Stenographie

Um Sprache zu verschriftlichen, gibt es weltweit viele Schriften. Aber sprechen können wir immer viel schneller als schreiben. Will jemand das Gesprochene mitschreiben, bleiben nur zwei Möglichkeiten: langsamer sprechen oder schneller schreiben. Und weil langsamer reden z.B. bei Reden im Bundestag nicht praktikabel wäre, muss derjenige schneller schreiben. Das ist die Idee der Stenographie.

Die Stenographie ist eine Schrift, die es den Schreibenden ermöglicht Gesprochenes mitzuschreiben. Sie wird auch als Kurzschrift bezeichnet. Der Begriff ‚Stenographie‘ leitet sich vom griechischen ‚stenós‘ – ‚eng‘ und ‚gráphein‘ – ‚schreiben‘ ab. Schreibtechniken dieser Art gibt es schon seit der Zeit der Römer, mit unterschiedlicher Systematik und Verbreitung.

Generell sind solche Schreibsysteme Buchstabenschriften, also unserem lateinischen Alphabet ähnlich. Um effizient zu sein, gibt es aber auch Zeichen für Silben und häufige Wörter. Durch die Struktur und die Komplexität der verschiedenen Sprachen, ist eine Stenographie meistens nur für eine Sprache geeignet.

In Deutschland wurde die erste Stenographie im 17. Jahrhundert genutzt, die aus England übernommen wurde. Die bekannteste deutsche Schrift stammt von dem bayrischen Beamten Franz Xaver Gabelsberger aus dem Jahr 1834. Seine Schrift wurde von vielen Ländern Europas in großen Teilen übernommen und entsprechend angepasst. Auch andere Deutsche entwickelten ihre eigenen Schriftsysteme, sodass eine Vereinheitlichung nötig wurde. Diese Stenographie beruht in großen Teilen auf dem System von Gabelsberger, Scholze und Schrey.

Heute kennen wir Stenograph*innen meist aus dem Bundestag oder von Konferenzen, doch früher lernten auch Schüler*innen die Kurzschrift, um bspw. Notizen oder Mitschriften anzufertigen, die dann später ins Reine geschrieben wurden. Der Beruf der Stenotypistin war zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der neuen Berufe, mit denen Frauen ihren Lebensunterhalt selber verdienen konnten.

Geübte Stenograph*innen erreichen eine beachtliche Schreibgeschwindigkeit, etwa 500 Silben pro Minute. Zum Vergleich: In normalem Tempo sprechen wir etwa 350 Silben pro Minute.

Die Stenographie besteht aus Zeichen, Kürzeln und Kürzungen. Zeichen bezeichnen die einzelnen Buchstaben, wobei Konsonanten, Vokale sowie Buchstabenverbindungen z.B. <sch> oder <qu> unterschiedlich verschriftlicht werden. Kürzel sind Zeichen für hochfrequente Wörter wie Artikel oder Konjunktionen wie ‚und‘. Kürzungen sind systematische Wortabkürzungen, die genauen Regeln unterliegen. Diese drei ‚Werkzeuge‘ ermöglichen die hohe Schreibgeschwindigkeit, müssen aber intensiv und stetig geübt werden. Eine Grundvoraussetzung ist selbstverständlich die Beherrschung der deutschen Sprache und der Rechtschreibung.

Innerhalb der Kurzschrift gibt es wiederum verschiedene Systeme, um noch effektiver zu schreiben. Unter anderem wird auf Großschreibung oder Doppelkonsonanten verzichtet, die in der Abschrift natürlich wieder eingefügt werden. Ebenso können Buchstaben von Nebensilben wie in Wass-er oder Anlaute wie bei Z-ug gekürzt werden, wobei hier genau festgelegt ist was weggelassen werden kann. Nicht immer erscheinen die Kürzungen usw. logisch, sie sind aber systematisch und nicht zufällig.

