Linguistic Landscape

Mehrsprachigkeit ist zur Zeit ein Riesenthema: Wir lernen Sprachen in der Schule oder in der Freizeit, die Forschung untersucht die Auswirkungen von Mehrsprachigkeit auf die Gesellschaft und das Individuum usw. Aber wie offen zeigt sich Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum? Genau dieser Frage gehen immer mehr Wissenschaftler*innen nach. Das Phänomen nennt sich Linguistic Landscape, dt. Sprachlandschaft, und ist ein interdisziplinärer Forschungsgegenstand.

Linguistic Landscape beschreibt die Forschung, die sich mit der Wahrnehmung und der Sichtbarkeit von Sprache(n) im öffentlichen Raum beschäftigt. Der besondere Fokus liegt dabei auf mehrsprachigen Gesellschaften und die Verwendung all ihrer Sprachen im öffentlichen Raum. Dabei gehen die Wissenschaftler*innen verschiedenen Fragen nach, z.B. wie die qualitative und quantitative Verteilung der Sprachen ist, an welchen Orten sich welche Sprachen finden oder von wem die Verwendung der Sprachen ausgeht.

Da diese Forschung noch sehr jung ist, gibt es momentan nur wenige Arbeiten und Artikel zu dem Thema, besonders in Deutschland. Ist in einem Land nur eine Sprache als Amtssprache festgeschrieben z.B. wie in Deutschland, würde man nur eine geringe Dichte an öffentlich sichtbarer Mehrsprachigkeit finden. Und in Ländern wie Kanada oder Belgien, deren Mehrsprachigkeit schon lange besteht, erwartet man ganz selbstverständlich mindestens zwei sichtbare Sprachen im öffentlichen Raum. Aber ist das wirklich so?

In der Linguistic Landscape-Forschung wird nach dem Prinzip der Wirkrichtung unterschieden: Top-Down und Bottom-Up. Wird beispielsweise eine zweisprachige Beschriftung aufgrund einer gesetzlichen Grundlage an einem Rathaus angebracht, ist die Wirkrichtung Top-Down. Das finden wir oft bei Zweisprachigkeit, die von staatlichen Institutionen ausgeht. Bottom-Up dagegen findet man im privaten bzw. kommerziellen Kontext, z.B. eine zweisprachige Speisekarte im Restaurant.

Von entscheidender Bedeutung bei Zwei- oder Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum ist der Status und das Prestige der Sprachen. Ist eine Sprache als Minderheitensprache anerkannt, wie das Sorbische in der Lausitz, sind die Kommunen verpflichtet u.a. die Straßenbeschilderung zweisprachig bereitzustellen. Bei Sprachen, die von vielen Menschen gesprochen werden, jedoch keinen Staus besitzen, findet man keine offizielle Nutzung. Aber gerade in Städten findet man oft Geschäfte oder andere private Einrichtungen, die nicht die Amtssprache für ihre Beschilderung wählen (auch ein Beispiel für Bottom-Up).

Die Sichtbarkeit von Sprachen ist immer ein Indiz für den Umgang mit ihnen. Werden Sprachen öffentlich genutzt, schriftlich wie mündlich, steigt die Akzeptanz. Gerade für kleine Sprachen in ihren angestammten Sprachräumen ist die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum ein Teil der Sprachpflege, der nicht unterschätzt werden darf.

Kennst du Beispiele für sichtbare Mehrsprachigkeit in deiner Heimatstadt oder in der Umgebung?

Quelle

Jannis Androutsopoulos: Linguistic landscapes: Visuelle Mehrsprachigkeitsforschung als Impuls an die Sprachpolitik.

Das Deseret – Alphabet

Jede Person, die heute Englisch schreiben lernt, egal ob als Erst- oder Fremdsprache, fragt sich ständig: Warum schreibt man dieses oder jenes Wort so? Die heutige Schreibung des Englischen hat wenig mit der tatsächliche Aussprache zu tun. Und obwohl diese Diskrepanz fast allen bewusst ist, gibt es keine großen Bemühungen die englische Rechtschreibung zu reformieren. Dass das nicht immer so war und sich Menschen durchaus Verbesserungen initiieren wollten, zeigt ein interessantes Beispiel aus den USA: das Deseret-Alphabet.

Die beiden Entwickler, Parley Pratt und George Watt, gehörten den Mormonen an und schufen die Schrift von 1847 bis 1854 als eine Art Reform , die eine Transformation für die Gesellschaft bedeuten würde. Das Ziel war die Verbreitung des neuen Alphabetes anstelle des lateinschen.  Abgesehen von ihrer religiösen Überzeugung stellt das Alphabet eine durchaus gelungene phonetische Schreibung des Englischen dar.

Doch die Entwickler dachten schon weiter und planten die Schrift auch für andere Sprachen, woraus allerdings nichts wurde.

Die Planung für die Schaffung des Alphabets erforderte nicht nur kreative Köpfe, sondern auch große finanzielle Mittel, damit sofort mit dem Druck von Bibeltexten usw. begonnen werden konnte. Das große Netzwerk der Mormonen ermöglichte schon zu Beginn des Projekts starke Finanzmittel.

