Akzent = schlechte Sprache?

Wer in Großstädten wie Berlin oder Hamburg unterwegs ist, hört nicht nur viele Sprachen, sondern auch viele Dialekte und Akzente. Als Linguistin höre ich oft ganz besonders hin, vor allem bei Akzenten.

Der Begriff ‚Akzent‘ kann unterschiedlich genutzt werden. Einmal bezeichnet er die Betonung von Wörtern oder auch Sätzen, was wir unter anderen aus Gedichten kennen. Andererseits ist der Akzent aber auch ein Merkmal von Dialekten und Sprecher*innen einer Fremdsprache. Wenn wir eine Sprache lernen, z.B. in der Schule, ist es schwierig diese Sprache akzentfrei zu sprechen. Das hängt u.a. mit dem Erwerbsalter zusammen. Kinder, die bilingual aufwachsen, haben meist in keiner ihrer Sprachen einen Akzent.

Ich selber spreche jede meiner Fremdsprachen mit Akzent, das werde ich auch nicht ändern können. Und so geht es den meisten Menschen, egal welche Sprache sie lernen. Doch wie wird eine Person wahrgenommen, wenn sie eine Sprache mit Akzent spricht? Dieser Frage wurde in unzähligen Studien nachgegangen. Unter anderem hat ein Forscherteam herausgefunden, dass Kinder Spielkameraden bevorzugen, wenn sie dieselbe Sprache ohne Akzent sprechen, unabhängig vom Aussehen, Geschlecht oder ob sie die Kinder kennen.

Doch wie ist die Wahrnehmung Erwachsener auf Sprechergruppen mit Akzent? Das sieht die Sache nämlich schon anders aus. Ähnlich wie Sprachen ein höheres oder niedriges Prestige besitzen, beeinflussen auch Akzente unsere Wahrnehmung und Einschätzung unseres Gegenübers.

Spricht eine Person mit einem bestimmten Akzent, glauben wir zu hören, dass sie die Sprache nicht gut beherrscht und weniger kompetent sei. Das ist ein Trugschluss, denn der Akzent hängt weder mit den Kenntnissen der Sprache noch mit dem Bildungsgrad zusammen, sondern meist mit dem Erwerbsalter. Und es ist auch kein Geheimnis, dass wir bestimmte Akzente z.B. einem französischen, als wohlklingender bewerten als andere.

Wir hören unseren eigenen Akzent beim Sprechen einer Fremdsprache aber nicht genauso wie unser Gegenüber, daher ist es schwierig den eigenen Akzent einzuschätzen. Bei anderen hören wir es natürlich, wenn es sich entweder um unsere Erstsprache oder eine Fremdsprache, die wir gut beherrschen, handelt. Würden wir uns selbst als weniger kompetent einschätzen, nur weil wir einen Akzent im Englischen oder Polnischen haben? Wahrscheinlich nicht. Aber bei anderen haben wir einen Grammatik-Tinnitus und urteilen anhand des Akzentes.

Und gegen dieses Problem haben Sprechergruppen mit einem Fremdsprachenakzent sogar noch mehr zu kämpfen, wenn sie noch das „passende“ Aussehen mitbringen. Wir sind so sozialisiert, dass wir das Aussehen einer Person mit bestimmten Charaktereigenschaften oder einem Bildungsgrad assoziieren. Machen wir uns dieser Sache bewusst, können wir viel offener und neutraler in Kommunikationssituationen gehen.

Quellen

Katherine D. Kinzler et al. Accent trumps race in guiding children’s social preferences. In: Social cognition. Band 27, Nr. 4, August 2009, S. 623–634

https://taz.de/Berlins-Buergermeisterkandidat-Saleh/!5034466

Beowulf

Die Kultur eines Landes oder einer Region definiert sich oft über ihre Literatur. In England ist ein Werk dabei besonders beliebt: das Heldenepos ‚Beowulf‘.

Das Beowulf-Epos stammt wahrscheinlich aus dem 8. Jahrhundert und umfasst über dreitausend Verse, geschrieben in Stabreimen. Es ist eins der wenigen überlieferten Schriften aus dieser Zeit in angelsächsischer Sprache. Es wird angenommen, dass die Sprache des Epos einen Dialekt aus dem Königreich Mercia entspricht.

Die einzig verbliebene Originalhandschrift wird London aufbewahrt. Anhand der Schrift kann man von zwei unterschiedlichen Schreibern dieses letzten Stückes ausgehen. Es existieren einige Abschriften jüngeren Datums, da das Originaldokument zu wertvoll und fragil ist, um an ihm zu forschen. Ursprünglich hatte das Epos auch keinen Titel, was zu damaliger Zeit so üblich war.

In Beowulf mischen sich fiktive mit historischen Figuren, was die Altersbestimmung des Epos zeitlich und auch geografisch begrenzt. Der Protagonist ist Beowulf, der dem germanischen Volk der Gauten (es ist unklar, ob es ein eigenes Volk war oder damit die Goten oder Jüten gemeint sind) angehört. Die geografischen Gegebenheiten weisen auf Schweden und Dänemark als Handlungsort hin.

