Niederdeutsch

Dass in Deutschland nicht nur Deutsch gesprochen wird, ist sicherlich allen klar. Neben Sprachen mit großen Sprecherzahlen, z.B. Polnisch oder Türkisch, sind in Deutschland mehrere Sprachen als Regional- und Minderheitensprachen anerkannt. Eine davon, anerkannt als Regionalsprache, ist Niederdeutsch.

Niederdeutsch wird auch Plattdeutsch (in den Varietäten auch Plattdütsch, Plattduitsk, in den USA Plautdietsch) genannt und hat, je nach Zählweise, bis zu 8 Millionen Sprecher*innen. Das hört sich viel an, hängt aber von den Kenntnissen ab und verteilt sich aber über den ganzen Globus. In Deutschland sprechen es schätzungsweise 5-6 Millionen Menschen, etwa 2 Millionen in den Niederlanden und eine halbe Million in Übersee v.a. in Brasilien.

Der Name Niederdeutsch wird als geografische Bezeichnung verstanden, da die Sprache in den niedrig liegenden Regionen, d.h. vor allem im Norden Deutschlands, gesprochen wird. Anders als die bundesdeutsche Standardsprache kennt das Niederdeutsche keine genormte Schriftsprache, weil sich das Verbreitungsgebiet wie ein breiter Sprachgürtel quer durch Norddeutschland und die Niederlande spannt und sich unzählige Dialektvarietäten entwickelt haben. Heute unterscheidet man zwei große Gruppen: Westniederdeutsch und Ostniederdeutsch, die sich beide in mehrere kleineren Gruppen verzweigen.

So lange wie es das Deutsche in seinen Formen und Ausprägungen gibt, so lange entwickelt sich das Niederdeutsche. Durch Sprachwandel und Sprachgrenzen entwickelte sich das Niederdeutsche anders als das Oberdeutsche und wird heute nicht automatisch von allen Deutschsprechenden verstanden. Die Besiedlung der Nordseeküstenregion durch die Sachsen zur Zeit der Völkerwanderung markiert, vorsichtig formuliert, den Beginn des Niederdeutschen. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte breitet es sich über die heutigen Niederlande, England und ab dem 12. Jahrhundert durch die Ostkolonisation auch in Richtung Osten bis ins Baltikum aus. Die großflächige Ausbreitung und die Einflüsse anderer Sprechergemeinschaften erklärt den Variantenreichtum des Niederdeutschen.

Zwischen dem 13. und dem 17. Jahrhundert war Niederdeutsch die Verkehrssprache der Hanse, was sich in zahllosen Dokumenten zeigt. Auch religiöse Texte und Bibelübersetzungen waren in dieser Zeit sehr gefragt.

Das beginnende Ende der Hanse und die Reformation sorgten für den Rückgang des Niederdeutschen zugunsten des Hochdeutschen. Das Niederdeutsche zog sich in den Privat- und Familienbereich zurück. Vor allem die Schriftsprache wurde immer weniger verwendet, besonders im Bildungssystem zu beobachten. Die Kinder erlernten in der Schule Hochdeutsch in Wort und Schrift, sprachen aber zu Hause Niederdeutsch. Innerhalb der Kirche verwendeten immer mehr Gemeinden Hochdeutsch, obwohl die einfachen Leute das Hochdeutsche oft nicht gut verstanden. Niederdeutsch galt als Sprache der ungebildeten Leute und der Frauen, weil die Männer durch ihre Berufstätigkeit meist besser Hochdeutsch sprachen

Nach dem Wiener Kongress 1815 verschärfte sich die Sprachpolitik in Preußen, das durch die Neuordnung große Teile des niederdeutschen Sprachgebietes zugesprochen bekam. Als alleinige Sprache wurde nur noch Hochdeutsch als Amts- und Verkehrssprache genutzt. Die diskriminierende Sprachpolitik hielt bis weit ins 20. Jahrhundert an. Auch die Vertreibung der deutschen Bevölkerung als Folge des Zweiten Weltkrieges führte zu einer Verkleinerung des Sprachgebietes, im Osten heute durch die Grenze zu Polen festgelegt. Im Westen, an der niederländischen Grenze, blieb das Dialektkontinuum erhalten. Inwiefern Niederdeutsch und Niederländisch als zwei ähnliche Varietäten oder eigene Sprachen gesehen werden, darüber gibt es heftige Diskussionen.

Niederdeutsch unterschiedet sich vom Standardhochdeutschen in vielerlei Hinsicht. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Lautwandelprozesse z.B. die zweite germanische Lautverschiebung, die das Niederdeutsche ebenso wie das Niederländische und Friesische nicht durchgemacht haben. Andere Lautunterschiede zeigen sich u.a. in den Frikativen (Reibelaut) z.B. ‚slapen‘ statt ‚schlafen‘. Auch die Grammatik unterscheidet sich, je nach Dialektvarietät, z.B. die doppelte Verneinung oder die häufige Verwendung des Verbes ‚tun‘.

Das Niederdeutsche verfügt heute über keine einheitliche Schriftsprache, was besonders den Erwerb der Sprache in den schriftlichen Kompetenzen erschwert.

Der Schutz des Niederdeutschen durch die Sprachencharta und das dadurch gestiegene Sprachprestige gewinnt die Sprache an Sprecher*innen. Die technischen Mittel zur Umsetzung im Internet und die wachsende Präsenz in den Medien lassen Niederdeutsch als wertvollen Teil der deutschen Sprachlandschaft wieder zurückgewinnen.

Quellen

Lindow, Wolfgang. Niederdeutsche Grammatik (= Schriften des Instituts für Niederdeutsche Sprache. Reihe Dokumentation 20). Verlag Schuster, Leer 1998

Stellmacher, Dieter. Niederdeutsche Sprache. Weidler, Berlin 2000

Die Wulfila-Bibel

Wenn Sprachen sterben, gehen nicht nur die Sprache selbst, sondern auch Kulturgut verloren. Für das Gotische existieren nur wenige aussagekräftige Dokumente, mit denen sich die Sprache gut rekonstruieren lässt. Eine der wichtigsten Quellen ist die Wulfila-Bibel.