Das Deseret – Alphabet besitzt Groß- und Kleinbuchstaben, wobei der Unterschied nicht die Form, sondern ausschließlich die Größe ist. Es gibt insgesamt 40 Buchstaben, mehr als im Standardenglischen, weil vor allem mehr Vokalzeichen nötig waren.

Die Kosten für den Druck neuer Bücher und Zeitungen war einer der Hauptgründe dafür, dass das Alphabet kaum Verbreitung über die Mormonengemeinschaft hinaus fand.

Heutige Linguisten haben trotzdem ein großes Interesse an gedruckten Werken, vor allem an allem was keine direkten Übersetzungen sind. Diese Ausgaben geben einen sonst unmöglichen Einblick an die gesprochene Sprache dieser Zeit, auch wenn es regional begrenzt ist. Andere Schriftquellen, in englischer Standardrechtschreibung, können keine Aussagen über phonetische Besonderheiten des damaligen Englisch liefern. Wäre die Schrift in den ganzen Staaten verbreitet gewesen, ergäbe sich für die Dialektforschung in den USA ein unvorstellbarer Datenschatz.

Interessanteweise haben in den letzten Jahrzehnten wieder mehr Menschen Gefallen am Deseret – Alphabet gefunden. Es gibt mittlerweile auch Klassiker z.B. von Jane Austen oder Mark Twain in diesem Alphabet. Es ist nicht nur eine interessante Art zu lesen, sondern trainiert auch die Lese- und Verständnisfähigkeit, ähnlich wie das Lesen in einer Fremdsprache. Und auch wenn die Schrift nicht verbreitet ist, würden sich doch viele Kinder beim Leseerwerb des Englischen leichter tun.

Quellen

Walker, Neil Alexander. A Complete Guide to Reading and Writing the Deseret Alphabet. 2005

Wintersteen, Larry Ray. A History of the Deseret Alphabet. 1970

Die Ranen auf Rügen

Die Jaromarsäule in den Wallanlagen der
Jaromarsburg auf Kap Arkona

Eine der beliebtesten Inseln Deutschland war Jahrhunderte lang die Heimat eines heute fast vergessenen Volkes: die Ranen.

Die Ranen waren ein ostseeslawisches Volk, die wie die Pomoranen und Wilzen entlang der Ostseeküste siedelten. Ihr Hauptsiedlungsgebiet war Rügen und die Küste um Stralsund bis nach Wolgast. Dort fanden sie nach der Völkerwanderung eine neue Heimat. In nächster Nachbarschft siedelten weitere slawische Stämme. Heute geht man sicher davon aus, dass das Gebiet der heutigen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Teile von Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen so gut wie vollständig von unterschiedlichen westslawischen Völkern besiedelt war.

Die Namensherkunft der Ranen ist nicht sicher geklärt, möglicherweise lautete die Eigenbezeichnung ‚Rugani‘ oder ‚Rujani‘. Überliefert ist der Name in einem Text aus dem 11. Jahrhundert eines Chronisten.

In ihrem Herrschaftsgebiet errichteten die Ranenfürsten Wallburgen und viele Kultstätten, am bekanntesten ist die Stätte am Kap Arkona auf Rügen. Bis ins 12. Jahrhundert war die dort erbaute Jaromarsburg die wichtigste Kultstätte der Ranen. Die Ostsee hat im Laufe der Zeit große Teile der Kreidefelsen abbrechen lassen, so dass heute nur noch anhand der Reste des Walls vermutet werden kann wie groß die Anlage ursprünglich war.

Die Ranen beteten viele Götter an, unter anderem Svantevit, dem die Kultstätte am Kap Arkona gewidmet war. Im ganzen Siedlungsgebiet des Volkes befanden sich große Holzstauten mit Gottheiten z.B. Porevit und Porenut. Viele Gottheiten der Ranen hatten mehrere Köpfe bzw. Gesichter.

Als die Christianisierung des Ostseeraumes im 12. Jahrhundert voranschritt, geritten die Gottheiten in Konkurrenz zum christlichen Gott, der so anders war als die heidnischen Gottheiten. Auch ihre Unabhängigkeit büßten die slawischen Stämme mit der Zeit ein und gerieten unter dänische Herrschaft. In dieser Zeit siedelten sich immer mehr Menschen aus anderen Gebieten wie Niedersachsen, Holstein oder auch Flandern an, was nicht nur Einfluss auf die slawische Kultur hatte.

Auch die Sprache der Ranen, ein Dialekt des Polabischen, wurde durch die neuen Siedler immer weiter zurückgedrängt. Zum Beginn des 15. Jahrhunderts starb das Polabische aus. Da die Sprache nicht verschriftlicht war, sind Rückschlüsse nur durch erhaltene Orts- und Flurnamen zu ziehen. Die meisten Ortsbezeichnungen lassen sich auf slawischen Ursprung zurückführen, was die Besiedlung des Gebietes durch die Ranen und anderen Stämmen beweist.

Die slawische Bevölkerung assimilierte sich nach der Christianisierung schnell und heute sind sich die meisten der slawische Geschichte ihrer Familien kaum noch bewusst. Die Geschichte der Region erfreut in den letzten Jahrzehnten in der Forschung und bei den Hobby-Historikern wieder großer Beliebtheit.