Im ersten Teil des Gedichtes kommt Beowulf mit seinen Gefolgsleuten König Hrothar zu Hilfe, weil er und sein Volk immer wieder von einem Ungeheuer namens Grendel angegriffen werden. Das Ungeheuer kommt in die große Halle und tötet die dort feiernden Menschen. Scheinbar können die Schwerter der Krieger Grendel nichts anhaben. Der Held Beowulf reißt ihm einen Arm aus und Grendel flieht schwer verwundet. Seine auf Rache sinnende Mutter kommt daraufhin in die Halle und tötet einige Krieger, bevor sie in ihre Höhle unter einem See flieht. Dorthin folgen ihr Beowulf und sein Gefolge, doch nur er taucht in den See hinab, wo ein blutiger Kampf entbrennt. Mit seinem eigenen Schwert kann er Grendels Mutter nicht verwunden, also nimmt er ein magisches Schwert aus dem Schatz der Mutter und schlägt ihr den Kopf ab. Als er dann auch noch den verwundeten Grendel findet, tötet er ihn ebenfalls mit diesem Schwert.

Der zweite Teil spielt etliche Jahre später als Beowulf, nun als König der Gauten, gegen einen Drachen kämpft. Dieser Drache terrorisiert das Land, weil jemand etwas aus seinem Schatz gestohlen hat. Beowulf macht sich auf den Drachen zu töten, wird aber in der Höhle von diesem überrascht und angegriffen. Er erleidet dabei schwere Verletzungen, schafft es aber mit seinem treuen Gefolgsmann Wiglaf den Drachen zu töten. Kurzdarauf stirb Beowulf an den Verletzungen des Kampfes. Den Schatz wird zusammen mit Beowulf in einem Grabhügel vergraben.

In dem Epos spielgelt sich der klassische Kampf Gut vs. Böse wider, wobei nicht nur das Können des Helden sondern auch das Schicksal einen große Rolle spielt. Es treten Figuren der nordischen Mythologie auf, während die Menschen schon ein christlich geprägtes Leben führen. Die Eigenschaften Beowulfs wie Tapferkeit, Mut und Ehre zeigen ein aus anderen Sagen und Legenden übliches gesellschaftliches Bild eines Mannes.

Viele Literaturgelehrte und Autoren ließen sich von dieser Geschichte inspirieren und schufen ähnliche Werke wie z.B. ‚Der Hobbit‘ von J.R.R. Tolkien. Doch auch schon im Mittelalter selbst, kamen ähnliche Heldengeschichten wie das Nibelungenlied, dessen Ähnlichkeit sich kaum abstreiten lässt, in Umlauf und erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit.

Das Motiv des Drachen ist schon um einiges älter als Beowulf oder das Nibelungenlied, doch die Faszination für mythische Wesen bleibt über die Zeit hinweg erhalten.  

Quellen

Frey, Johannes. Beowulf. Das angelsächsische Heldenlied. Reclam, Stuttgart 2013

Millet, Victor. Germanische Heldendichtung im Mittelalter. Walter de Gruyter, Berlin 2008

Jahresrückblick 2024

Noch habe ich noch nicht genug Jahresrückblicke geschrieben, um es als Tradition zu bezeichnen, also arbeite ich dran! Wenn ich in den Artikel vom letzten Jahr anschaue, war dieses Jahr etwas ruhiger, zumindest in meinem Privatleben.

Es galt das Jahr ausgewogen zwischen Familie, Arbeit und Uni zu planen. Im Herbst 2023 begann mein Masterstudium, es drängten keine Abgaben. Ich konnte 2024 ganz entspannt angehen, bis auf eine Ausnahme, die mich ziemlich unter Druck setzte: Die C1-Prüfung für meine Hauptstudiensprache Polnisch im Juli. Im Januar hatte ich das Gefühl, es sei noch eine Ewigkeit bis Juli. Kam dann aber doch schneller als erwartet. Seit dem Frühjahr hatte ich auf diese mündliche Prüfung hingearbeitet und sie lief wirklich gut. Die anderen Prüfungen und Hausarbeiten waren zum Glück nicht so arbeitsintensiv, aber das Niveau zieht im Master etwas an.

Obwohl ich nicht wenig Kurse belegt haben, konnte ich mich auch der Arbeit in der Fachschaft widmen, die mir großen Spaß macht. Seit diesem Jahr ist unsere kleine Fachschaft auf ca. 10 Aktive angewachsen, was die Arbeit viel leichter macht. Wir organisieren jetzt regelmäßige Sprachcafés und andere Veranstaltungen, die gut besucht sind. Auch die Zusammenarbeit mit unseren Dozierenden ist dieses Jahr intensiver geworden. Ein Highlight war die Expolingua, auf der sich unser Institut zum ersten Mal vorstellen konnte.

Zusätzlich zu meinem eigentlichen Master ‚Slawische Sprachen‘ habe ich mich im Frühjahr dazu entschieden noch ein Zertifikationsstudium zu absolvieren, um Deutsch als Fremd- und Zweitsprache unterrichten zu können. Es wird parallel zum Hauptstudium angeboten und eröffnet mir eine neue Perspektive nach dem Studium. Besonders gespannt bin ich auf das Praktikum, was Teil des Curriculums ist. Aufgrund meiner beruflichen Erfahrung interessiert mich der Bereich der beruflichen Bildung besonders und ich hoffe, dass ich dort einen Praktikumsplatz bekomme. Je nach Planung werde ich das Zertifikat Ende des Sommer- oder des nächsten Wintersemesters fertigmachen, je nachdem wie die Kurse geplant werden und ob ich in allen einen Platz bekomme.