Die Stenographie wird heute immer weniger im Berufsalltag genutzt und da die technischen Möglichkeiten immer besser werden, ist die Beherrschung für die meisten Menschen eher ein Hobby. Die Beherrschung fordert unser Gehirn kognitiv und kann mit anderen Gehirnjoggingstrategien verglichen werden.

Quellen

Sander-Jaenicke, Beate & Karpenstein, Hans. Art und Bau der wichtigsten Kurzschriften. Winkler, Darmstadt 1988

Wagner, Wolf-Rüdiger. Die Beschleunigung der Schrift: Geschichte der Stenografie im 19. und frühen 20. Jahrhundert. transcript Verlag, Bielefeld 2024

Neue Sprachen lernen

„Eine Sprache mit vielen Konsonanten ist wie ein Kartoffelacker. Eine Sprache mit vielen Vokalen aber ist wie ein Blumenbeet.“

Wer sich mit Sprachen auskennt, kann vielleicht schon vermuten, welche Sprache der Verfasser dieses Zitates eventuell sprach, nämlich eine melodische mit vielen Vokalen: Italienisch. Diese, in meinen Augen nicht nachvollziehbaren, Worte stammen von dem italienischen Tenor Enrico Caruso und beschreiben, wie groß der Einfluss unserer Erstsprache auf die Wahrnehmung anderer Sprachen ist.

Andererseits kann man daran auch erkennen, wie wir generell Sprache wahrnehmen oder Assoziationen herstellen, wenn uns der Klang von Sprachen ungewohnt, ja sogar exotisch erscheint. Genau dieses Gefühl der Fremdheit löst in mir Neugier aus, ich möchte mehr über diese Sprache erfahren und ihre Struktur verstehen. Dabei gehe ich meistens nach dem Klang der Sprache, um zu entscheiden, ob ich sie lernen möchte.

Ein Beispiel dafür ist in meinem Fall Französisch. Ich habe nichts gegen die Sprache an sich, aber in meinen Ohren hört sich Französisch einfach nicht schön an. Und obwohl ich als Linguistin allen Sprachen gegenüber aufgeschlossen bin, habe ich noch nie ernsthaft darüber nachgedacht Französisch zu lernen.

Meine Vorliebe zu slawischen Sprachen hingegen, ist den meisten meiner Leser*innen wohl bekannt. Genau auf diese Sprachen scheint Enrico Caruso mit seiner Beschreibung des Kartoffelackers anzuspielen, denn Sprachen wie Polnisch oder Tschechisch erwecken den Eindruck Vokale nur vereinzelt zu verwenden. Genau das macht sie für mich so spannend!

Doch nicht nur der Klang, auch das Schrift– und Grammatiksystem sind für mich ein Auswahlkriterium. Meine Erstsprache Deutsch stammt aus der germanischen Sprachfamilie, genauso wie meine erste Fremdsprache Englisch. Mit den Jahren habe ich mehrere slawische Sprachen und auch etwas Rumänisch und Latein gelernt, so dass zwei weitere Sprachfamilien in meinem Kopf Platz gefunden haben. Genau diese sprachlichen Unterschiede zwischen den Sprachen macht mich neugierig auf weitere Sprachen wie z.B. Ungarisch, das ich seit letztem Herbst lerne.

Nicht jede Sprache werde ich so gut beherrschen, dass ich mich unterhalten kann. Aber das ist auch nicht mein Ziel. Ich möchte v.a. verstehen, wie diese Sprachen funktionieren und ich möchte sie lesen können. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich beim Lernen sehr visuell arbeite.

Außerdem lerne ich gerne Sprachen, die ich auch praktisch anwenden kann. In meiner Heimatstadt Berlin kann man fast jede Sprache hören und auch sprechen. Das hilft ungemein beim Lernen. Leider gibt es bei der Auswahl der Wörterbücher und Lehrwerke große qualitative und quantitative Unterschiede zwischen großen und kleinen Sprachen. Doch das Internet bietet, gerade für die kleinen Sprachen, immer mehr Alternativen z.B. Online-Lerntools.