Quellen

Ziemann, Peter. Ranen, Rügen und Meer. Die Geschichte eines versunkenen, slawischen Volksstammes. Edition Pommern, Elmenhorst/Vorpommern 2015

Petrick, Fritz. Rügen. Die Geschichte einer Insel. Wachholtz, Kiel/Hamburg 2017

Bild: Von Mars 2002 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30410684

Wilmesaurisch

Deutsch hört man in Polen nicht selten, das ist unumstritten. Doch es versteckt sich noch eine andere kleine Sprache in Schlesien, die eine kaum jemand kennt, wenn er sich nicht intensiv mit germanischer bzw. slawischer Sprachwissenschaft beschäftigt: Wymysiöeryś.

Diese Sprache, manche bezeichnen sie auch nur als mitteldeutsche Dialekt, ist mit nur knapp 100 Sprecher*innen vom Aussterben bedroht. Sie gehört zur Familie der westgermanischen Sprachen und verfügt über eine Standardschreibung.

Wymysiöeryś (deutsch Wilmesaurisch, polnisch Język wilamowski) wird von Menschen gesprochen, dessen Vorfahren im 13. Jahrhundert aus dem niederdeutschen, flämischen und friesischen Raum nach Schlesien eingewandert sind, wahrscheinlich auf Einladung eines Herrschers. Dort gründeten sie im Herzogtum Cieszyn und Oświęcim erste Siedlungen, die unter deutschem Recht standen und schnell wuchsen.

Die Bevölkerung in dieser Region war gemischt, aber im Laufe der Zeit assimilierten sich die Siedler und sprachen immer mehr polnisch, ohne jedoch ihre Herkunft zu vergessen. Noch heute erzählen die Sprecher*innen von ihrer flämischen Abstammung. Die deutsche Abstammung wird eher abgelehnt.

Trotz der Anpassung an die polnische Sprache blieb die Gruppe meist unter sich, heiratete innerhalb der Gruppe und bewahrte ihre Traditionen über die Jahrhunderte hinweg. Unter der Herrschaft Österreichs nach den polnischen Teilungen verstärkte sich die Identitätsbildung nochmals. In dieser Zeit war auch das Deutsche als Amtssprache neben Polnisch zu einem wichtigen Kommunikationsmittel, was das Wymysiöeryś immer mehr zu einer reinen Familiensprache machte.

In der Zeit der Nationalsozialisten wurden die Menschen als Deutsche in den Listen geführt, unabhängig von ihrer eigentlichen Identität. Der Sprache wurde keinerlei Beachtung von politischer Seite geschenkt. Das war aber keine Neuerung, denn kaum jemand interessierte sich in den letzten Jahrhunderten für die Sprache. Forschung gab es kaum, unter anderem existieren einige Wenker-Bögen in Wymysiöeryś. Eine Ausnahme bildet Florian Biesik, der eigentlich Eisenbahner war. Er schrieb Gedichte und Geschichten in Wymysiöeryś, was man als Beginn der Literaturgeschichte ansieht. Ihm ist unter anderem eine geregelte Orthographie zu verdanken, in der er die polnischen Buchstaben verwendete, weil sie die Lautung besser wiedergeben.

Sprachtypologisch ist Wymysiöeryś eine westgermanische Sprache. Sie verfügt über 11 Vokale und 7 Diphthonge, was viel mehr ist als im Standardpolnischen. Aus dem Polnischen haben sich aber viele palatalisierte, d.h. weiche, Konsonanten eingebürgert, die im Deutschen nicht verwendet werden.

Das Artikelsystem ist reduziert auf einen bestimmten und einen unbestimmten Artikel. Das Genussystem folgt den polnischen phonologischen Prinzipien, was auf Sprachkontakt zurückgeführt werden kann, ebenso wie die Nutzung des Verbalaspektes.  Anders als das heutige Standarddeutsch verfügt Wymysiöeryś über einen Vokativ (Ruffall), der aber selten gebraucht wird. Der Wortschatz ist größtenteils aus dem Deutschen, einige Anteile stammen aber aus dem Schlesischen und Polnischen, was durch den engen Kontakt der Sprachen zu erklären ist. Generell ist die Wortstellung wie im Deutschen, obwohl es bei Wymysiöeryś weniger streng geregelt ist und auch aus dem Polnischen gängige Stellungen möglich sind.

Die Zukunft der Sprache ist ungewiss, da die Sprecher*innen fast alle schön älter sind und die Umgebungssprache Polnisch sehr dominant ist. Doch das Interesse steigt, ebenso wie die Forschung intensiver wird. Beides sind gute Zeichen für den Erhalt dieser einzigartigen Sprache.

Quellen

Wicherkiewicz, Tomasz. The Making of a Language: The Case of the Idiom of Wilamowice, Southern Poland. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2003

Andrason, Alexnder & Król Tymoteusz. A Grammar of Wymysorys. Duke University, Slavic and East European Language Resource Center – SEELRC, 2016.

Bildquelle

Von Silar – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=110286070

Die Revitalisierung von Sprachen

Von den schätzungsweise 7000 Sprachen, die es weltweit gibt, werden es mindestens die Hälfte (manche sprechen sogar von 90%) nicht ins nächste Jahrhundert schaffen. Die Gründe dafür sind vielfältig, z.B. Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft, Vertreibung aus dem angestammten Sprachgebiet usw.