Und als ob das noch nicht genug Arbeit wäre, wollte ich im Bereich der Revitalisierung des Niedersorbischen aktiver werden. Ich habe schon lange überlegt, was sich da neben dem Studium anbieten würden und meinen Zeitrahmen nicht sprengen würden. Ich entschied mich also einen Niedersorbisch-Lernaccount auf Instagram zu starten, um auch andere Menschen mit meiner Leidenschaft für das Niedersorbische anzustecken! Und außerdem existierte ein solcher Account noch nicht, was ihn mir bei dieser dramatischen Sprachsituation des Niedersorbischen absolut notwendig erscheinen lässt. Die intensive Beschäftigung mit den sprachlichen Inhalten des Accounts hilft mir sehr beim Lernen am Ball zu bleiben und mich mit anderen Lernenden zu vernetzen.

Privat war auch einiges los, allem voran der Schulabschluss und Ausbildungsbeginn meines ältesten Sohnes! Das war für mich als Mama fast aufregender als für ihn!

Mit Vorsätzen für das neue Jahr bin ich ja immer etwas zurückhaltend, weil sie sowieso spätestens im Februar über Bord geworfen werden. Aber ich plane schon einige Termine und setzte mir konkrete Ziele, was ich im neuen Jahr erreichen will. Dazu gehört u.a. der Niedersorbischkurs im Sommer und die B1-Prüfung im Herbst!

Ich danke allen, die meinen Blog und meine Arbeit in den sozialen Medien unterstützen! Lasst uns die Neugier und Leselust auch im Jahr 2025 bewahren!

Armenisch

Die Kaukasusregion beheimatet viele Völker und Sprachen, die in Europa kaum bekannt sind. Eine von diesen Sprachen wird von mehr Menschen außerhalb als innerhalb des Landes gesprochen: Armenisch.

Die Sprache ist Teil der indoeuropäischen Sprachfamilie und wird weltweit von ca. 9 Millionen Menschen gesprochen. Davon machen die Sprecher*innen in Armenien selbst nur knapp 3 Millionen aus. Die größten Sprecher*innengruppen leben in Russland, den USA und Frankreich.

Durch die wechselhafte Geschichte Armeniens bzw. der Sprecherinnen des Armenischen findet man große Einflüsse aus iranischen und anderen Sprachen z.B. dem Phrygischen oder Hurritischen. Die Forschung geht deshalb auch davon aus, dass Gruppen der ‚Urarmenier‘ aus Richtung Osten in das heutige Siedlungsgebiet eingewandert sind, vermutlich um 700 v. Chr.

Erste Belege des Armenischen fand man auf der Inschrift von Behistān aus dem 6. Jahrhundert v.Chr., das sogenannte Altarmenisch.  Ab der Zeit standen die Armenier für etwa 1000 Jahre unter iranischer Herrschaft, was den Einfluss des Iranischen auf das Armenische mehr als erklärt.

Die Christianisierung, wahrscheinlich durch König Trdat III in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts n.Chr., brachte die armenische Sprache in Hinsicht auf die Schaffung einer standardisierten Schriftsprache einen großen Schritt voran. Vorreiter dieser Aufgabe war im 5. Jahrhundert Mesrob Maschtoz, der die Bibel ins Armenische übersetzte. Es entstanden weitere Schriften wie eine geschichtliche, philosophische und religiöse Werke. Zwischen dem 12. Und 18. Jahrhundert entwickelte sich aus dem Altarmenische, das heute noch im religiösen Kontext Anwendung findet, in eine alltagssprachliche Form, genannt Mittel- oder kilikisches Armenisch.

Die wechselnde Herrschaft des heutigen armenischen Staatsgebiet ließ schon seit dem späten Mittelalter die Diaspora eine zentrale Rolle beim Erhalt der armenischen Kultur und Sprache einnehmen. Unter anderem erschienen Druckerzeugnisse in Venedig und Wien. Unter dem Einfluss Russlands im 19. Jahrhundert erfuhren die Armenier eine massive Russifizierung, die Weiterentwicklung der eigenen Sprache und Literatur war kaum möglich. Abermals waren die Armenier im Ausland die treibende Kraft in dieser Sache. Trotzdem erhielt sich das Armenische als Alltags- und Familiensprache neben dem Russischen als Amtssprache.

Heute existieren zwei Standardvarietäten, Ost- und Westarmenisch. Das Westarmenische zu großen Teilen ist die Sprache der Diaspora. Durch die Trennung entwickelten sich lautliche und morphologische Unterschiede, zusätzlich wurde durch die Kontaktsprachen der Diaspora auch noch auf den Wortschatz Einfluss genommen.

Das Lautsystem des Armenischen kennt 26 Konsonanten und 7 Vokale, also ein Umfang der vielen europäischen Sprachen ähnelt. Das Altarmenische wurde wahrscheinlich ganz anders ausgesprochen als das heutige, vor allem von kaukasischen und Turksprachen beeinflusste, Neuarmenisch. Die Standardbetonung liegt auf der letzten Silbe.

