Sorbische Sprachinseln in Australien

Die großen Auswanderungswellen des 19. Jahrhunderts erfassten große Teile der Bevölkerung des deutschen Kaiserreiches. Finanzielle Nöte, schlechte Ernten, Glaubenskonflikte und viele andere Gründe bewegten die Menschen dazu alles hinter sich zu lassen und in der Ferne ein neues Leben zu beginnen. Die unterschiedlichen Gruppen brachten aus ihrer Heimat nicht nur die Sehnsucht eines besseren Lebens mit, sondern auch ihre Bräuche, Traditionen und Sprachen. Es entstanden in der neuen Heimat kleine Sprachinseln, weit weg vom Kerngebiet der Sprache.

Auch aus dem sorbischen Siedlungsgebiet machten sich mehrere tausend Menschen, genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, auf die Reise ins Ungewisse. Die gesellschaftlichen Strukturen im deutschen Kaiserreich veränderten sich zusehends. Viele Sorben auf dem Land, vor allem in der Niederlausitz, lebten in großer Armut, arbeiteten als Tagelöhner, Knechte oder Mägde, ohne die Chance zu haben gesellschaftlich auszusteigen. Es ist also nicht verwunderlich, dass sie empfänglich waren für Erzählungen von Land und Freiheit. Die Sorben aus der Oberlausitz hatten eher mit Glaubensfragen zu kämpfen, die sie in die Ferne zog. Galten doch die klassischen Auswanderungsländer wie Amerika und Australien als liberal in religiösen Fragen.

Die ersten Auswanderungsgruppen machten sich 1848 auf den Weg nach Australien. Nach monatelanger Vorbereitung (Ausreisepapiere besorgen, evtl. sein Land verkaufen etc.) dauerte die Reise mit dem Schiff nochmal einige Monate und für viele war schon die Fahrt aus der Heimat bis zu den großen deutschen Häfen wie Hamburg die erste Reise ihres Lebens. Auf den Schiffen herrschten Enge, Schmutz und Langeweile. Die Route führte über Rio de Janeiro, zur Aufstockung der Vorräte, nach Melbourne im Bundesstaat Victoria. Von dort aus fuhren die sorbischen Auswanderer ins Landesinnere oder in die benachbarten Bundesstaaten New South Wales oder South Australia. Wer mit Geld aus der Heimat kam, konnte Land erwerben, doch viele Ärmere verdingten sich als Arbeiter auf Farmen oder in Städten wie Adelaide, Portland oder Melbourne. Aufgrund fehlender Englisch-Kenntnisse waren die Menschen oft Opfer von Ausbeutung.  

Die Anfänge für die Landwirte waren schwer, da das Land erst urbar gemacht werden mussten und das Baumaterial für Behausungen knapp war. Der Wassermangel machte den Landwirten die Bewirtschaftung zu einer nie dagewesenen Kraftanstrengung.  Einige wenige schafften es dennoch sich Rinder- oder Schafsherden auszubauen und gelangten zu einem gewissen Wohlstand.

Das größte Problem für die sorbischen Auswanderer war die fehlende geistliche Unterstützung. Den meisten Auswanderungsgruppen fehlte der geistliche Beistand, denn es war schwer einen Geistlichen zu überzeugen mit ihnen zusammen auszuwandern. Und weil viele Sorben unterschiedlichen Glaubensrichtungen z.B. Altlutheraner und reformierten Lutheranern anhingen, schlossen sich die Gemeinden auch nicht zusammen. Daraus resultierten nur kleine Gemeinden, die alleine kaum überlebensfähig waren. Sie schlossen sich im Laufe der Zeit mit deutschen Gemeinden zusammen, die ihnen aber zahlenmäßig weit überlegen waren.

Erste Siedlungen wurden in der Nähe von Penshurst (Siedlung Gnadenthal) und Bethanien (Siedlung Rosenthal) errichtet, weitere kleinere wie Walla Walla in New South Wales folgten, wurden aber oft nach einigen Jahren wieder aufgegeben. Die Lebensbedingungen waren oft einfach zu schlecht, das Land schwer zu bewirtschaften oder es fehlten Arbeitskräfte.

In der neuen Heimat verloren die sorbischen Bräuche und Traditionen schnell an Bedeutung. Die Sorben passten sich schnell die deutschen Siedler an, trugen die sorbischen Trachten selten und feierten ihre Feste auf andere Art. Die Jahreszeiten waren in Australien verkehrt herum, Weihnachten im heißen Sommer zu feiern kam vielen unwirklich vor. Die alten Legenden und Geschichten verloren hier an Bedeutung, es fehlten auch Medien wie Bücher, um dieses Wissen weiterzugeben.

Auch die sorbischen Sprachen (Nieder- und Obersorbisch) hatten einen denkbar ungünstigen Stand. Durch die wenigen Geistlichen, die in Sorbisch predigten, wichen die Auswanderer und ihre Nachkommen auf deutsche Gottesdienste aus. Die Verwaltung Australiens war außerdem englischsprachig. Die Kinder in den sorbischen Gemeinden sprachen meist nur zu Hause Sorbisch, manchmal lernten sie es auch in der Schule lesen und schreiben, aber nach einigen Generationen verlor das Sorbische auch seinen Status als Familiensprache. Im familiären Umfeld war das Deutsche einfach zu dominant. Viele Mischehen zwischen Sorben und Deutschen verstärkten diese Tendenz. Oft konnten Kinder zwar noch sorbische Lieder oder Gebete singen, verstanden aber die Sprache im Alltag nicht und gaben sie schließlich auch nicht an die nächste Generation weiter. Lediglich Briefe an die Verwandten wurden auf Sorbisch geschrieben, bis die Sprecher*innen es schriftlich nicht mehr beherrschten.

Der australische Staat hatte natürlich kein Interesse an der Erhaltung des Sorbischen. Die komplette Verwaltung in den Städten und höhere Bildungseinrichtungen funktionierten nur auf Englisch. Genaue Zahlen der Sorbischsprecher*innen existierten. Die letzten Muttersprachler*innen starben, nach Schätzungen, etwa in den 1930er Jahren. Heute finden sich nur einige Grabsteine mit sorbischen Inschriften, sonstige Zeugnisse sind kaum erhalten.

Quellen

Kunze, Peter. Kurze Geschichte der Sorben. Ein kulturhistorischer Überblick. Domowina Verlag, Bautzen 2017

Malinkowa, Trudla. Ufer der Hoffnung. Sorbische Auswanderer nach Übersee. Domowina-Verlag. Bautzen 1995

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