Allgemein könnte man sagen: Je kleiner eine Sprache ist, desto schwieriger ist ihr Erhalt. Kleine Sprachen haben oft wenig Prestige im Vergleich zu den Mehrheitssprachen und verfügen prozentual gesehen weniger über eine Schrift, die ihr Bestehen zumindest schriftlich dokumentieren kann.

Der Verlust von Sprachen bedeutet aber nicht nur weniger Sprachen weltweit, sondern auch den Verlust von kleinen Kulturen, Traditionen und Identität der Sprecher*innen. Es gibt Sprachen wie das Lateinische, von der wir viel Wissen und die immer Sprecher*innen hatte, wenn auch nicht als Erstsprache. In anderen Fällen wie z.B. Sprachen in Südamerika, bei dem es weder Schrift noch andere dokumentierte Quellen gibt, haben wir keine Möglichkeit die Sprache zu erforschen. Der Verlust von Sprachen wurden vorsätzlich durch Vertreibung, Ermordung und Kolonisation der Sprecher*innen in Kauf genommen bzw. sogar forciert.

Die meisten heutigen Sprachwissenschaftler*innen haben ein anderes Bild von Sprachen. Sie interessieren sich grundsätzlich für alle Sprachen und bewerten sie nicht. Mittlerweile wird auch immer mehr versucht bedrohte Sprachen zu erhalten und die Sprecher*innenzahl zu stabilisieren. Dafür gibt es verschiedene Methoden, aber das wichtigste Mittel ist die politische Unterstützung in Form von Schutzgesetzen und finanziellen Hilfen z.B. zur Ausbildung von Lehrer*innen, Sichtbarkeit in den Medien wie Radio oder Fernsehen usw. Doch ohne das Engagement motivierter Menschen werden diese Hilfen langfristig nichts bringen.

Damit das jetzt nicht zu pessimistisch klingt und alle gleich die Flinte ins Korn werfen, wollen wir uns ein paar hoffnungsvolle positive Beispiele anschauen, von denen andere Sprecher*innengruppen lernen können. Das bekannteste Beispiel einer Revitalisierung ist das Ivrit, das moderne Hebräisch. Als der Staat Israel 1948 gegründet wurde, sprachen die Menschen viele verschiedene Sprachen. Sie kamen aus der ganzen Welt, um sich in Israel niederzulassen. Von oberster Ebene wurde die Verbreitung der Sprache gefördert. Heute sprechen es fast 10 Millionen Menschen in Israel.

Auch in anderen Teilen der Welt finden wir Revitalisierungsbemühungen. Die EU hat eine Charta zum Schutz der kleinen Sprachen geschaffen, in dem sich die Mitgliedsstaaten verpflichten für den Erhalt und die Pflege aller Sprachen zu sorgen. In Deutschland betrifft das die sogenannten anerkannten Minderheitensprachen Dänisch, Niederdeutsch, Niedersorbisch, Nordfriesisch, Romanes, Saterfriesisch und Obersorbisch. Die Menschen dürfen ihre Sprachen nicht nur sprechen, sondern haben auch Anspruch auf Bildung in ihrer Sprache. Das leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der meist sehr bedrohten Sprachen.

Einige wenige ausgestorbene Sprachen Europas sind durch den Einsatz einer weniger wiederbelebt worden. Dazu zählen unter anderem Manx, eine keltische Sprache, das auf der Isle of Man gesprochen wird. Heute gibt es eine Schule und viele Kindergärten, wodurch langsam eine neue Generation von Erstsprecher*innen heranwachsen kann. An einer Standardisierung der Schriftsprache wird momentan gearbeitet, denn sie bildet die Grundlage für Lehrbücher und andere Veröffentlichungen.

Ein zweites Beispiel ist Kornisch, ebenfalls eine keltische Sprache, die in Cornwall beheimatet ist. Hier wurde zur Rettung der Sprache ein künstlicher Standard geschaffen. Das heutige Kornisch ist dementsprechend anders als das ursprüngliche, ähnlich wie beim Ivrit. Mittlerweile kann man kurze Radiobeiträge in Kornisch hören, außerdem gibt es fakultativen Unterricht. Anders als bei Manx sind die kleinen Gruppen untereinander zerstritten, wenn es um linguistische Fragen und Sprachneuerungen geht. Das schwächt ihre Position und bremst die Revitalisierung aus.

Ob sich viele bedrohte Sprachen retten lassen, ist nicht vorherzusehen. Es braucht viel Engagement, Zeit und vor allem politischen Willen, um solche Projekte umzusetzen. Das Wichtigste ist den Menschen ihre Sprache nutzbar zu machen, damit sie sie im Alltag sprechen und sich nicht gezwungen fühlen die Mehrheitssprache zu verwenden!

Quellen

Haarmann, Harald. Lexikon der untergegangenen Sprachen (= Beck’sche Reihe. 1456). Beck, München 2002

Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen: Gesamtverzeichnis

Sprache im Wandel – Muss das sein?

Keiner kann bestreiten, dass sich Sprache stetig verändert. Die Veränderungen unserer Gesellschaften, der Umwelt und unsere persönliche Entwicklung bewirken einen Wandel, der sich durch die gesamte Sprachgeschichte zieht.