Das Kasussystem ist mit sieben Fällen recht komplex, was eine flexible Wortstellung ermöglicht. Generell wird eine SVO-Stellung (Subjekt-Verb-Objekt) als Basis angenommen. Die Sprache kennt kein Genussystem. Außerdem gibt es ein Artikelsystem, aber anders als im Deutschen, und vermehrt Verbformen, die mit Hilfsverben gebildet werden. Der Wortschatz basiert zwar auf dem Altarmenischen, jedoch ist historisch ein großer Anteil iranisch und kaukasisch sowie russisch entlehnt.

Geschrieben wird Armenisch in einer von Mesrob Maschtoz entwickelten Schrift, die aus 39 Buchstaben besteht. Man geht davon aus, dass vorher keine Schrift des Armenischen existiert hat. Die armenische Schrift könnte vom griechischen, aber auch von semitischen Schriften beeinflusst worden sein. Heute stellt die Schrift ein hohes Identifikationsmerkmal der Armenier dar und wird auch künstlerisch verwendet.

Quellen

Eggenstein-Harutunian, Margret: Lehrbuch der armenischen Sprache. 3. Auflage, Helmut Buske, Hamburg 2007

Schulze, Wolfgang. Armenisch. In Miloš Okuka (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt 2002

Seit wann spricht der Mensch?

Weltweit gibt es circa 7000 Sprachen, zumindest von denen wir wissen. Viele Sprachen sind gut erforscht, andere noch gar nicht. Doch eine Frage steht hinter allem: Wo kommt die menschliche Sprache eigentlich her? Und seit wann sprechen wir überhaupt?

Eine Welt ohne Sprache können wir uns heute nicht vorstellen. Unsere Gesellschaften funktionieren nur durch Kommunikation, die dafür sorgt, dass wir unseren Kindern abstrakte Dinge erklären oder auch ein Buch lesen können.

Wenn wir verstehen wollen, wo unsere Sprache herkommt, sind zwei Aspekte klar: Erstens müssen viele Wissenschaftsdisziplinen, z.B. die Biologie, Linguistik oder Anthropologie, ihr Wissen zusammenbringen und zweitens muss allen klar sein, dass es keine verlässlichen Quellen aus so frühen Zeiten zu finden sind. Alle Theorien stützen sich auf Hypothesen, die nur schwer beweisbar sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles an den Haaren herbeigezogen ist.  

Die menschliche Sprache ist eine sehr komplexe Sache, die wir uns sicherlich nicht einfach so angeeignet haben, und schon gar nicht eine bestimmte Sprache. Man muss sich zuerst fragen was genau als Sprache definiert werden kann. Gilt eine Lautabfolge ohne direkten Bezug als Sprache?  Sind einzelne Wörter oder erst Sätze eine Sprache?

Fakt ist, dass Menschen bzw. ihre Vorfahren in irgendeiner Weise kommunizieren mussten, um ihr Leben zu organisieren, z.B. durch Gesten. Doch es ist schwierig den genauen Zeitpunkt oder besser Zeitraum festzustellen, an dem die Sprache Teil des menschlichen Lebens wurde. Es wird davon ausgegangen, dass dies mit den ersten bewiesenen Vorkommen des Menschen vor 200.000 Jahren übereinstimmen könnte, denn an den Funden lassen sich Schlüsse über die Anatomie und die funktionale Sprechfähigkeit ziehen. Vor etwa 60.000 Jahren verließen Menschengruppen Afrika und verbreiteten sich über den gesamten Globus.

Da alle Menschen dieselbe Sprachlernfähigkeit aufweisen, muss die Sprache also vor der weltweiten Verbreitung ein Teil der Menschen gewesen sein. Die verschiedenen Gruppen haben dann mit der Zeit verschiedenste Variationen von Sprache in Bezug auf phonologische Regeln, Wortstellung, Lexik usw. entwickelt, die die heutige Sprachvielfalt zeigt.

Man kann sich aber die Frage stellen ob auch andere Spezies wie der Neandertaler über Sprache verfügten, denn auch die lebten in Gemeinschaften zusammen, was eine Kommunikation sicher nötig machte. Auch wenn Menschen und ihre frühen Verwandten wesentlich mehr Hirnmasse als viele Menschenaffen aufweisen und damit mehr Kapazitäten für die Sprechfähigkeit haben, ist nicht klar welche Spezies außer dem Homo sapiens noch sprechen konnte und es auch tat.

In der Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass die Fähigkeit zum Sprechen von der Fähigkeit zur Sprache unterschiedlich zu betrachten sind. Anatomisch gesehen eignet sich der Bau des menschlichen Vokaltraktes (Rachen- Nasen- und Mundraum) optimal zum Sprechen, anders als z.B. bei Schimpansen. Dieser Fakt spricht für das Vorhandensein von Sprache bei allen Menschenarten, die diese anatomische Eigenschaft besaßen.

Die Funde von Höhlenmalereien und anderen Kulturtechniken und komplexen Werkzeugen legen Vermutungen nahe, dass Menschen schon seit 200.000 Jahren durch Sprache kommunizieren. All diese Techniken weitergeben zu können, erfordern mehr Kompetenzen als das Lernen am Modell. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass vor der Lautsprache nicht auch eine Art Gebärdensprache existiert hat wie sie z.B. Schimpansen in der Lage sind zu lernen.