Welche Sprachen würdest du gerne lernen oder lernst du bereits? Und warum?

Jan Baudouin de Courtenay

Die slawische Sprachwissenschaft ist seit der Zeit des Nationalen Erwachsens in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein gefragter Bereich auf universitärer Ebene und das ist u.a. einem Mann zu verdanken: dem Polen Jan Baudouin de Courtenay.

Am 13. März 1845 wurde Jan Ignacy Niecisław Baudouin de Courtenay in Radzymin, unweit von Warschau, geboren. Sein Familienname klingt nicht polnisch, denn die Vorfahren der Familie sind 100 Jahre zuvor aus Frankreich nach Polen gekommen. Mit 17 Jahren begann der junge Mann ein Studium an der Warschauer Universität und erwarb einen Abschluss in historischer Sprachwissenschaft. Er studierte dann weiter, u.a. in Prag und Berlin, und promovierte mit 25 Jahren in Leipzig zum Thema ‚Über die altpolnische Sprache vor dem 14. Jahrhundert‘.

Danach ergab sich die Möglichkeit in Sankt Petersburg als Dozent zu arbeiten. Baudouin de Courtenay bekam 1875 eine Professur in Kasan, wechselte 1883 nach Dorpat (das heutige Tartu in Estland) und lehrte ab 1983 an der Jagiellonen-Universität in Krakau, das zu der Zeit zum Habsburger Reisch gehörte. Aufgrund seiner Arbeit im Sinne des Panslawismus wurde Baudouin de Courtenays Vertrag in Krakau nicht verlängert und er zog 1900 wieder nach Sankt Petersburg.

Auch dort setzte er sich weiter politisch ein, besonders für die Rechte der Minderheiten in den Großreichen Russland und Österreich, was ihm 1913 zwei Jahre Gefängnis einbrachte, weil er verbotene Flugblätter in Umlauf brachte. Als Polen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder unabhängig wurden, kehrte Baudouin de Courtenay umgehend nach Warschau zurück und lehrte an der dortigen Universität.

Im Privatleben musste Baudouin de Courtenay einige Schicksalsschläge verkraften, u.a. verstarb seine erste Frau Cezaria schon 1878. Mit seiner zweite Frau Romualda, einer Historikerin, hatte er fünf Kinder. Untypisch für einen Polen war Baudouin de Courtenay Atheist und trat 1927 sogar offiziell aus der Kirche aus.

Als Professor lehrte und forschte er im Bereich der vergleichenden Grammatik, Geschichte der polnischen Sprache sowie der Geschichte der Linguistik. Baudouin de Courtenay war Mitbegründer der Kasaner Schule, einem Vorläufer der strukturellen Linguistik. Er arbeitete eng mit Mikołaj Kruszewski zusammen. Sie entwickelten u.a. Konzepte für die Erforschung synchroner und diachroner Sprachdimensionen und prägten den Begriff ‚Phonem‘ als funktionelle Einheit wie wir ihn heute kennen.

Baudouin de Courtenay veröffentlichte seine Arbeiten in verschiedenen Sprachen z.B. polnisch, russisch, aber auch deutsch, italienisch oder slowenisch. Außerdem forschte er im Bereich des kindlichen Spracherwerbs und verfasste pädagogische Werke. Die Bildung von Kindern im Bereich der Fremdsprachenbildung lag ihm besonders am Herzen, was im neugegründeten Polen eine wichtige Rolle spielte, da dort viele Menschen mit anderen Erstsprachen als Polnisch lebten.

Seine unbeirrbare Art, sein politisches Engagement und die Vielfältigkeit seiner Arbeit machen Baudouin de Courtenay zu einem der interessantesten Sprachwissenschaftler.