Am einfachsten kann man Sprachwandel natürlich im Verlauf betrachten. Wie wurde vor 60, 100 oder sogar vor 250 Jahren gesprochen? Um das zu ermitteln, schauen sich Linguisten alte Quellen wie Briefe an, die eine gewisse Mündlichkeit zeigen. Dokumente wie Urkunden, Berichte oder Inventarlisten lassen nur wenig Interpretationsspielraum zu.

Sprachliche Innovationen auf lexikalischer Ebene treten naturgemäß häufig auf, unterliegen aber meist nicht dem Sprachwandel auf pragmatischer Ebene. Seit die technischen Möglichkeiten es erlauben auch mündliche Sprachdaten zu archivieren und zu analysieren, kann sich die Forschung dem Sprachwandel auf mündlicher Ebene völlig neu nähern.

In welcher Weise kann man heute eine Veränderung in der Sprache wahrnehmen?

Die deutlichste Veränderung sind, wie schon erwähnt, neue Wörter. Das können Entlehnungen oder Neukreationen sein, die sich ganz selbstverständlich in unseren Sprachgebrauch schleichen. Auch Umdeutungen oder der Ersatz von Begriffen durch „coolere“ sind Teil des Sprachwandels. Viele Menschen sehen das als eine Art Generationswechsel, der meist akzeptiert wird.

Kommt dann aber auch noch eine Veränderung im Bereich der Grammatik dazu, ist bei vielen das Ende der Toleranz erreicht. Nebensätze, die eigentlich eine Verbletztstellung verlangen (Ich meine hier das Standarddeutsche), werden zusehends wie Hauptsätze gebildet. So hört man beispielsweise immer häufiger: Ich komme heute nicht zur Vorlesung, weil ich bin krank. Je öfter man solche ‚neuen‘ Konstruktionen zu hören bekommt, desto eher neigt man dazu sie als korrekt zu akzeptieren und eventuell sogar irgendwann selbst zu verwenden.

Solche und andere Prozesse sind in jeder Sprache zu beobachten. Sprachen neigen generell zu Vereinfachung. Schon unsere sprachlichen Vorfahren wie das Germanische passte sich mit der Zeit an und vereinfachte z.B. das Kasussystem oder die Anzahl an Konsonanten. Nahverwandte Sprachen wie das Englische oder das Dänische kennen die ursprünglich indoeuropäische Unterscheidung zwischen Maskulinum, Femininum und Neutrum nicht mehr. Das bedeutet nicht automatisch, dass diese Prozesse irgendwann auch im Deutschen umgesetzt werden, zeigt aber die sprachlichen Möglichkeiten.

Auch die Art und Weise wie wir miteinander sprechen, verändert sich. Das ist keine Frage von neuen Wörtern oder einer veränderten Grammatik, sondern einer gesellschaftlichen Veränderung. Das früher übliche ‚Sie‘ ist in vielen Situationen dem informellen ‚Du‘ gewichen, was besonders die älteren Sprecher*innen als unangebracht empfinden. In diesem Fall zähle ich mich auch zu den Älteren, während mich andere Veränderungen weniger stören.

Einige Beispiele, die ich durchaus angemessen finde, sind gendersensible Sprache oder die Nutzung entlehnter Wörter, solange sie sich ins deutsche Sprachsystem eingliedern lassen. Auch die Sprachökonomie spielt eine Rolle. Natürlich könnte ich ‚Brotröster‘ und ‚Baumwollhemd mit kurzen Ärmeln‘ sagen, aber ‚Toaster‘ und ‚T-Shirt‘ ist einfach schneller.

Manche mögen es Verfall der Sprache nennen. Für mich als Linguistin ist der Sprachwandel kein Dämon, den es zu bekämpfen gilt. Und wenn wir uns in der Sprachgeschichte, egal in welcher Sprache, umschauen, erkennen wir die Unaufhaltbarkeit des Sprachwandels.

Marija Prymatschenko 

Dass Krieg auch Kunst nicht verschont, zeigt das Beispiel der Werke einer der bekanntesten ukrainischen Künstlerin des letzten Jahrhunderts: Marija Oksentijiwna Prymatschenko.  

Ende 1908 in eine Bauernfamilie geboren, wuchs Marija Prymatschenko in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Ihre Kindheit im Dorf, das in der Nähe von Kyiv liegt, ließ eigentlich keinen Raum für Kunst. Mit vier Jahren erkrankte Marija an Kinderlähmung, deren Folgen sie ihr Leben lang einschränkten. Doch schon als Kind entdeckte sie ihr künstlerisches Talent, ihre Mutter und Großmutter brachten ihr sticken, zeichnen und malen bei. Auch die Liebe zur Natur bot ihr Inspiration. Über das Sticken fand Marija Prymatschenko Anschluss an Künstlerkreise und eine Förderin, die Künstlerin Tetiana Floru, lud sie 1935 nach Kyiv ein.

Dort versuchte sich Marija Prymatschenko vermehrt in der Malerei, obwohl sie der Stickerei immer treu blieb. Sie bekam ein Stipendium und konnte sich intensiver mit ukrainischer Kunst zu beschäftigen. Die Ausstellungen Mitte der 1930er Jahre, in Moskau, Warschau und Paris, machten Marija Prymatschenko über die Grenzen der Sowjetunion bekannt.