Unabhängig davon, wie die Menschen zu Beginn der Menschheitsgeschichte kommuniziert haben, ist der Zweck von allen Arten von Sprache das Gelingen der Kommunikation zwischen Individuen. Und die Mengen an gesprochenen und gebärdeten Sprache ist ein großartiger Beweis für den menschlichen Drang zu kommunizieren!

Quellen

Trotzke, Andreas. Sprachevolution – Eine Einführung. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2017

Lenneberg, Eric. Biologische Grundlagen der Sprache. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996

Deutsche Sprachinsel in Irland

Die Auswanderung von Deutschen nach Amerika oder Australien ist allen bekannt. Aber viele Deutsche suchten in Europa nach einer neuen Heimat z.B. im Vereinigten Königreich.

Die ersten Jahre des 18. Jahrhunderts waren in Europa durch besonders harte Winter geprägt, was für eine schlechte Ernährungslage der Menschen, besonders in Mittel- und Osteuropa, sorgte. Auch Kriege und die noch wenig ausgeprägte Religionstoleranz in vielen Teilen des deutschsprachigen Gebietes waren Gründe für ganze Familien ihr Glück in der Fremde zu suchen.

Doch nicht alle wagten den großen Schritt über die Ozeane, zumal es sich viele schlechthin nicht leisten konnten. Die Reise innerhalb Europas war eher realisierbar. Die Menschen hörten von der Möglichkeit nach England zu gehen, um dort ein besseres Auskommen zu haben. Die Regierung des Vereinten Königreiches versprach u.a. Land zum Siedeln, religiöse Toleranz und Steuerfreiheit für zehn Jahre. Vor allem die durch Steuern hoch belastete Bevölkerung der Kurpfalz, ein zerstückeltes Gebiet an der Mosel und dem Mittelrhein mit den Städten Heidelberg und Mannheim, fasste den Entschluss einen Versuch zu wagen.

Sie machten sich im Frühling 1709 in großen Gruppen, die Quellen sprechen von mehreren Tausend, auf den Weg über die Niederlande nach England. Diese unerwarteten Menschenmassen mussten von der britischen Regierung nicht nur untergebracht, sondern auch verpflegt werden.

Einige hundert Menschen schickte man sofort zurück, weil sie katholisch waren und laut Gesetz nicht aufgenommen werden durften. Die anderen Neuankömmlinge wurden auf verschiedene Regionen aufgeteilt. Die jeweiligen Provinzverwaltungen versuchten die Kurpfälzer in Lohn und Brot zu bringen, doch die Stimmung unter den Menschen wurde zusehends schlechter.

Nach kurzer Zeit wurden die Menschen entweder nach Amerika weitergeschickt oder sie traten den Weg nach Irland an. Dort wurden sie als Arbeitskräfte dringend gebraucht. Nach der Ankunft in Irland wies die für die Einwanderer zuständige Kommission den Menschen Arbeit u.a. im Bausektor und der Landwirtschaft zu. Das Klima in Irland war milder als die Kurpfälzer es aus der Heimat kannten, die Landwirtschaft war ertragreicher und daher auf Arbeitskräfte angewiesen. Trotzdem verließen viele das Land nach kurzer Zeit wieder. Die verbleibenden gut 300 Familien wurden im Süd-Westen Irland in der Grafschaft Limerick (irisch Luimneach) angesiedelt.

Die ersten Siedlungen entstanden rund um Rathkeale. In der neuen Heimat blieben die Kurpfälzer lange Zeit unter sich, was u.a. mit ihrer Konfession zu tun hatte, denn die Iren war mehrheitlich katholisch. Auch von Seiten der englischen Krone, die den irischen Katholiken skeptisch gegenüberstand, waren die protestantischen Siedler willkommen.

Der Erfolg der Siedlungen in der Grafschaft Limerick sind, anders als in anderen Gegenden Irlands und Englands, auf die anfängliche Unterstützung der Regionalverwaltung zurückzuführen. Der Anbau der Hanf und die Rinderhaltung sicherten den Kurpfälzern ein gutes Auskommen. Von den Familien, die sich dort niederließen, wurden schon wenige Jahre später zahlreiche eingebürgert.

Sie bewahrten ihre deutsche Sprache und Traditionen fast ein Jahrhundert lang. Anders als in den USA oder Australien kamen in den folgenden Jahren keine neuen Siedler aus der alten Heimat nach Irland. Mit der Zeit mischten sich dann die deutsche und irische Bevölkerung, so dass ab etwa 1850 nur noch deutsche Namen an die deutschen Auswanderer erinnern.  

Quellen

Berend, Nina & Knipf-Komlósi, Elisabeth. Sprachinseln-The World of Language Islands. Peter Lang. Frankfurt am Main 2006

Heimrath, Ralf & Kremer, Arndt (Hrsg.): Insularity. Small Worlds in Linguistic and Cultural Perspectives. Königshausen und Neumann, Würzburg 2015

Dezső Kosztolányi

Die europäische Literatur wäre nicht komplett ohne die Einflüsse der Ungarn und ihrer Schriftsteller*innen.  Einer der bedeutendsten ungarischen Schriftsteller des letzten Jahrhunderts war Dezső Kosztolányi, dessen Einfluss in Ungarn bis heute zu spüren ist.