Quellen

Mugdan, Joachim. Jan Baudouin de Courtenay (1845–1929): Leben und Werk. Wilhelm Fink, München 1984

Stankiewicz, Edward. Baudouin de Courtenay a podstawy współczesnego językoznawstwa. Ossolineum, Wrocław 1986

Die Oberlausitz

Die historische Oberlausitz (obersorbisch Hornja Łužica) ist eine Region, die heute zum großen Teil in Sachsen liegt. Kleinere Anteile gehören zu Polen (30%) und Brandenburg (5%). Bekannte Städte sind Görlitz, Kamenz, Hoyerswerda und Bautzen, das als Hauptstadt der Obersorben gilt, und auf der polnischen Seite Zgorzelec. Im Süden grenzt die Oberlausitz an Tschechien, eine historische Verbundenheit besteht bis heute.

Die Region ist von vielen Flüssen, unter anderem Spree, Neiße und Pulsnitz, durchzogen. Die Gegend weist im Norden eher flaches Heideland auf, weiter gen Süden wird es hügeliger und endet an der Grenze zu Tschechien im Zittauer Gebirge. Der Bergbau, der im 19. Jahrhundert begann, veränderte das Gesicht der Region, schufen aber auch die Lebengrundlage vieler Menschen. Die Stilllegung und Renaturierung der alten Tagebaue schaffen wiederum neue Möglichkeiten für den Tourismus und Umweltschutz. Die früheren klimatischen Bedingungen, warm und niederschlagsreich, eigneten sich gut für Landwirtschaft, jedoch wirken sich die Veränderungen im Klima in den letzten Jahrzehnten zugunsten von fehlendem Regen im Frühjahr und Starkregen im Sommer negativ auf diesen Wirtschaftszweig aus.

Der Name Lausitz leitet sich vom slawischen Volksstamm der Lusitzi ab, die ca. ab dem 6 Jahrhundert in der Lausitz siedelten. Ein alter Name der Oberlausitz ist Milska, der auf den Stamm der Milzener zurückgeht, die das Gebiet damals mehrheitlich bewohnten.   

Die slawischen Stämme wurden im 10. Jahrhundert von den Franken in die Tributpflicht gezwungen und im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von anderen Machthabern beherrscht u.a. von Ungarn, Polen und Böhmen. Das zeigt sich heute noch in der Sammlung von Traditionen, Bräuchen und Geschichten, die verschiedenste Elemente aus slawischen und germanischen Einflüssen vereinen. Die Kriege im 15. und 16. Jahrhundert haben die Bevölkerung der Oberlausitz stark dezimiert und die Wirtschaft lahngelegt.

Die Teilung der Lausitz im Zuge des Wiener Kongresses 1815 trug zur unterschiedlichen Entwicklung der beiden Teile bei. Die Oberlausitz gehörte weiterhin zu Sachsen, während die Niederlausitz und der heute polnische Teil zu Preußen gehörte. Diese Teilung besteht bis heute durch die Zugehörigkeit zu Brandenburg bzw. Sachsen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der östliche Teil der Oberlausitz Polen zugesprochen, was die Vertreibung der deutschen Bevölkerung zur Folge hatte. Die Teilungen der Region ist bis heute ein Identitätsproblem für viele Lausitzer.

Heute leben in der Region Oberlausitz etwa 20.000 Menschen, die sich dem sorbischen Volk zugehörig fühlen und ihre obersorbische Sprache und Traditionen pflegen. Historisch bedingt leben dort auch viele Menschen erst seit zwei Generationen, u.a. durch die Umsiedlungen der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg. Man kann z.B. schlesische und Lausitzer Dialekte hören. Außerdem leben auch polnischen Sprecher*innengruppen verteilt in der Region.

Die Oberlausitz vereint viele Kulturschätze in sich: Prominente Beispiele sind die Krabatsage oder die Osterreiterprozessionen. Der katholische Glaube spielt im Leben der Oberlausitzer von je her eine große Rolle, besonders bei der sorbischen Bevölkerung.

Seit der Wiedervereinigung 1990 ist die Oberlausitz stark von Abwanderung v.a. junger Menschen betroffen, was fehlenden Zukunftsaussichten in der Region geschuldet war. Heute ist die Region zwar immer noch dünner besiedelt als der Rest des Bundesland Sachsen, aber Investitionen in die Infrastruktur, Landwirtschaft und Tourismus setzen positive Impulse für die Region.