Kurz darauf lernte sie Vasyl Marynchuk kennen, mit dem sie einen Sohn hatte. Noch vor der Heirat wurde Vasyl zur Armee eingezogen und fiel kurz darauf. Marija ging daraufhin mit ihrem kleinen Sohn nach Iwankiw.

Im Laufe ihres Lebens erhielt die Künstlerin zahlreiche Auszeichnungen und Preise, unter anderem die Goldmedaille 1937 der Pariser Weltausstellung und den Taras-Schewtschenko-Preis.

Ihre Werke sind inspiriert von der Natur, Märchen und Legenden. Sie zeigt besonders viele traditionelle Motive, die eine identitätsstiftende Wirkung auf die Menschen in der Ukraine erzeugt. Mit der Zeit wurden die Bilder immer farbenfroher und kontrastreicher. Auch kurze Sprüche bzw. Sätze schrieb Marija Prymatschenko auf Werke aus ihrer späteren Schaffenszeit.

Marija Prymatschenko starb 1997 in Bolotnja in der Nähe von Kyiv. Sie hinterlässt eine große Sammlung von Bildern, Stickereien und anderen Gegenständen mit ihrer Kunst. Ihre Nachfahren traten in ihre Fußstapfen, ihr Sohn und ihre Enkel sind alles bekannte Künstler. Als Anerkennung ihrer Kunst erscheinen in der Ukraine regelmäßig Briemarken mit ihren Werken. Sogar ein Planet wurde 1998 nach ihr benannt.

Der Großteil ihrer Bilder kann man in Kyiv besichtigen. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges wurde das Iwankiw-Museum von Raketen getroffen, in dem auch viele ihrer Bilder ausgestellt sind. Viele Werke wurden dabei zerstört, aber einige konnten aus den Flammen retten werden. Der kulturelle Schaden solcher Angriffe, die alle möglichen Institutionen in der Ukraine betreffen, kann nur geschätzt werden.

Das ukrainische Museum in New York hat 2023 eine große Ausstellung mit Prymatschenkos Bilder und vieler weiterer Kunstgegenstände gezeigt. Einige weniger Bekannte Werke sind heute in Privatbesitz und werden nur selten gezeigt, unter anderem 2022 im Ukrainischen Haus in Kyiv.

Quellen

Ruban, Marija. Marija Prymatschenko (Wydatni ukrajinzi. Ljudy, jaki tworyly istoriju). Ahenzija IRIO, Kyjiw 2020

https://ukrmystetstvo.blogspot.com/2012/07/blog-post_9.html

Karpatenvorland

Die polnische Verwaltungsreform von 1999 hat die Gliederung des Landes stark verändert. Im Südosten entstand aus drei kleineren Woiwodschaften die große Woiwodschaft Karpatenvorland, polnisch Województwo podkarpackie. Sie grenzt an die Slowakei und die Ukraine, was sich besonders in der Sprachenlandschaft und der Geschichte der Region zeigt.

Wie der Name schon verrät, liegt die Region im Gebiet der Karpaten. Das Gebiet ist von Nord ausgehend hügelig, Ausläufer der Roztocze-Kette, bis zum südlichen Teil, der in den Karpatengebirgszug übergeht. Dieses Gebirge zieht sich weiter durch die Slowakei und die Ukraine bis nach Rumänien. Zahlreiche Flüsse durchziehen die Woiwodschaft, der größte ist der San, der später in die Weichsel mündet. Die Region konnte durch die hohen Niederschlagsmengen in den Bergen in den tiefer gelegenen Landstrichen optimale Bedingungen für Wassertourismus schaffen. Auch die vielen Naturschutzgebiete, u.a. der Bieszczady-Nationalpark, sind ein Paradies für Naturliebhaber.

Große Teile der heutigen Woiwodschaft gehörten vor den polnischen Teilungen zu Kleinpolen. Nach den Teilungen lag die Region im habsburgischen Einflussbereich und bildeten den zentralen Teil Galiziens. Durch die verschiedenen Mächte, die in der Region wirkten, gilt das Karpatenvorland als eine Art Schmelztiegel. In früherer Zeit lebte viele Juden besonders in der Stadt Rzeszów bis zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Nähe zur Ukraine führte 2022 zu einer Welle von Flüchtlingen nach Rzeszów, da sie eine der wenigen Großstädte in Grenznähe ist.

Die Woiwodschaft ist nur dünn besiedelt. Etwa die Hälfte der Einwohner*innen lebt in Städten, die meisten in der einzigen Großstadt der Region: Rzeszów. Interessanterweise ist die Lebenserwartung im Vorkarpatenvorland die höchste in ganz Polen.

Wirtschaftlich ist die Region ein wichtiger Standort. Der Abbau von Rohstoffen wie Schwefel und kleinen Mengen an Erdgas sowie Industriezweige z.B. Maschinenbau und Luftfahrttechnik sind neben der Landwirtschaft große Wirtschaftsgaranten. Der Tourismus ist durch die vielen Schutzgebiete und die Berge ein Magnet für Touristen aus aller Welt.