Entstanden ist die Wulfila-Bibel etwa um 350. Wie viele Menschen außer dem Bischof noch an der Übersetzung gearbeitet haben, ist unklar. Geschrieben ist die Bibel in einer eigens für das Gotische entwickelten Schrift, der gotischen Schrift. Bis dato schrieben die Goten mit germanischen Runen, die aber nicht zum christlichen Inhalt des Textes passten. Das Griechische als eine der wichtigsten liturgischen Schriften war das Vorbild, das Wulfila nutzte.

Diese Bibel ist eine Übersetzung aus dem griechischen ins Gotische. Als Übersetzer wird der Namensgeber der Bibel Missionar und Bischof Wulfila (311 – 383 n.Chr.) angenommen, der wahrscheinlich erste Bischof der Terwingen, einem ostgermanischen-gotischen Stamm. Die Goten waren bis zu Wulfilas Zeit keine Christen, erst ab ca. 376 sind sie konvertiert.  

Heute existieren nur noch wenige Abschriften von Teilen der Bibel. Die meisten stammen aus späteren Jahrhunderten. Das bekannteste ist der Codex Argenteus (dt. silbernes Buch), der sich in Schweden befindet und wahrscheinlich eine Abschrift der Bibel für Theodrich den Großen, König der Ostgoten, ist. Der Text wurde mit silberner Tinte geschrieben und reich verziert.

Neben der großen Bedeutung für die Theologie- und Geschichtswissenschaften, ist die Wulfila-Bibel eine unverzichtbare Quelle für die Sprachwissenschaft. Obwohl das Krimgotische auf der Krim noch bis ins 18.Jahrhundert gesprochen wurde (Gotisch und Krimgotisch sind entfernt verwandt), weiß die Wissenschaft nur wenig über die Sprachstufe aus dem Frühmittelalter. Die Bibel ist das längste Schriftdokument, über das die Forscher verfügen.

Die Sprache der Bibel ist keine Alltagssprache, bietet aber trotzdem Einblicke in die Grammatik und Satzstellung des Gotischen. Außerdem kann man Einflüsse anderer Sprachen erkennen, die nicht nur auf historischen, sondern auch religiösen Gründen bestehen. Wulfila hat bei seiner Übersetzung wahrscheinlich nicht darauf geachtet besonders volkssprachlich zu schreiben, schließlich übersetzte er religiöse Texte. Fehlenden Wortschatz ersetzte Wulfila mit Entlehnungen aus dem Lateinischen und Griechischen. Auch der Satzbau erinnert stark an das Griechische, sodass unklar ist welchen Satzbau das Gotische normalerweise verwendete.

Auch die christliche Richtung der Arianer, der Wulfila und die Goten angehörten, spielt in der Übersetzung eine Rolle, d.h. bestimmte Bibelstellen werden inhaltlich anders übersetzt als im griechischen Ausgangstext.

Ende des 17. Jahrhunderts wurde die gotische Bibel sogar als gedrucktes Werk, jedoch eher zu Forschungszwecken, herausgegeben. Weitere Drucke, zur Erleichterung mit lateinischer und griechischer Übersetzung, erschienen in mehreren Ausgaben. Das zeigt wie hoch das Interesse von Theologen und Sprachwissenschaftlern an der ausgestorbenen Sprache war und bis heute ist.

Quellen

Streitberg, Wilhelm Streitberg. Die Gotische Bibel. Der gotische Text und seine griechische Vorlage. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg  2000

Falluomini, Carla. Textkritische Anmerkungen zur Gotischen Bibel. „AnnalSS”. 5, 2005

Thüringen

Das heutige Thüringen ist eins der sechzehn deutschen Bundesländer. Doch weit vor der Gründung Deutschlands findet man Thüringen in alten Quellen als Heimat der Thüringer und als Herrschaftsgebiet verschiedener Adelsgeschlechter. Der Name Thüringen leitet sich von ‚Thuringi‘ ab, die Bezeichnung für den dort seit der Völkerwanderung ansässigen germanischen Volksstamm.

In Zentrum Thüringens liegt das Thüringer Becken, was von Mittelgebirgen wie dem Kyffhäuser und dem Thüringer Wald eingerahmt wird. Durchzogen von vielen Flüssen wie der Saale und der Unstrut eignet sich die Region hervorragend für die Forst- und Landwirtschaft. Wichtige Städte sind u.a. Erfurt, Jena und Weimar.

Die Region wurde schon früh von germanischen Stämmen besiedelt, erste Quellen über die Besiedlung stammen aus dem 4. Jahrhundert n.Chr. von Römern. Im 6. Jahrhundert unterwarfen die Franken von Westen aus weite Teile des heutigen Thüringens. Unter der Herrschaft der Merowinger bestand bis ins 8. Jahrhundert n.Chr. ein Herzogtum Thüringen, einschließlich der Gründung der Städte Erfurt und Arnstadt. In dieser Zeit wurden die meisten Bewohner der Region zum Christentum bekehrt und in Erfurt gründete sich das Bistum Erfurt.

Die Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich verhinderte eine weitere Ausbreitung und Erstarkung des Herzogtums, die Herrschaftsansprüche verschiedener Adliger führte zu zahlreichen Auseinandersetzungen bis ins 13. Jahrhundert hinein. Die Wettiner gingen als Sieger der Erbfolgestreitigkeiten hervor und vereinten große Teile Thüringens mit ihren Ländereien in Sachsen.  

Im späten Mittelalten blühten die Städte wie Erfurt auf, es entstanden Universitäten und der Handel mit Städte in ganz Europa florierte.