Kosztolányi wurde am 29. März 1885 in Szabadka geboren. Damals war gehörte das Gebiet zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie, heute ist es eine Stadt in Serbien. Der Vater Kosztolányis war Lehrer für Naturwissenschaften und in der Familie gab es einige Schriftsteller, z.B. seinen Cousin Géza Csáth.

In der Schule hatte der junge Dezső Schwierigkeiten wegen seines Betragens und musste die Schule verlassen. Sein Abitur legte er privat ab. Danach begann er 1903 ein Studium der Literaturwissenschaft in Budapest. Dort lernte er u.a. Mihály Babits und Gyula Juhász kennen, beides bedeutende ungarische Schriftsteller.

1904 ging er an die Universität in Wien, um sich intensiv u.a. mit Hegels Philosophie und deutschsprachiger Literatur zu beschäftigen. Ein Jahr später kehrte er nach Budapest zurück, brach das Studium ab und arbeitet als freier Journalist.

Kosztolányi schrieb für verschiedene Zeitungen, seine allererste Veröffentlichung, ein Gedicht, wurde jedoch schon zu Schulzeiten gedruckt. Als er für seinen Wehrdienst eingezogen wurde, erklärte ihn sein Vorgesetzter nach einem Gespräch für untauglich und entließ ihn aus dem Militärdienst. Danach widmete er sich wieder seiner Arbeit, veröffentlichte 1907 die erste Gedichtsammlung Négy fal között, die bei der Leserschaft gut ankam.

1910 lernte Kosztolányi die Schauspielerin Ilona Harmos kennen und sie heirateten 1913. Ihr Sohn Adam wurde im Frühjahr 1915 geboren. Wegen des Krieges musste Kosztolányi nochmals zur Musterung, wurde aber wieder ausgemustert.

In den folgenden Jahren veröffentlichte er zahlreiche Romane, Erzählungen und Gedichte. Außerdem übersetzte er viele Werke aus dem Englischen z.B. Alice im Wunderland und Romeo und Julia ins Ungarische.

Dezső Kosztolányi starb am 3. November 1936 in Budapest aufgrund einer Krebserkrankung.

Viele seiner Werke sind mittlerweile ins Deutsche übersetzt z.B. Der kleptomanische Übersetzer und andere Geschichten, Lerche, Die Abenteuer des Kornél Esti oder Anna Édes. Kosztolányi Schreibstil ist elegant, seine Texte sind reich an Humor und genauen Charakterbeobachtungen. Auch die Sprache und die Stilmittel in seinen Texten zeugen von Kosztolányis Scharfsinn und Können.

Quellen
Relle, Agnes. Bestiarium Hungariae : hier und dort – ungarische Identitäten. Ed. die Horen im Wirtschaftsverl. NW. Bremerhaven,1999


Keresztury, Dezsö. Die neueste ungarische Literatur: 1914-1933 / Von Dezsö von Keresztury. de Gruyter. Berlin 1933

Die Prignitz

Im Nordwesten Brandenburgs liegt die Prignitz, eine Region mit bewegter Geschichte. Heute gehören einige kleinere Teile der historischen Prignitz zu Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern aufgrund einer Neuaufteilung Anfang der 90er Jahre.

Die Prignitz ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands. Die größten und wichtigsten Städte sind Wittenberge, Wittstock/Dosse, Pritzwalk, Perleberg, und Kyritz, die alle auf slawische Besiedlungen zurückgehen, wie einige Namen noch erkennen lassen. Die Region war früher fast vollständig bewaldet, die heutigen Kulturlandschaften schafften die Menschen im Zuge von Land- und Forstwirtschaft. Die Elbe stellte den Lebensarm dar, ebenso wie kleinere Flüsse wie die Havel oder die Dosse und viele Seen, deren Entstehung auf eiszeitlichen Veränderungen zurückgehen.

Der Name ‚Prignitz‘ stammt vom Altpolabischen ‚pregynica‘ und kann mit ‚unwegsamer Wald‘ übersetzt werden. Das Gebiet war schon zur Mittelsteinzeit besiedelt, aber es finden sich auch viele Spuren aus jüngeren Zeiten. Römische Geschichtsschreiber berichteten über germanische Stämme wie den Sueben, die während der Völkerwanderung die Region in Richtung Süden verließen. In deren Gebiet wanderten ab dem 6/7. Jahrhundert slawische Stämme wie die Lutizen oder Heveller ein.

Urkundlich wird die Prignitz erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts erwähnt, als Teil der Mark Brandenburg und des Bistums Havelberg. Als Teil der Mark war die Prignitz Schauplatz von kriegerischen Auseinandersetzungen, in die ländlichen Gebiete fielen im Spätmittelalter immer wieder Raubritter ein. Die Städte waren zu schwach, um sich aktiv zu Wehr setzen zu können, obwohl sie teilweise Hansestädte mit einer besseren wirtschaftlichen Stellung waren.

Erst ab dem 16. Jahrhundert kehrte mit der Herrschaft von Friedrich II., genannt Eisenzahn, etwas Ruhe ein. Der 30jährige Krieg verwüstete die ohnehin schwache Region, von der sie sich kaum erholte. Als Teil Preußens war die Prignitz eingebunden in den strengen Verwaltungsapparat.