Neben der Amtssprache Polnisch werden in der Region auch Slowakisch und Ukrainisch gesprochen, was nicht nur historisch bedingt ist, sondern auch den aktuellen Gegebenheiten geschuldet ist. Das Gebiet gehört allgemein zum Dialektgebiet des Kleinpolnischen, doch auch die Gruppe der neu-gemischten Dialekte findet sich vor allem an der Grenzlinie, was sich auf die Umsiedlung der polnischen Bevölkerung aus den ehemalig polnischen Gebieten weiter im Osten zurückzuführen lässt. In der Forschung sind diese Dialekte noch nicht hinreichend erforscht, weil es vor den Zerfall der Sowjetunion nicht als Forschungsgegenstand angesehen wurde und heute nur schwer umsetzbar ist, da bei der Umsiedlung nicht auf sprachliche Gruppen geachtet wurde. Das Forschungsfeld der neu-gemischten Dialekte (übrigens auch im Norden und Westen Polens zu finden) würde auch die Arbeit von Historikern erfordern, um die Herkunft der Sprecher*innen korrekt zu ermitteln.

Das Wappen zeigt einen silbernen Greif auf rotem Grund und einen goldenen Löwen auf blauem Grund, über denen ein weißes Tatzenkreuz steht. Der Greif ist das Wappentier der ehemaligen Woiwodschaft Bels (polnisch Bełz), der Löwe der historischen Woiwodschaft Ruthenien (Ruskie).

Quellen

Heyde, Jürgen. Geschichte Polens. Beck, München 2006

Website der Woiwodschaft Karpatenvorland: https://rzeszow.uw.gov.pl/

Minderheiten in Litauen

Im Vergleich zu Deutschland ist Litauen ein recht kleines Land. Aber es hat eine lange und wechselhafte Geschichte und darum auch so viele nationale Minderheiten. Der heutige Staat Litauen ist mit der Größe des historischen Litauens nicht zu vergleichen, doch trotzdem leben in Litauen zahlreiche nationale Minderheiten, die meisten davon schon seit vielen Generationen.

Im baltischen Raum hatte Litauen schon lange vor den andere Staaten Lettland und Estland ein eigenes Staatswesen und dementsprechend eine Rechtsprechung, die sich auch für die Minderheiten verantwortlich fühlte. Einige Minderheiten wie Polen oder Russen spielten früher oft bedeutende Rollen in der litauischen Politik.

Von den 3 Millionen Einwohnern Litauens sind ca. 85% ethnische Litauer. Die Zahl hat sich in den letzten Jahrzehnten leicht erhöht, da die Zahl der Minderheitsangehörigen rückläufig ist. Gründe dafür sind unter anderem der Zerfall der Sowjetunion und die Abwanderung nicht- litauischer Gruppen in andere Staaten wie Deutschland oder Russland. Seit dem EU-Beitritt Litauens im Mai 2004 ist eine vermehrte Rückkehr von Litauer*innen aus dem Ausland nach Litauen zu erkennen, was mit der verbesserten Wirtschaftslage des Landes zu tun hat.

Der Status der Minderheiten ist in der litauischen Verfassung geregelt. Schon 1922 wurden Minderheiten, die eine bestimmte Größe hatten, grundlegende Rechte wie Bildung und Vereinsgründungen gewährt, auch eine staatliche finanzielle Unterstützung war inbegriffen. Diese Privilegien wurden leider schon wenige Jahre später massiv eingeschränkt, nachdem sich Antanas Smetona 1926 an die Macht putschte und das Land diktatorisch regierte. Die deutsche Besatzung Litauens verbesserte die Situation der Minderheiten nicht, mit Ausnahme der deutschen Minderheit.

Nach dem Ende des II. Weltkrieges stand Litauen unter sowjetischer Kontrolle, zum Vorteil für die russische Minderheit. Die Zahl der litauischen Einwohner verringerte sich u a. durch Deportationen. Doch während den Litauer nach und nach bestimmte Rechte in Bezug auf ihre Sprache und Kultur zugestanden wurden, verloren alle anderen Minderheiten ihre Rechte. Der Zerfall der Sowjetunion ermöglichte die Stärkung der Minderheitenrechte in Litauen. Schon Ende 1989 trat ein Minderheitenschutzgesetz in Kraft.

Damit waren aber bei Weitem nicht alle Differenzen der Bevölkerung beigelegt. Relativ große Minderheiten wie die russische und polnische hatten im neuen politischen System keine einfache Position, was die Beziehungen der Länder zueinander belastete.

Seit 1992 verbietet die Verfassung Litauens die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit. Artikel 37 erlaubt allen Volksgruppen die freie Ausübung ihrer Kultur und Sprache. Alle Angelegenheiten sollen die Minderheiten selbstständig regeln. Unterstützung wird vom Staat zwar zugesagt, aber nicht genauer definiert. Damit sind Minderheiten, die sich nicht auf Unterstützung eines Nationalstaat als ‚ursprüngliches Herkunftsland‘ stützen können, eindeutig im Nachteil.  

Außerdem hat Litauen bisher die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen weder unterschrieben noch sonst eine Gesetzesgrundlage innerhalb des litauischen Staatsgebietes geschaffen.