Zur Zeit der Reformation war Thüringen ein kulturelles Zentrum. Martin Luther studierte in Erfurt, lehrte dann in Wittenberg, was damals zum Herrschaftsgebiet des Sächsischen Kürfürsten gehörte und auch große Teile des heutigen Thüringens einschloss. Die Wartburg bei Eisenach, auf der Luther an seiner Bibelübersetzung arbeitete, ist einer der bedeutendsten Orte in Thüringen und markiert einen Wendepunkt in der Kirchengeschichte. Die aus der Reformation resultierende Bauernkriege begannen im thüringischen Mühl- und Frankenhausen. Der 30jährige Krieg verwüstete und entvölkerte ganze Landstriche.

Dem 30jährigen Krieg folgte eine Zeit der Blüte. Die Region entwickelte sich u.a. durch verbesserte Bildung der Bevölkerung zu einem Zentrum des Humanismus. Die Einflüsse der ansässigen Adelsgeschlechter breitete sich nach der wirtschaftlichen Erholung Thüringens zum Beginn des 18.Jahrhunderts in viele europäische Königshäuser aus, u.a. nach England, Belgien und Preußen. Gelehrte und Dichter wie Goethe, Schiller und Hegel wirkten an verschiedenen Orten in Thüringen.

Der Wiener Kongress 1815 und die politischen Ereignisse des 19. Jahrhunderts schufen weitere Kulturzentren und Gelehrte wie Friedrich Fröbel oder Frank Liszt sorgten für wichtige Impulse in ihren Fachgebieten, die weit über die Grenzen Thüringens hinaus wirkten. Die Industrialisierung der Region und ihre Anbindung an das Eisenbahnnetz schufen Arbeitsplätze und ein Bevölkerungswachstum. Daraus ergaben sich soziale Probleme, was u.a. zum Wirken Bebels in Eisenach führte und richtungsweisend für die Politik in der heutigen Bundesrepublik.

Nach dem Ersten Weltkrieg gründetet sich das Land Thüringen als Teil der Weimarer Republik, dessen Eigenständigkeit ab 1933 von den Nationalsozialisten aufgehoben wurde. Auf die Umstrukturierung in der DDR in einzelne Bezirke folgte nach der Wiedervereinigung die Neu-Gründung des Landes Thüringen als Freistaat wie wir es heute kennen.

Das Wappen Thüringens zeigt einen siebenfach geteilten, golden bewehrten und gekrönten rot-weißen Löwen, begleitet von acht silbernen Sternen, auf blauem Grund.

Quellen

John, Jürgen & Jonscher Reinhard & Stelzner, Axel. Geschichte in Daten – Thüringen. Koehler & Amelang, München 1995

Raßloff, Steffen. Geschichte Thüringens. Beck. München 2010

Rovásírás – altungarische Runen

Das heutige Ungarisch wird seit dem frühen Mittelalter in lateinischer Schrift geschrieben, doch vorher verwendeten die Menschen eine eigene Schrift: Rovásírás – dt. Runenschrift.

Ihre Herkunft ist nicht sicher geklärt. Eine Annahme ist, dass die Schrift mit anderen Runen aus dem türkischen Raum verwandt sind oder eine Abwandlung der phönizischen Schrift darstellt. Eine Verwandtschaft mit den Runen aus dem germanischen Kulturkreis wird ausgeschlossen.

Auch eine genau Entstehungszeit ist schwierig zu bestimmen. Wenn man von der Verwandtschaft mit alten türkischen Schriften ausgeht, könnte ein Entstehungszeitraum um 7. Jahrhundert n.Chr. ausgegangen werden. Historisch wurden Kontakte der damaligen Sprechergemeinschaft des Alt- bzw. Protoungarischen mit Turkvölkern belegt, die für diesen Zeitraum sprechen.   

Rovásírás ist eine Alphabetschrift, jedoch wird sie wie Phönizisch oder Hebräisch von rechts nach links geschrieben. Die Ähnlichkeit der meisten Zeichen mit einer türkischen Schrift lässt sich gut nachweisen. Einige Zeichen müssen jedoch entweder neu hinzugekommen oder aus anderen Schriften entlehnt worden sein, denn einzelne Laute des Altungarischen kommen in Turksprachen nicht vor und wurden dementsprechend auch nicht von ihnen verschriftlicht. Vermutungen, dass es Anteile aus dem griechischen Alphabet gibt, liegen nahe.

Insgesamt besitzt das ursprüngliche Alphabet 42 Buchstaben, wobei einige Konsonanten zwei Zeichen besitzen, in Abhängigkeit des benachbarten Vokals. Es gibt keine separaten Buchstaben für Groß- und Kleinschreibung, aber vor allem bei Namen wurde der erste Buchstabe einfach größer geschrieben. Die Schreibung ist meist phonetisch, bildet also die tatsächliche Aussprache ab.

Das heutige Ungarn ist nur ein kleiner Teil des Verbreitungsgebietes der Runen. Inschriften aus unterschiedlichen Jahrhunderten auf Gegenständen wurden rund um die Karpaten, das Gebiet der heutigen Ukraine und noch weiter östlich gefunden. Eine erste Erwähnung der Schrift findet man in der Chronik von Simon von Kéza, die aus dem 13. Jahrhundert stammt.

Während die lateinische Schrift sich ab ca. 1000 n.Chr. als offizielle Schrift genutzt wurde, verwendete man die Rovásírás im Alltag und in der Folklore. Es sind Inschriften bis ins 19. Jahrhundert belegt, durchaus auch religiöse texte wie z.B. das Vater Unser.

Die Forschung hat die Runenschrift erst seit kurzem wieder als Forschungsgegenstand entdeckt. Seit einigen Jahren ist die Runenschrift in Ungarn wieder populärer geworden (ähnlich wie die germanischen Runen) und man sieht sie an öffentlichen Plätzen oder Schildern. Die Schrift verschriftlicht heute das modern Ungarisch, beibehalten wird aber die Schreibrichtung wie früher. Durch Sprachwandelprozesse hat sich das Ungarische stark verändert und so musste bspw. Runen für die typischen Vokallängen in Ungarischen angepasst werden. Kritiker sehen in der Anpassung der Schrift einen Eingriff in die Authentizität.