Heute zählt die Region zu den schwächsten Deutschlands, betroffen von starker Abwanderung. Es gibt nur wenig Industrie, dafür viel Landwirtschaft, kleine Unternehmen und Handwerk. Touristisch ist die Region noch nicht voll erschlossen, bietet aber viele Möglichkeiten für Sport- und Wandertouristen. Die kleinen Städte bieten viele kulturelle Highlights fern ab vom Großstadtrummel. Auch die über 30 Naturschutzgebiete der Region halten spannende Naturerlebnisse bereit.

Das in der Region von den slawischen Stämmen gesprochene Polabisch, oft auch als Elbslawisch bezeichnet, ist wahrscheinlich schon vor dem 17. Jahrhunderts ausgestorben. Die dortigen Siedler aus den Niederlanden und Norddeutschland brachten das Plattdeutsche mit, was zur Verdrängung des Polabischen führte. Heute hört man in der Prignitz aber auch nur noch selten Plattdeutsch, obwohl es einen besonderen Schutzstatus hat.

Das Wappen der Prignitz ist zweigeteilt. Der obere Teil zeigt eine silberne Gans mit acht Perlen auf rotem Grund, der untere Teil bildet einen schwarzen Wolf auf silbernen Grund ab. Die gewellte Linie symbolisiert die Elbe.

Quellen

Enders, Lieselott. Die Prignitz. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert. Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 2000

Geschichte des Landkreises Prignitz – kurzer siedlungs-, kunst- und kulturgeschichtlicher Überblick

Die Expolingua 2024

Letztes Jahr war ich als Teilnehmerin auf der Expolingua, einer Messe rund um das Thema Sprachen und Sprachenlernen. Für dieses Jahr stand ein größeres Projekt an: Das Institut für Slawistik & Hungarologie der Humboldt-Universität war als Aussteller mit dabei, mit mir als Organisatorin.

Das Wichtigste vorab: Ich habe den organisatorischen Aufwand völlig unterschätzt, aber es hat sich gelohnt! Die zahlreichen E-Mails, der Kostenantrag, die Kostenbewilligung und die Überzeugungsarbeit, die im Vorfeld geleistet wurde, musste ich neben dem Studium und der Arbeit irgendwie unterbringen. Und je näher die Messe rückte, desto mehr Energie steckte ich in die Materialbeschaffung und die Organisation der Standteams.

Die Expolingua vereint mehrere Bereiche und spricht ganz unterschiedliche Zielgruppen an. Für uns als Institut für Slawistik & Hungarologie waren besonders Studien- und Sprachinteressierte als Zielgruppe relevant. Mein Ziel war es die Sichtbarkeit der Sprachen Mittel- und Osteuropas sichtbar zu machen, denn sie kommen auf solchen Messen oft zu kurz.

Die Messe findet immer freitags und samstags statt. Das bedeutet, dass beide Tage sehr unterschiedliche Leute auf der Messe sind, freitags viele Schulklassen und samstags eher Einzelpersonen. Dementsprechend haben wir uns vorbereitet. Wir haben Material über das Studium bei uns, verschiedene Sprachen und einige Give-aways eingepackt, dazu noch Plakate zur besseren Wiedererkennung des Standes.

Freitag früh musste das Material rechtzeitig auf der Messe sein. Wir haben den Stand zusammenaufgebaut und kurz vor zehn strömten die ersten Schulklassen über die Messe. Die ersten zwei Stunden kamen wir kaum zu Atem, weil die Menge der Besucher riesig war. Am Nachmittag hielt unser Professor Roland Meyer einen Vortrag zum Thema ‚Interkomprehension- Eine slawische Sprache sprechen, alle verstehen‘, der sehr gut angenommen wurde.

Der Samstag startete ruhiger, die meisten Leute kamen erst gegen 11.30 Uhr, schlenderten ganz gemütlich und blieben hier und da stehen. Viele ließen sich gerne von uns über das Studium und unsere Sprachenvielfalt informieren, einige Ehemalige kamen sogar vorbei und erzählen von alten Zeiten am Institut.

Als Austeller hat man weniger Zeit sich andere Stände anzuschauen, aber eine kleine Runde und ein Plausch hier und da mussten sein. Wir konnten uns am Stand immer abwechseln, so dass jeder sich umschauen oder sich einen der vielen Vorträge anhören konnte.

Meine persönlichen Highlights waren die Gespräche am Stand der Stiftung des sorbischen Volkes und der Vortrag von Maksimilian Hasacki vom Projekt ‚Zorja‘. Das Projekt beschäftigt sich mit der Revitalisierung des Niedersorbischen und ist ein absolutes Novum in Deutschland.

Eine Messe ist auch immer Networking, so ich konnte viele Leute endlich persönlich kennenlernen, die ich nur digital kennen. Für die nächsten Monate stehen also schon ein paar spannende Projekte und Zusammenarbeiten an! Aber mehr wird noch nicht verraten …

Ist der Begriff ‚Muttersprache‘ noch zeitgemäß?

