Polen einem stetigen Schwund ausgesetzt. Ob die Masuren es schaffen, in Konkurrenz zum Standardpolnischen zu bestehen, wird die Zeit zeigen.

Quellen

Hentschel, Gerd. Masurisch. In: Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens, Bd 10: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt 2002

Kossert, Andreas. Masuren, Ostpreußens vergessener Süden. Siedler, Berlin 2001

http://www.dialektologia.uw.edu.pl/index.php

Oberschlesien

Die mit viel Geschichte behaftete Region Oberschlesien gehört heute zum größten Teil zu Polen, ein kleiner Teil zu Tschechien. Das Gebiet umfasst mit den Zentren Opole, Katowice und Ostrava (Tschechien) große Industrieregionen und war schon immer ein Zankapfel der Mächtigen.

Die ersten Siedler, von denen man weiß, waren westslawischen Mährer, die sich im früher Mittelalter ansiedelten. Bis ins 12. Jahrhundert wechselte die Machtansprüche zwischen Böhmen und Polen, bis zum Vertrag von Glatz 1137, der Oberschlesien dem polnischen König zusprach.1348 gliederte man Schlesien, im Vertrag von Namslau, dem Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ein.

Im Ersten Schlesischen Erbfolgekrieg (1740–1748) besetzte Preußen die Region, die bis dahin von den Habsburgern regiert wurde. Nach dem Friedenschluss von Aachen fiel der Großteil Oberschlesiens endgültig an Preußen und galt fortan als fester Teils Preußens, der nach 1918 zwischen Deutschland und Polen geteilt wurde. Der wesentlich kleinere Teil blieb nach 1748 österreichisch und wurde nach Beendigung der Ersten Weltkrieges in die Tschechoslowakei eingegliedert. Nach 1945 verlor Deutschland seinen oberschlesischen Teil durch die Westverschiebung Polens an die Volksrepublik Polen, wodurch die deutschstämmige Bevölkerung fast komplett ausgewiesen wurde und nach Deutschland aussiedeln musste.

Die oberschlesische Bevölkerung war durch die historischen Ereignisse und die Herrscherwechsel von Beginn an ein polyethnisches Gemisch: Slawen, Germanen und andere Ethnien lebten dort. Je nach Zugehörigkeit der Region sprach man Deutsch, Tschechisch oder Polnisch, in manchen Städten dominierte die eine, in anderen die andere Sprache. Viele Herrscher warben auch Siedler aus anderen Ländern an, um die großen Waldgebiete zu roden und zu besiedeln. Dafür gab es Land und Steuervergünstigungen.

Die Christianisierung Oberschlesiens, etwa im 10. Jahrhundert, fand im Zusammenhang mit der Missionierung aller slawischen Stämme in Böhmen und Polen statt. Während der Reformation blieben die Oberschlesier dem katholischen Glauben treu, im Gegensatz zu den meisten Niederschlesiern. Auch Juden lebten im oberschlesischen Raum, meist in den Städten, da sie kein Land erwerben durften. Sie waren immer wieder Anfeindungen ausgesetzt, gehörten bis zum Holocaust aber zum gewohnten Stadtbild.

Das Nebeneinander der Ethnien wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch Vertreibung und Neuansiedlung von Polen aus den polnischen Ostgebieten, den ‚Kresy‘, zu einer vom Staat gewollten polnischen Homogenität vereinheitlicht. Die Kulturvielfalt, die sich Oberschlesien über die Jahrhunderte erarbeitet hat, verging.

Schlesien war nicht nur ein Zentrum des Handels und der Industrie, sondern birgt bis heute Kulturschätze in Hülle und Fülle. Vor allem die christlich motivierten Bräuche und Traditionen verbinden die Menschen in Oberschlesien, egal ob sie Polen oder Angehörige der deutschen Minderheit sind. Beispielhaft für die Region wäre das Osterreiten oder das Erntedankfest. Es gibt dabei auch oft Ähnlichkeiten mit den Bräuchen der Sorben wie das ‚Zampern‘, das in Schlesien ‚Comber‘ heißt.

Unabhängig von der Nationalität weist Oberschlesien eine beachtliche Liste von Künstlern auf, vor allem Schriftsteller, die sich oft zuerst als Oberschlesier sehen und danach als Deutsche oder Polen. Im deutschen Raum ist den meisten der Schriftsteller Joseph von Eichendorff bekannt, der als einer der wichtigsten deutschen Romantiker gilt. Besonders interessant sind, meiner Meinung nach, die Autoren jüngerer Geschichte wie Horst Bienek oder Horst Eckert (alias Janosch), die beide im „deutschen“ Oberschlesien geboren sind und nach dem Krieg als Deutsche nicht bleiben konnten.

Den Sportfan sind im schlesischen Kontext die Fußballspieler Miroslav Klose (geboren in Opole) und Lukas Podolski (geboren in Gliwice) bekannt.

In den letzten Jahrzehnten, nach Ende des Kalten Krieges und der beginnenden Aufarbeitung der Deutsch-polnischen-(tschechischen) Geschichte wächst das Interesse an der Kultur Schlesiens. Die Minderheiten in Polen kämpfen vermehrt für ihre Rechte, ihre Sprache und Anerkennung im polnischen Staat. In Deutschland war es lange Zeit ein Tabu über die schlesischen Gebiet als ‚deutsche Gebiete‘ o.ä. zu sprechen. Viele Menschen, die von dort stammen, sehen sich in erster Linie als Oberschlesier und danach erst als Deutsche oder Polen. Sie möchten ihre Herkunft nicht verschweigen und ihre Kultur pflegen.

In Deutschland haben sich schon kurz nach dem Krieg viele sogenannte Heimatverbände gebildet, die sich für den Schutz der schlesischen Kultur und Sprache stark machten. Im Verlauf der Jahre sind die Bemühungen der Schlesier auf polnischer und deutscher Seite von der Tatsache betroffen, dass der Anpassungsprozess, der Schlesier in Polen und der Schlesier in Deutschland an die jeweilige Kultur des Landes, immer weiter voranschreitet und das öffentliche Interesse der Bevölkerung schwindet. Der Schutz der schlesischen Kultur bedarf also dem Engagement der Schlesier und der Unterstützung der Landesregierungen.

Quellen

Herzig, Arno. Geschichte Schlesiens – vom Mittelalter bis zur Gegenwart. C.H.Beck, München 2015

Vetter, Reinhold. Schlesien – Deutsche und polnische Kulturtraditionen in einer europäischen Grenzregion. DuMont Verlag, Köln 1999