Quelle

Altheim, Franz. Geschichte der Hunnen. Berlin, de Gruyter

Rockstein, Edward. The Mystery of the Székely Runes. Epigraphic Society Occasional Papers, 1990

Die Walküren

Wer sich für die nordische Mythologie interessiert, kennt auch die Erzählungen über die Walküren, die Schildjungfern.

Der Name ‚valkyrja‘ -‚Walküre‘ stammt aus dem Altnordischen und ist eine Zusammensetzung aus den Wörtern ‚valr‘ und ‚kjósa‘ und bedeutet die ‚Totenwählerin‘. Walküren sind Geisterwesen aus Odins innerem Kreis, manchmal werden sie auch als Töchter Odins beschrieben, und haben die Aufgabe die Gefallenden nach der Schlacht nach Walhall zu führen.

Die Verbindung zwischen Leben und Tod weisen auch andere Wesen aus der Mythologie auf, z.B. die Nornen. Doch anders als die Nornen sind Walküren nur für Krieger und Kriegerinnen zuständig.

In zahlreichen Abbildungen zeigen die Walküren mit Kleidung wie Kriegerinnen, tragen Waffen und reiten auf Pferden. Ihr Aussehen ist erinnert stark an die Krieger in der Schlacht. Auch ihr Wesen ist nicht sanft, wie man es allgemein mit weiblichen Wesen in der Mythologie verbindet, sondern kämpferisch.

Die Aufgabe der Wallküren, die gefallenen Krieger nach der Schlacht auszuwählen verleiht ihnen eine gewisse Macht über die Männer, denn sie entscheiden, wer nach Walhall darf. Die Nordgermanen waren vielleicht auch aus diesem Grund besonders mutig, denn nur Mut und Wagnis versprachen auserwählt zu werden. Das Leben in Walhall war ursprünglich kein Dasein mit Trinkgelagen, sondern weiteren Schlachten. Doch im Laufe der Zeit veränderte sich die Vorstellung zu einer Art Kriegerparadies, in denen die Walküren die Krieger auch bewirteten. Das passt wieder zur traditionellen Rollenverteilung.

In Liedern in der Edda wird auch davon berichten, dass Walküren den Kriegern kurz vor der Schlacht erschienen und ihnen damit den baldigen Tod ankündigten. Die Nordgermanen sahen sie daher auch als Todesengel an, auch wenn sie den Tod nicht fürchteten. Es war nur ein Grund mehr ehrenvoll in die Schlacht ziehen. Nach der Schlacht konnte man die Walküren über den Himmel reiten sehen, auf dem Weg zu den Auserwählten. Der Himmel und auch die Polarlichter waren daher für die Nordgermanen sehr bedeutsam.

Von den Walküren kennt man viele Namen, obwohl die Anzahl dieser Wesen ursprünglich nur neun oder zwölf gewesen war. Doch im Laufe der Zeit scheinen viele dazugekommen zu sein, je nachdem welches Edda-Lied man sich anschaut.

Obwohl die Walküren keine Menschen sind, verkehren sie mitunter mit Sterblichen. Es wird von Liebesbeziehungen zwischen ihnen und Kriegern berichtet. In der Hinsicht sind sie den Menschen ähnlich.

Außer in der Edda findet man zwei Erwähnungen auf Runensteinen, die in Schweden gefunden wurde und wahrscheinlich auf dem 9. und 10. Jahrhundert stammten.

Damals wie heute werden Walküren als positiv wahrgenommen, denn sie entscheiden nicht über das Leben selbst, sondern über das Leben nach dem Tod. Doch es darf nicht übersehen werden, dass sie durch ihren begrenzten Wirkungskreis mit durchweg negativen Ereignissen wie Krieg oder Zerstörung assoziiert werden und keinerlei Interesse am Leben der Menschen haben. Trotzdem werden sie in modernen Filmen und Geschichten oft als gutmütig und wohlwollend dargestellt.

Walküren haben eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, für andere Dinge sind sie nicht zuständig und diese Trennung zu anderen Wesen ist eindeutig.

Quellen

Grimal, Pierre (Hrsg.). Mythen der Völker. 3, Frankfurt am Main, Fischer. 1967

Simek, Rudolf. Religion und Mythologie der Germanen. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt 2003

Deutsche Sprachinsel in Brasilien

Dass es Millionen deutsche Auswanderer nach Nordamerika, besonders in die USA, zog, ist weit bekannt. Doch was ist mit Südamerika? Auch hierher wanderten ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts zehntausende Menschen aus.

Südamerika war für Auswanderer sehr attraktiv, denn hier konnten sie nicht nur ein neues Leben beginnen, sondern auch ihre Sprache und Kultur pflegen und erhalten. Vor allem Brasilien war als Auswanderungsland beliebt.

Erste Siedlungen gründeten deutsche und schweizerische Auswanderergruppen 1818 im heutigen Bundesstaat Santa Catarina. Die meisten Siedler stammten aus dem Hunsrück, aber auch aus Pommern und Westfalen. Die Siedlungen entstanden in Gebieten, die vorher kaum besiedelt waren. Die Siedler erhielten von der Regierung große Flächen zur Bewirtschaftung und blieben in diesen Siedlungen weitestgehend unter sich. Mit der Zeit kamen viele Menschen aus allen Teilen des deutschsprachigen Raumes nach Brasilien, was man gut an deutschen Ortsnamen wie Blumenau oder Fraiburgo erkennt. Die Mehrheit der Siedler stammte, nach den Zahlen der Kolonialgesellschaft, aus dem Hunsrück und Umgebung.