Jedes Jahr am 21. Februar feiern wir den UNESCO-Tag der Muttersprache. Aber was genau bedeutet der Begriff ‚Muttersprache‘ eigentlich und warum wird er in der Sprachwissenschaft so kritisch gesehen?

Den Ursprung des Wortes kann man heute nicht mehr klar nachweisen, eine Lehnübersetzung vom lateinischen ‚lingua materna‘ wäre eine Möglichkeit. Aber das Wort ‚Muttersprache‘ lässt sich nicht in alle Sprachen übersetzen. Einige Sprachen nutzen den Begriff ‚Vatersprache‘ wie z.B. das Polnische (język ojczysty) oder zwei Varianten wie z.B. Latein (sermo patrius oder lingua matera).

Das Konzept scheint also etwas mit den nächsten Verwandten, meist die Eltern, zu tun zu haben. Dabei ist in vielen Kulturen die Mutter, zumindest in den ersten Jahren, die engste Bezugsperson eines Kindes. Doch auch andere Personen wie die Tanten, Großeltern usw. umsorgen in vielen Kulturen ein Kind und sorgen für sprachlichen Input, der nicht immer einsprachig ist. Außerdem gibt es weltweit viele Familienkonzepte, die den Begriff ‚Muttersprache‘ nicht rechtfertigen.

In der Wissenschaft hat sich mittlerweile der neutrale Begriff ‚Erstsprache‘ oder ‚L1-Sprache‘ durchgesetzt, der keine direkte Zuordnung zur Mutter aufweist, sondern die zuerst erlernte Sprache beschreibt. Es ist natürlich möglich, dass ein Kind mehrere Erstsprachen erwirbt z.B. in einer bilingualen Familie und beide Sprachen gleichberechtigt gesprochen und verstanden werden. Studien zeigen, dass monolingual aufwachsende Kinder weltweit eher die Ausnahmen sind.

Umgangssprachlich ist Mutter- oder Vatersprache weit verbreitet und wird im allgemeinen Kontext mit der Bedeutung ‚Erstsprache‘ genutzt. Auch in anderen Konstruktionen wie ‚eine Sprache auf muttersprachlichem Niveau beherrschen‘ finden wir diesen Begriff im Alltag.

Nun kann man sich fragen, wer sich an der Bezeichnung ‚Muttersprache‘ wirklich stört. Im Alltag wahrscheinlich die wenigsten. Aber in der Sprachwissenschaft, besonders der Spracherwerbsforschung ist man übereingekommen die Sprachen nach dem Prinzip Erstsprache-Zweitsprache-Fremdsprache zu klassifizieren, um ein neutrales Konzept zu schaffen.

Viele sehen in dem Begriff ‚Muttersprache‘ eine veraltete Zuordnung klassischer Rollenbilder: Die Mutter kümmert sich um das Kind und das Kind erwirbt dann die Sprache der Mutter. Auch wenn uns diese Zuordnung natürlich erscheint und in vielen Fällen auch stimmt, beschreibt es nicht die weltweite Norm.

Außerdem überwiegt oft noch die Auffassung, Kinder sollten erstmal eine Sprache richtig lernen, um dann weitere Sprachen zu erwerben. Dass aber Kinder so flexibel sind und schon als Babys verschiedene Sprachen unterscheiden und den Bezugspersonen zuordnen können, z.B. anhand der Sprachmelodie oder bestimmten Lautfolgen, zeigt ihre kognitive Fähigkeit sich nicht nur auf die Sprache der Mutter oder einer anderen Person zu beschränken. In diesen Fällen ist die Muttersprache vielleicht gar nicht die Erstsprache, sondern eine der anderen Familiensprachen. Hier greift die Bezeichnung Erstsprache also viel besser, denn sie beschreibt neutraler in welcher Sprache sich ein Kind bewegt.

Ein anderer Punkt, der oft im politischen Kontext eine Rolle spielt, ist die Zuordnung durch Sprache. Spricht ein Mensch zwei Erstsprachen und wird nach seiner Muttersprache gefragt, was wird er wohl antworten? Gibt er die Sprache seiner Mutter an, wenn er überhaupt spricht? Oder ist es dann die Sprache, von der er glaubt, sie an besten zu beherrschen. Historisch war es oft vorteilhaft, die Mehrheitssprache als ‚Muttersprache‘ anzugeben, auch wenn es nicht die wirkliche Erstsprache war. Zumal meist nur eine Antwort zugelassen war und alle anderen Sprachen einer Person nicht erfasst wurden. Das erschuf eine statistische Einsprachigkeit der Menschen, die nicht die Realität abbildete.  

Welchen Begriff man heute verwenden möchte, steht natürlich jedem frei und in der Umgangssprache ist Mutter- oder Vatersprache an weitesten verbreitet. Doch wenn der Begriff z.B. auf ein spezifisches Familienmodell nicht passt, sollten auch andere Begriffe wie Familiensprache, Erstsprache oder Herkunftssprache verwendet werden können, die die Situation vielleicht besser beschreiben.

Quellen

Jung, Britta & Günther, Herbert. Erstsprache, Zweitsprache, Fremdsprache: Eine Einführung. Beltz, Weinheim/ Basel 2004

Kauschke, Christina. Kindlicher Spracherwerb im Deutschen: Verläufe, Forschungsmethoden, Erklärungsansätze. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2012