
Mehrsprachigkeit ist zur Zeit ein Riesenthema: Wir lernen Sprachen in der Schule oder in der Freizeit, die Forschung untersucht die Auswirkungen von Mehrsprachigkeit auf die Gesellschaft und das Individuum usw. Aber wie offen zeigt sich Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum? Genau dieser Frage gehen immer mehr Wissenschaftler*innen nach. Das Phänomen nennt sich Linguistic Landscape, dt. Sprachlandschaft, und ist ein interdisziplinärer Forschungsgegenstand.
Linguistic Landscape beschreibt die Forschung, die sich mit der Wahrnehmung und der Sichtbarkeit von Sprache(n) im öffentlichen Raum beschäftigt. Der besondere Fokus liegt dabei auf mehrsprachigen Gesellschaften und die Verwendung all ihrer Sprachen im öffentlichen Raum. Dabei gehen die Wissenschaftler*innen verschiedenen Fragen nach, z.B. wie die qualitative und quantitative Verteilung der Sprachen ist, an welchen Orten sich welche Sprachen finden oder von wem die Verwendung der Sprachen ausgeht.
Da diese Forschung noch sehr jung ist, gibt es momentan nur wenige Arbeiten und Artikel zu dem Thema, besonders in Deutschland. Ist in einem Land nur eine Sprache als Amtssprache festgeschrieben z.B. wie in Deutschland, würde man nur eine geringe Dichte an öffentlich sichtbarer Mehrsprachigkeit finden. Und in Ländern wie Kanada oder Belgien, deren Mehrsprachigkeit schon lange besteht, erwartet man ganz selbstverständlich mindestens zwei sichtbare Sprachen im öffentlichen Raum. Aber ist das wirklich so?
In der Linguistic Landscape-Forschung wird nach dem Prinzip der Wirkrichtung unterschieden: Top-Down und Bottom-Up. Wird beispielsweise eine zweisprachige Beschriftung aufgrund einer gesetzlichen Grundlage an einem Rathaus angebracht, ist die Wirkrichtung Top-Down. Das finden wir oft bei Zweisprachigkeit, die von staatlichen Institutionen ausgeht. Bottom-Up dagegen findet man im privaten bzw. kommerziellen Kontext, z.B. eine zweisprachige Speisekarte im Restaurant.
Von entscheidender Bedeutung bei Zwei- oder Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum ist der Status und das Prestige der Sprachen. Ist eine Sprache als Minderheitensprache anerkannt, wie das Sorbische in der Lausitz, sind die Kommunen verpflichtet u.a. die Straßenbeschilderung zweisprachig bereitzustellen. Bei Sprachen, die von vielen Menschen gesprochen werden, jedoch keinen Staus besitzen, findet man keine offizielle Nutzung. Aber gerade in Städten findet man oft Geschäfte oder andere private Einrichtungen, die nicht die Amtssprache für ihre Beschilderung wählen (auch ein Beispiel für Bottom-Up).
Die Sichtbarkeit von Sprachen ist immer ein Indiz für den Umgang mit ihnen. Werden Sprachen öffentlich genutzt, schriftlich wie mündlich, steigt die Akzeptanz. Gerade für kleine Sprachen in ihren angestammten Sprachräumen ist die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum ein Teil der Sprachpflege, der nicht unterschätzt werden darf.
Kennst du Beispiele für sichtbare Mehrsprachigkeit in deiner Heimatstadt oder in der Umgebung?
Quelle
Jannis Androutsopoulos: Linguistic landscapes: Visuelle Mehrsprachigkeitsforschung als Impuls an die Sprachpolitik.