Die letzte Volkzählung ist aus dem Jahr 2021. Die größte Minderheit ist die polnische, die zwischen 6-7% der Bevölkerung Litauens ausmachen. Ähnlich groß (5%) ist die russische Minderheit, die aber seit 1989 deutlich abgenommen hat. Andere Gruppen wie Deutsche, Tataren oder Letten machen zusammen kaum 1% der Bevölkerung aus und sind gut integriert.

Quellen

Schmidt, Carmen. Minderheitenschutz im östlichen Europa Litauen: https://iorr.uni-koeln.de/sites/ostrecht/forschung/Minderheitenschutz_im_oestlichen_Europa/Litauen_Schmidt.pdf

Litauische Verfassung: https://www.verfassungen.eu/lt/index.htm

Der Stintkönig

Tiere sind in jedem Kulturkreis fester Bestandteil der Sagen- und Legendenwelt. In Masuren, dem Land der tausend Seen, liegt die kleine Stadt Mikołajki (der frühere Name war Nikolaiken), die ein ganz besonderes Wappentier besitzt: den Stintkönig oder Król Sielaw.

Mikołajki liegt mitten in Masuren, ist nach dem Schutzpatron der Fischer, dem Sankt Nikolaus, benannt und trägt ein Wappen mit einem Fisch. Da ist nicht verwunderlich, dass auch die bekannteste Sage der Stadt von einem Fisch handelt.  Es existieren verschiedene Versionen, mal mit blauen (d.h. könglichen) Blut mittendrin, mal ohne.

Früher lebten die meisten Menschen in der Region vom Fischfang. Sie fuhren in kleinen Booten raus auf den See, jedoch nie zu weit. Im See sollte ein riesiger Fisch, der Stintkönig, leben und die Fischer hatten Angst vor ihm. Der Fisch konnte ihre Boote umwerfen und viele Menschen konnten damals nicht schwimmen, selbst die Fischer nicht. Mit der Zeit wurden die Boote größer und die Fischer mutiger. Sie fuhren weiter auf den See raus, um mehr zu fischen.  Das verärgerte den Stintkönig, der sich von den Fischern sehr gestört fühlte. Er warf die Boote um, was die Fischer so verängstigte, dass sie es nicht mehr wagten im See zu fischen.

Doch ohne den See und das Fischen verloren die Menschen ihre Lebensgrundlage und verarmten. Viele verließen ihre Heimat und zogen weg. Eine Fischersfrau wollte dieses Elend beenden und brachte dem Gott Puskaitis ein Lamm als Opfer dar. Sie betete lange und bemerkte dann eine Metallscheibe neben sich, die sie mit nach Hause nahm. Ihr Mann fertigte daraus eine Metallnetz, band es an zwei Baumstämme und fuhr zum Fischen auf den See.

Der Stintkönig wurde rasend vor Wut als er den Fischer bemerkte und wollte sein Boot versenken, doch er verfing sich im Netz des Fischers. So gefangen und hilflos, musste der Stinthengst sich seinem Schicksal fügen und wurde von dem Fischer in die Stad gebracht, wo ein Gericht über ihn urteilte. Die vielen zerstörten Boote und die dadurch verursachte Not der Menschen ließen das Gericht das Todesurteil fällen. Der Stintkönig flehte um sein Leben und appelierte an die Menschen, dass sein Tod auch das Verschwinden aller anderen Fische im See zur Folge haben werde. Die Menschen lenkten daraufhin ein und sahen vom Todesurteil ab.

Seit diesem Tag blieb der Stintkönig gefangen und wurde an der Stadtbrücke angebunden. Dort lebt er bis heute und sorgt für den bescheidenen Reichtum der Menschen in der Stadt.

Die Brücke, an der der Stintkönig lebte, ist im Krieg zerstört worden. Nach dem Wiederaufbau der Brücke schwamm der Fisch wieder an einem der Brückenpfeiler, bis heute. Die Bewohner*innen der Stadt sind überzeugt, dass ihre Stadt so lange wirtschaftlich erfolgreich ist wie der Stintkönig dort lebt.

In der Stadt gibt es zu Ehren des Stintkönigs einen Brunnen in dessen Mitte eine Skulptur zu sehen ist. Außerdem kann man den Stintkönig an der Stadtbrücke begrüßen, auch wenn sich sein Aussehen mit der Zeit verändert hat.

Die Geschichte zeugt von der Verbundenheit von Mensch und Tier, wie abhängig alle voneinander sind und welche Wertschätzung Fische in der Region haben. Heute sind die Masuren ein Touristenmagnet und genau deshalb ist der Schutz der Natur in der Region ein großes Anliegen der Menschen, die dort leben. Ohne ausreichenden Naturschutz verschlechtert sich die Lebensqualität und das führt zum Einbruch der Touristenzahlen.

Wer mal nach Mikołajki kommt, sollte dem Stintkönig unbedingt einen Besuch abstatten. Er ist an seiner Krone, mit der er durch das Wasser schwimmt, schon von Weitem zu erkennen!

Quellen

Lihs,Helmut. Rund um den Nikolaiker Stinthengst. In: Erlebtes Ostpreußen, Erinnerungsbilder aus fünf Jahrzehnten. Hrsg. Wilhelm Matull, Leer 1997

https://web.archive.org/web/20070928063529/http://www.mikolajki.pl/deutsch/miasto_de.htm