Schnell erzielten die Siedler Erfolg in der Landwirtschaft und versorgten sich autark, dank moderner landwirtschaftlicher Methoden. Großen Wert legten die deutschen Siedler auf die Bildung, es entstanden schnell Schulen. Im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen erhielten ihre Kinder eine solide Schulbildung nach dem Vorbild der Heimat. Zahlreiche Vereine, Zeitungen und Kulturorganisationen gründeten sich. Die Besiedlung breitete sich entlang der Flüsse ins Landesinnere aus, viele deutschen Dialekte trafen aufeinander. Nicht nur aus dem deutschen Raum wanderten Deutschsprachige nach Brasilien aus, auch Wolgadeutsche zog es vermehrt hierher. In den 1880/90er Jahren ließen sich 30% der deutschen Auswanderer in Südamerika nieder.

Der Erste Weltkrieg ließ die deutschsprachige Kultur stagnieren, Unterricht in deutscher Sprache und deutschsprachige Vereine wurden verboten. Nach dem Krieg wurden diese Verbote zwar wieder aufgehoben, aber der stetige Assimilationsdruck wuchs. Im Laufe der Jahre mischten sich andere Gruppen wie Italiener, Polen etc. unter die bis dahin sehr homogene deutsche Bevölkerung und bewirkte eine zunehmende Verwendung der Amtssprache Portugiesisch als Verkehrssprache.

Eine weitere Auswanderungswelle nach Brasilien war die Zeit kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit rund 100.000 Menschen, wobei die meisten deutschen Auswanderer jüdischen Glaubens waren. Wieder einmal erlebten die Deutschstämmigen Verbote von Zeitungen, Schulen und ähnliches. Dies betraf aber auch Menschen mit anderen europäischen Wurzeln. Die brasilianische Regierung unter Vargas arbeitete an einer stetigen Homogenisierung der Bevölkerung. Selbst das Sprechen der deutschen Sprache stand ab 1942 unter Strafe. Die politische Lage im und nach dem Zweiten Weltkrieg zwang viele Deutschsprachige zur Assimilation. Der fehlende Schulunterricht und das Publikationsverbot führte dazu, dass die deutsche Sprache nur mündlich, vermehrt in Dialektvarietäten, weitergegeben werden konnte und zudem stark an Prestige verlor.

Ab den 1950 verbesserte sich die Situation für das Deutsche durch die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland. Verbote wurden schrittweise aufgehoben und der Deutschunterricht ab 1961 wieder eingeführt (als Fremdsprache).

Wie viele deutschstämmige bzw. deutschsprachige Menschen es heute in Brasilien gibt, kann nur geschätzt werden. Untersuchungen von 1990 gehen von ca.3,5 Millionen Deutschstämmigen und etwa 1,4 Millionen deutsch Sprechenden aus. Die Deutschkenntnisse sind unterschiedlich ausgeprägt, oft mit vielen Entlehnungen aus dem Portugiesischen. Die Hauptvarietät ist bis heute das Riograndenser Hunsrückisch, eine Mischung des deutschen Dialektes mit Einflüssen anderer deutscher Dialekte und Einwanderersprachen. Im öffentlichen Leben überwiegt zwar das Portugiesische, aber Umfragen ergeben eine breite Verwendung des Deutschen, besonders im Dialekt, als Familiensprache.

Die kulturelle Vielfalt Brasiliens trägt in einigen südlichen Regionen deutliche deutsche Züge, gemischt mit vielen anderen Einflüssen. Die Geschichte der Menschen mit europäischen Wurzeln erklärt die hohe Akzeptanz und verstärkt die Bemühungen die Kultur und Sprache der Herkunftsländer zu erhalten. Deutschland fördert den Austausch und die kulturelle Verständigung, nicht nur in Brasilien, sondern in allen Teilen Südamerikas mit deutschstämmigen Gruppen. Typische Institutionen wie das Goethe-Institut sind besonders im Süden Brasiliens vertreten.

Viele Schüler*innen lernen im Süden Brasiliens Deutsch als Fremdsprache in der Schule, auch diejenigen, die zu Hause Dialekt sprechen. Jedoch ist Englisch als erste Fremdsprache stärker vertreten. Das Auswärtige Amt hat in seinen Befragungen festgestellt, dass das Interesse am Deutschen, v.a. als Fremdsprache, in Brasilien zunimmt. Welche Perspektiven das Riograndenser Hunsrückisch als ‚alte‘ Varietät in Zukunft in Brasilien spielt, ist bisher nur unzureichend untersucht und hängt stark von einer verbesserten Prestigepflege ab.

Quelle

Plewnia, Albrecht & Riehl, Claudia Maria. Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Übersee. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen 2018

Wozu braucht man Sprachwissenschaften?

Ich würde behaupten, dass alle Studierenden egal welcher Sprachwissenschaft diese Frage schon mal gestellt bekommen haben! Und die wenigsten haben sofort eine schlagfertige Antwort darauf.

Die Sprachwissenschaft als Disziplin ist von Hause her schon mal riesig. Sie umfasst neben der Allgemeinen und Angewandten Sprachwissenschaft auch die Disziplinen, die sich mit einzelnen Sprachen oder Sprachfamilien beschäftigen z.B. Slawistik oder Romanistik. Bekannte Fachbereiche sind auch Spracherwerb, Computerlinguistik, historische Sprachwissenschaft usw….Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Gerade die technischen Möglichkeiten eröffnen auch der Sprachwissenschaft neue Betätigungsfelder.

Aber eigentlich wissen wir doch schon alles über Sprache(n), oder? Auf dem ersten Blick vielleicht, aber wir kennen noch immer nicht alle Sprachen, ihre Strukturen und die Auswirkungen von Sprache auf unsere Gesellschaften u.v.a.m.

So vielfältig wie die Sprachwissenschaft sind auch die Studiengänge in Deutschland. Es gibt allgemein sowie spezielle Ausrichtungen. Ich habe im Bachelor als Zweitfach ‚Germanistische Linguistik‘ studiert, also dem Schwerpunkt auf germanische Sprachwissenschaft. Mein Erstfach war ‚Slawische Sprachen und Literaturen‘, was Sprach- und Literaturwissenschaft kombiniert. Beide Fächer ergänzen sich, in meinen Augen, perfekt, denn die verschiedenen Sichtweisen und Arbeitsweisen lassen Raum für eigene Interessen, Projekt und hinterfragendes Denken.