Das Wappen der Oberlausitz zeigt eine dreigezinnte goldene Mauer auf blauem Grund.

Quellen

Groß, Reiner. Geschichte Sachsens. Edition Leipzig, Berlin 2001

Schlegel, Siegfried (Hrsg.): Die Oberlausitz, ein liebenswertes Stück Deutschland – eine kleine Landeskunde. Bautzener Druck- und Verlagshaus, 2008

Akzent = schlechte Sprache?

Wer in Großstädten wie Berlin oder Hamburg unterwegs ist, hört nicht nur viele Sprachen, sondern auch viele Dialekte und Akzente. Als Linguistin höre ich oft ganz besonders hin, vor allem bei Akzenten.

Der Begriff ‚Akzent‘ kann unterschiedlich genutzt werden. Einmal bezeichnet er die Betonung von Wörtern oder auch Sätzen, was wir unter anderen aus Gedichten kennen. Andererseits ist der Akzent aber auch ein Merkmal von Dialekten und Sprecher*innen einer Fremdsprache. Wenn wir eine Sprache lernen, z.B. in der Schule, ist es schwierig diese Sprache akzentfrei zu sprechen. Das hängt u.a. mit dem Erwerbsalter zusammen. Kinder, die bilingual aufwachsen, haben meist in keiner ihrer Sprachen einen Akzent.

Ich selber spreche jede meiner Fremdsprachen mit Akzent, das werde ich auch nicht ändern können. Und so geht es den meisten Menschen, egal welche Sprache sie lernen. Doch wie wird eine Person wahrgenommen, wenn sie eine Sprache mit Akzent spricht? Dieser Frage wurde in unzähligen Studien nachgegangen. Unter anderem hat ein Forscherteam herausgefunden, dass Kinder Spielkameraden bevorzugen, wenn sie dieselbe Sprache ohne Akzent sprechen, unabhängig vom Aussehen, Geschlecht oder ob sie die Kinder kennen.

Doch wie ist die Wahrnehmung Erwachsener auf Sprechergruppen mit Akzent? Das sieht die Sache nämlich schon anders aus. Ähnlich wie Sprachen ein höheres oder niedriges Prestige besitzen, beeinflussen auch Akzente unsere Wahrnehmung und Einschätzung unseres Gegenübers.

Spricht eine Person mit einem bestimmten Akzent, glauben wir zu hören, dass sie die Sprache nicht gut beherrscht und weniger kompetent sei. Das ist ein Trugschluss, denn der Akzent hängt weder mit den Kenntnissen der Sprache noch mit dem Bildungsgrad zusammen, sondern meist mit dem Erwerbsalter. Und es ist auch kein Geheimnis, dass wir bestimmte Akzente z.B. einem französischen, als wohlklingender bewerten als andere.

Wir hören unseren eigenen Akzent beim Sprechen einer Fremdsprache aber nicht genauso wie unser Gegenüber, daher ist es schwierig den eigenen Akzent einzuschätzen. Bei anderen hören wir es natürlich, wenn es sich entweder um unsere Erstsprache oder eine Fremdsprache, die wir gut beherrschen, handelt. Würden wir uns selbst als weniger kompetent einschätzen, nur weil wir einen Akzent im Englischen oder Polnischen haben? Wahrscheinlich nicht. Aber bei anderen haben wir einen Grammatik-Tinnitus und urteilen anhand des Akzentes.

Und gegen dieses Problem haben Sprechergruppen mit einem Fremdsprachenakzent sogar noch mehr zu kämpfen, wenn sie noch das „passende“ Aussehen mitbringen. Wir sind so sozialisiert, dass wir das Aussehen einer Person mit bestimmten Charaktereigenschaften oder einem Bildungsgrad assoziieren. Machen wir uns dieser Sache bewusst, können wir viel offener und neutraler in Kommunikationssituationen gehen.

