Ukrainisch – eine multikulturelle Sprache

Spätestens seit dem 24. Februar 2022 weiß jeder wo die Ukraine liegt. Doch viel mehr wissen die meisten nicht über dieses Land, seine Kultur oder seine Sprache.

Ukrainisch gehört zur slawischen Sprachfamilie, ein Zweig des Indoeuropäischen. Früher wurde das Ukrainische auch ‚Ruthenisch‘ oder ‚Kleinrussisch‘ genannt. Vor allem die Bezeichnung ‚Kleinrussisch‘ ist nicht mehr üblich und wird von vielen Ukrainern abgelehnt, denn sie zeugt von der russischen Vorherrschaft der letzten Jahrhunderte.

Die ukrainische Sprache wurde am 24. Februar 1991 zur alleinigen Amtssprache der Ukraine erklärt. Damit trat sie aus dem Schatten des Russischen, das bis dahin die Hauptsprache in Verwaltung und Schulwesen war. Schritt für Schritt übernahm man Ukrainisch in allen Bereichen der Verwaltung, Bildung etc.

Die Sprecherzahl des Ukrainischen setzt sich aus drei Gruppen zusammen: Die in der Ukraine lebenden Ukrainer, die Ukrainisch als Muttersprache sprechen; die in den Nachbarstaaten lebenden Ukrainer und die weltweit verstreuten ukrainisch sprechenden Menschen (mit und ohne ukrainische Staatsbürgerschaft). Insgesamt geht man von etwa 35 Millionen Muttersprachler*innen aus. Dazu kommen bis zu 10 Millionen Menschen, die Ukrainisch als Zweitsprache sprechen. In der Ukraine steigt die Zahl der Ukrainisch-Sprecher seit 30 Jahren an, was auf die stärkere Präsenz der Sprache im öffentlichen Leben zurückzuführen ist.

Durch die historischen Gegebenheiten kann man nur schwer von dem einen Ukrainisch sprechen. Die Sprache vereint viele Dialekte, die oft von den Einflüssen der Nachbarsprachen zeugen, vor allem dem Russischen im Osten und dem Polnischen im Westen des Landes. Doch nicht nur der historisch enge Kontakt ist dafür verantwortlich, sondern auch der sprachtypologische.

Das Ukrainische verwendet das kyrillische Alphabet mit 33 Buchstaben, mit ein paar kleinen Unterschieden zum russischen Alphabet: die im Russischen verwendeten Buchstaben /ё/, /ъ/, /ы/ und „э“ gibt es im Ukrainischen nicht, dafür gibt es aber /ґ/ (wie g), /є/, /і/ und /ї/.

Die Schreibung des Ukrainischen folgt vor allem dem morphonologischen Prinzip und weist eine hohe phonetische Orthografie auf.

Die Phoneme unterteilen sich in 32 Konsonanten und 6 Vokale, wobei die Tatsache, dass die Vokale den Akzent beinhalten, die Qualität der Vokale verändern (was aber im Schriftbild nicht sichtbar wird).

Die 32 konsonantischen Phoneme erscheinen zuerst recht viel, relativieren sich aber, wenn man das paarige Vorkommen der Dentallaute (insgesamt schon 18) betrachtet, z.B.  /d→d‘/, /s→s‘/, /n→n‘/ usw. (Ich verwende lateinische Buchstaben, um die Palatalisierung klarer zu machen.)

Anders als in vielen slawischen Sprachen werden im Ukrainischen manche Konsonanten gedehnt, d.h. lang ausgesprochen, wie wir das im Deutschen mit Doppelkonsonanten kennen. Auch die zahlreichen Stimmtonassimilationen des Slawischen trifft man nicht durchgehend, es fehlen beispielsweise die Auslautverhärtung und die Stimmhaftigkeitsverlust der (stimmhaften) Obstruenten.

In der ukrainischen Grammatik erkennt man Parallelen zu den sprachlichen Nachbarn: 3 Genera, 7 Kasus und der typische Synkretismus innerhalb der Paradigmen, Aspektpaare der Verben und die produktive Verwendung von Suffixen zur Bildung von Verben. Außerdem entstehen Neuschöpfungen meist durch Derivation, nicht nur bei den Verben. Die zugrunde liegende Wortstellung ist SVO, ist aber nicht so fest wie z.B. in den germanischen Sprachen.

Die Lexik basiert natürlich auf dem urslawischen Erbwortschatz, wird jedoch durch die wechselhafte Geschichte durch zahlreiche fremdsprachliche Einflüsse ergänzt. Vor allem das Polnische hinterließ Spuren, aber erst recht spät im 16./17. Jahrhundert. Durch die Einflüsse aus dem Westen traten auch Internationalismen aus dem Französischen, Lateinischen oder Deutschen (‚майстер‘ – ‚Meister‘). Entgegen den Erwartungen zeigte das Kirchenslawische nur wenig Einflussnahme auf die Sprache, trotz der Vormachtstellung in der Kiewer Rus-Phase. Auch Entlehnungen aus den Turksprachen sind zu finden, sie zeigen die geschichtliche Einflussnahme der Kosaken. Mit der Erstarkung des Russischen stieg auch der Einfluss auf das Ukrainische, so dass man häufig sprachliche Doppelungen findet.

Diese Ähnlichkeiten zur russischen Sprache lässt auf den ersten Blick den Gedanken aufkommen, Ukrainisch sei doch Russisch, aber Ukrainisch weist eindeutige Unterschiede, in allen Bereichen, zum Russischen auf und etablierte sich nach 1991 zu einer festen Größe im europäischen Raum. Die Aktivität zahlreicher ukrainischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die Beachtung im (west-) europäischen Ausland und der Stolz des ukrainischen Volkes auf seine Sprache weisen eine eindeutige Richtung!

Quellen

Amir-Babenko, Svetlana: Lehrbuch der ukrainischen Sprache. Buske, Hamburg 2007

Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10). Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

2 Kommentare

  1. Hallo Lena,
    ich habe den Beitrag mit Interesse gelesen. Kannst du vielleicht ukrainische Schriftsteller*innen, die über Land und Leute schreiben, empfehlen?
    LG

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