Genau diese Freiheit schätze ich an der Sprachwissenschaft. Wir arbeiten nicht nach Schema F, sondern entwickeln eigene Fragestellungen und Lösungsansätze. Es gibt nicht den einen Beruf des Sprachwissenschaftlers, es ist genauso vielfältig wie das Studium.

Als erstes denkt man der typische Arbeitsplatz wäre in der Wissenschaft und Forschung, aber das ist nur ein kleiner Teil. Die Sprachwissenschaft ist eine Disziplin, die oft mit anderen zusammenarbeitet, z.B. mit Historikern, Sozialwissenschaftlern oder Soziologen. Sprachwissenschaftler arbeiten auch im Journalismus, Kulturinstituten, Verlagen, Museen oder in Behörden, je nachdem wofür man sich besonders interessiert. Oftmals hat man ein zweites Fach studiert, im sogenannten Kombibachelor, um sich fachlich breit aufzustellen.

Ein großes Arbeitsfeld sind Übersetzungen und andere Sprachdienstleistungen, Verlagsarbeit und Lehrtätigkeiten z.B. in der Erwachsenenbildung. Die aufkommenden Übersetzertools machen die Sprachwissenschaft keineswegs überflüssig, im Gegenteil. Irgendwer muss diese Programme schließlich entwickeln und trainieren.

Ein Bereich, der mich besonders interessiert, ist die Minderheitensprachpolitik. In unserer immer globaleren und vielfältigeren Welt stehen wir vor dem Problem, dass nicht alle Sprachen und Sprechergemeinschaften gleich gut sichtbar sind. Die historischen Hintergründe dafür sind vielfältig und gerade in Europa wieder ein heiß diskutiertes Thema. Der Schutz und der Erhalt kleiner Sprachen, gerade in Deutschland, liegt mir sehr am Herzen.

Ein anderer Bereich der Sprachwissenschaft ist die klinische Linguistik. Das Studium befähigt die Studierenden später als Sprachtherapeuten zu arbeiten. Sprachtherapeuten sind sowohl in Kliniken und Praxen als auch in der Forschung tätig. Ihr Arbeitsbereich sind u.a. Sprachstörungen.  Dieser Studiengang unterscheidet sich stark von der ‚klassischen‘ Sprachwissenschaft, doch es gibt viele verbindende Elemente, besonders zum Beginn des Studiums.

Egal welchen Weg man nach dem Studium einschlägt, gefordert sind immer ein neugieriger Geist und die Bereitschaft den kulturellen Austausch zu fördern. Auch Sprachwissenschaftler wollen mit ihrer Arbeit ein Teil zur Verständigung innerhalb der Gesellschaft beitragen. Doch auch wir sind nur Menschen. Wir sprechen selten alle Sprachen und bewerten auch nicht was und wie andere sprechen, sondern beschreiben Sprache wie sie ist. Die Sprachwissenschaft ist keine Sprachpolizei und wird es, hoffentlich, auch nie sein!

Baskisch-isländisches Pidgin

Was haben Basken und Isländer gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts. Basken leben im Norden Spaniens und Isländer vorwiegend auf Island. Und doch teilen sie eine gemeinsame Geschichte, auch eine sprachliche.

Im 17. Jahrhundert segelten baskische Walfänger weite Strecken, unter anderem bis Neufundland und Labrador. Dabei gelangten sie mit ihren Schiffen auch bis an die isländische Westküste und nutzen zur Verständigung mit den Isländern ein Pidgin, das sogenannte baskisch-isländische Pidgin.

Die baskischen Seefahrer stammten aus der Region Lapurdi (franz. Labourd) und trieben zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit den Isländern regen Handel. Aus Quellen ist belegt, dass die Basken ab dem Jahr 1604 auf der Halbinsel Vestfirðir im Nordwesten Islands einen kleinen Hafen hatten.

Die Verständigung der Händler und Walfänger gestaltete sich ohne eine gemeinsame Sprache schwierig, aber Menschen haben die Angewohnheit immer irgendwie Kommunikationsmittel zu finden. So war es auch in diesem Fall. Es entwickelte sich eine Art Pidgin, das auf einem Dialekt des Baskischen, dem Labourdischen, beruhte und andere westeuropäische Einflüsse wie Englischen, Niederländisch und Französischen aufwies. Das kann ein Hinweis darauf sein, wo die baskischen Walfänger und Handelsleute vor ihrer Fahrt nach Island noch woanders Station gemacht haben. Interessanterweise ist das Isländische kein Bestandteil des Pidgin. Isländisch bezieht sich in diesem Fall nur auf das Gebiet, in dem es gesprochen wurde.

Die Aufzeichnungen des Baskisch-isländischen Pidgin sind mehr als dürftig. Eine kleine Wörtersammlung stammt vom Isländer Ólafsson frá Grunnavík. Die Liste beinhaltet unter anderem Gegenstände für den Haushalt oder Fischfang, Familienmitglieder usw. Die Art der Liste legt nahe, dass die Kommunikationspartner sich durch Zeigen der Gegenstände verständigt haben könnten, weil sie nicht alphabetisch angelegt ist, sondern nach Themen. Die zweite Wörtersammlung konnte keiner Person zugeordnet werden, enthält aber ähnliche Wörter. Es ist auch unbekannt, wie der Verfasser die Informationen sammelte, vielleicht durch einfaches Zuhören oder auch Befragung der Pidginsprecher.

Ein dokumentiertes Beispiel für einen kompletten Satz ist: ‚Presenta for mi berrua usnia eta berria bura.‘ – ‚Gib mir heiße Milch und frische Butter.‘ Hier sieht man keinerlei isländische Lexik, Hilfsverben wie ‚presenta‘, die nicht aus dem Baskischen stammen und Einflüsse des Englischen (‚for mi‘ –‚für mich‘).

Obwohl der Hauptteil des Wortschatzes aus dem Baskischen stammt, ist die Schreibung in den erhaltenen Schriften dem Isländischen nachempfunden, was dafür spricht, dass beide Quellen von Isländern erstellt wurden.  Das erschwert die Nachvollziehbarkeit des Geschriebenen, denn die Lautstruktur des Baskischen unterscheidet sich vom Isländischen.

Alle historischen Quellen befinden sich heute auf Island, nachdem sie zuerst in Kopenhagen aufbewahrt und ab der Mitte der 1930er Jahre das Interesse der Wissenschaft geweckt hatten.

Es ist schwer zu schätzen wie viele Sprecher des baskisch-isländischen Pidgin es gegeben hat. Das Ende des Pidgins läutete einen Konflikt mit gegenseitigen Verbrechen ein, bei dem am Ende einige Basken von Einheimischen getötet wurden. Seit dem Ereignis galten Basken auf Island Verbrecher (offiziell galt das Gesetz noch bis 2015). Der Handel zwischen den Basken und Isländern kam zum Erliegen und damit war auch der Gebrauch des Pidgin überflüssig.

Quellen

Knörr, Henrike (2007). “Basque Fishermen in Iceland Bilingual vocabularies in the 17th and 18th centuries”

Luistxo Fernandez, Marije Manterola: Kreolerak / Creoles. In: GeoNative https://www.oocities.org/athens/9479/kreole.html

Aleksander Brückner

Wer sich mit der Slawistik in Deutschland beschäftigt, kommt an ihm nicht vorbei: Aleksander Brückner. Seine Arbeit als Professor an der Humboldt-Universität und seine zahlreichen Publikationen machen ihn zu einem der bedeutendsten Slawisten der Geschichte.

Aleksander Brückner wurde am 29. Januar 1856 in Brzeżany, Galizien, in eine österreichisch-polnische Familie hineingeboren. Er studierte zuerst in Lemberg (ukr. Lwiw), teilweise auch in Leipzig, Berlin und Wien, wo er 1876 seinen Doktortitel erwarb und 1878 habilitierte. Nach der Habilitation arbeitete er im Lemberg und wurde 1881 als Professor nach Berlin berufen. Diese Professur eröffnete ihm die Möglichkeit zu zahlreichen Studienreisen und Mitgliedschaften ausländischer Akademien z.B. in Prag und St. Petersburg. Brückner war bis 1924 in Berlin tätig.

Er beschäftigte sich, neben der slawistischen Arbeit, umfassend mit Themen wie Kulturgeschichte, Literatur, Mythologie, allgemeiner Sprachwissenschaft und Theologie, die er immer wieder mit der Slawistik verband und so einen fachübergreifenden Wissensschatz schuf. Anders als heute üblich, veröffentlichte Brückner zahlreiche Werke auf Deutsch, einer der damaligen Wissenschaftssprachen in Europa. Als Slawist schrieb er jedoch auch in polnischer Sprache, was heute selbst in Polen unüblich ist.

Das Fach Slawistik wurde in Deutschland oft mit politischer Arbeit bzw. der Beteiligung an politischen Themen gesehen. Dies lag jedoch nicht im Interesse Brückners, der sich zwar gelegentlich zu politischen Fragen äußerte, jedoch immer die Wissenschaft bevorzugte. Seine politischen Ansichten sind selten in seinen Schriften zu finden. Sein geringes Engagement in politischer Hinsicht ist in der Zeit, in der sich das Gedankengut der völkischen Bewegung immer weiterverbreitete, verwunderlich. Ob er seine politische Meinung einfach als Privatsache ansah und sich daher nur selten dazu äußerte, ist nicht sicher geklärt.

Aleksander Brückner starb am 24. Mai 1939 in Berlin. Sein Grab befand sich bis 2023 in Tempelhof, doch wegen der geplanten Schließung des Friedhofs exhumierte und bestattete man ihn in Krakau.

Brückners wissenschaftliches Erbe umfasst mehr als 1800 Veröffentlichungen in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Er widmete sich besonders den Themen der polnischen Sprache und Literaturgeschichte, aber auch darüber hinaus. Trotz seiner Lehrtätigkeit veröffentlichte er regelmäßig Schriften, u.a. auch ein etymologisches Wörterbuch, das es bis heute in mehreren Auflagen gibt und als Standardwerk in diesem Bereich gilt.

Zu Ehren Aleksander Brückners sind in Polen Straßen benannt. In Deutschland gibt es seit 2012 das Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien in Halle und Jena, das in Zusammenarbeit mit der Stiftung für deutsch-polnisch Zusammenarbeit entstanden ist.

Quellen

Kosny, Witold (Hrsg.). Aleksander Brückner, ein polnischer Slavist in Berlin. Wiesbaden 1991

Nagórko, Alicja (Hrsg.). Aleksander Brückner zum 60. Todestag. Beiträge der Berliner Tagung 1999. Frankfurt am Main 2001

https://www.aleksander-brueckner-zentrum.org/ueber-das-zentrum

Böhmen

Der größte Landesteil Tschechiens ist Böhmen, dessen lateinischer Name ‚Bohemia‘ sich vom Volk der Boier ableitet. Zusammen mit Mähren und Tschechisch-Schlesien bildet es heute das Gebiet der Tschechischen Republik.

Böhmen bildet etwa zwei Drittel Tschechiens und grenzt an Polen, Deutschland und Österreich. Weltweit bekannt ist Prag, die auch die Hauptstadt des ganzen Landes ist. An den Grenzen Böhmens liegen Gebirge wie der Böhmerwald, das Erzgebirge oder die Sudeten und mit der Moldau und Elbe auch zwei der größten Flüsse des Landes. Das heutige Gebiet stimmt zum Großteil mit dem historischen Böhmen überein.

Seit wann das Gebiet Böhmens besiedelt war, ist nicht exakt belegt. Man schätzt, dass die Besiedlung vor mindestens 200 000 Jahren stattfand. Siedlungen aus der Zeit 5000 Jahre v.Chr. hat man in Nordböhmen entdeckt, die verschiedenen Kulturen zuzuordnen sind. Die Region war nachweislich von verschiedenen Volksgruppen wie Kelten oder Germanen besiedelt, die Völkerwanderung brachte dort viel Bewegung hinein.

Ab dem 6. Jahrhundert siedelten nachweislich Slawen in der Region in Nachbarschaft zu anderen Gruppen wie den Germanen. Erstaunlicherweise soll der erste Herrscher ein fränkischer Kaufmann gewesen sein, so schreibt es die Fredegarchronik aus dem 7. Jahrhundert. Ob das stimmt, kann nicht genau belegt werden. In Böhmen lebten die Slawen, wie in vielen anderen Regionen, in großen Stämmen zusammen, die von jeweils einem Stammesführer regiert wurden. Immer wieder gab es zwischen ihnen Streitigkeiten.

Die Franken, die westlichen Nachbarn, überzogen die Stämme ab dem 9. Jahrhundert mit Krieg und zwangen sie zu Tributzahlungen. Das Ziel, die Slawen zu christianisieren, verfolgten die Franken bis sich die Stammesführer im Jahr 845 taufen ließen. Dabei erfolgte die Christianisierung auch von Osten über die Slawenmission von Kyrill und Method, die die östliche bzw. orthodoxe Kirche vertraten.

Als erster christlicher Fürst aus dem Geschlecht der Přemysliden, veranlasste Bořivoj I. zahlreiche Kirchenbauten und auch den Bau der Prager Burg. Die Přemysliden erweiterten ihren Einflussbereich innerhalb von 100 Jahren über ganz Böhmen. Der Enkel Bořivojs I. war Wenzel von Böhmen, der heutige Schutzpatron des Landes. Die Hauptstadt Prag entwickelte sich in dieser Zeit zu einem Zentrum für Handel und Kultur, auch Deutsche und Juden lebten zahlreich in der Stadt. Im Jahr 973 entstand der Sitz des ersten böhmischen Bistums in Prag.

Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts war Böhmen ein Königreich, das zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte. Durch die florierende Wirtschaft, v.a. Bergbau, zogen immer mehr Siedler ins Land, sodass der Einfluss der böhmischen Herrscher immer mehr wuchs. Der Kampf um die Macht im Heiligen Römischen Reich gipfelte 1278 mit der Schlacht auf dem Marchfeld, wo Rudolf I. von Habsburg siegte. Kurz danach starb mit Wenzel III. die Dynastie der Přemysliden aus und das Haus Luxemburg übernahm die Macht.

Die Könige der Luxenburger waren an der Vergrößerung ihres Reiches interessiert, förderten aber auch Kunst und Kultur, z.B. mit Gründung der Universität in Prag (benannt nach Karl IV.). Gebiete wie Schlesien, die Lausitz oder Teile der Pfalz gehörten zur Zeit der Luxemburger zum Herrschaftsgebiet.

Ein dunkles Kapitel in der böhmischen Geschichte waren die Hussitenkriege, die 1420 begannen und als Reaktion auf die Hinrichtung von Jan Hus und die Glaubenskrise in Böhmen gelten. Die Anhänger Hus strebten eine Trennung von der katholischen Kirche an. Jahrelange Kämpfe, brachliegende Wirtschaft und Gebietsverluste waren das Ergebnis.

Ende des 15. Jahrhunderts herrschten die Jagiellonen für eine kurze Zeit in Böhmen, doch die Linie starb 1526 aus. Die dann folgende Herrschaft der Habsburger war von Kriegen geprägt. Der Zweite Prager Fenstersturz am 23.Mai 1618 löste Aufstände in Böhmen aus, die sich zum Dreißigjährigen Krieg ausweiteten. Nicht nur Kriegshandlungen, auch Hungersnöten und Seuchen dezimierten die böhmische Bevölkerung um bis zu 40%. Nach dem Krieg verblieb Böhmen bei Habsburg.

Während der Märzrevolution 1848 kam es in Prag und ganz Böhmen zu Aufständen, die jedoch schnell und blutig niedergeschlagen wurden. Trotz der Niederlage gewannen die Böhmen an Selbstbewusstsein: Sie sprachen wieder vermehrt Tschechisch (bzw. Böhmisch) statt Deutsch und träumten von einem eigenen und unabhängigen Böhmen.

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges gründete sich 1918 die Tschechoslowakische Republik, die neben Böhmen auch Mähren, Teile Schlesiens, der Slowakei und andere kleine Gebiete umfasste. 1938 wurde Böhmen von den Nationalsozialisten als Protektorat besetzt und verwaltet. Die Wiederherstellung des Staates nach 1945 war rein formal, die eigentliche Macht ging von der Sowjetunion aus. Ende 1992 trennten sich Tschechien und die Slowakei in zwei eigenständige Staaten auf, doch die kulturelle und enge sprachliche Verbindung ist bis heute zu sehen, auch wenn die Unterschiede stets betont werden.

Böhmen bildet für die Tschechen das Herz ihrer Geschichte. Die Gründungsgeschichte der tschechischen Nation am Berg Říp im Norden Böhmens kennt in Tschechien jedes Kind.

Die Begriffe ‚Böhmen‘ und ‚Tschechien‘ werden in Quellen manchmal synomyn verwendet, sind jedoch immer kontext- und sprachabhängig. Als ‚böhmisch‘ wird z.B. die tschechische Sprache bezeichnet, wenn es in einem historischen Kontext, d.h. um Alttschechisch, steht.

Das Wappen Böhmens zeigt den Böhmischen Löwe in Silber mit doppeltem Schwanz und goldener Blätterkrone auf rotem Grund.

Quellen

Bahlcke, Joachim. Geschichte Tschechiens. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Beck, München 2014

Rill, Bernd. Böhmen und Mähren – Geschichte im Herzen Mitteleuropas. Katz, Gernsbach 2006