Quellen

Katherine D. Kinzler et al. Accent trumps race in guiding children’s social preferences. In: Social cognition. Band 27, Nr. 4, August 2009, S. 623–634

https://taz.de/Berlins-Buergermeisterkandidat-Saleh/!5034466

Beowulf

Die Kultur eines Landes oder einer Region definiert sich oft über ihre Literatur. In England ist ein Werk dabei besonders beliebt: das Heldenepos ‚Beowulf‘.

Das Beowulf-Epos stammt wahrscheinlich aus dem 8. Jahrhundert und umfasst über dreitausend Verse, geschrieben in Stabreimen. Es ist eins der wenigen überlieferten Schriften aus dieser Zeit in angelsächsischer Sprache. Es wird angenommen, dass die Sprache des Epos einen Dialekt aus dem Königreich Mercia entspricht.

Die einzig verbliebene Originalhandschrift wird London aufbewahrt. Anhand der Schrift kann man von zwei unterschiedlichen Schreibern dieses letzten Stückes ausgehen. Es existieren einige Abschriften jüngeren Datums, da das Originaldokument zu wertvoll und fragil ist, um an ihm zu forschen. Ursprünglich hatte das Epos auch keinen Titel, was zu damaliger Zeit so üblich war.

In Beowulf mischen sich fiktive mit historischen Figuren, was die Altersbestimmung des Epos zeitlich und auch geografisch begrenzt. Der Protagonist ist Beowulf, der dem germanischen Volk der Gauten (es ist unklar, ob es ein eigenes Volk war oder damit die Goten oder Jüten gemeint sind) angehört. Die geografischen Gegebenheiten weisen auf Schweden und Dänemark als Handlungsort hin.

Im ersten Teil des Gedichtes kommt Beowulf mit seinen Gefolgsleuten König Hrothar zu Hilfe, weil er und sein Volk immer wieder von einem Ungeheuer namens Grendel angegriffen werden. Das Ungeheuer kommt in die große Halle und tötet die dort feiernden Menschen. Scheinbar können die Schwerter der Krieger Grendel nichts anhaben. Der Held Beowulf reißt ihm einen Arm aus und Grendel flieht schwer verwundet. Seine auf Rache sinnende Mutter kommt daraufhin in die Halle und tötet einige Krieger, bevor sie in ihre Höhle unter einem See flieht. Dorthin folgen ihr Beowulf und sein Gefolge, doch nur er taucht in den See hinab, wo ein blutiger Kampf entbrennt. Mit seinem eigenen Schwert kann er Grendels Mutter nicht verwunden, also nimmt er ein magisches Schwert aus dem Schatz der Mutter und schlägt ihr den Kopf ab. Als er dann auch noch den verwundeten Grendel findet, tötet er ihn ebenfalls mit diesem Schwert.

Der zweite Teil spielt etliche Jahre später als Beowulf, nun als König der Gauten, gegen einen Drachen kämpft. Dieser Drache terrorisiert das Land, weil jemand etwas aus seinem Schatz gestohlen hat. Beowulf macht sich auf den Drachen zu töten, wird aber in der Höhle von diesem überrascht und angegriffen. Er erleidet dabei schwere Verletzungen, schafft es aber mit seinem treuen Gefolgsmann Wiglaf den Drachen zu töten. Kurzdarauf stirb Beowulf an den Verletzungen des Kampfes. Den Schatz wird zusammen mit Beowulf in einem Grabhügel vergraben.

In dem Epos spielgelt sich der klassische Kampf Gut vs. Böse wider, wobei nicht nur das Können des Helden sondern auch das Schicksal einen große Rolle spielt. Es treten Figuren der nordischen Mythologie auf, während die Menschen schon ein christlich geprägtes Leben führen. Die Eigenschaften Beowulfs wie Tapferkeit, Mut und Ehre zeigen ein aus anderen Sagen und Legenden übliches gesellschaftliches Bild eines Mannes.

Viele Literaturgelehrte und Autoren ließen sich von dieser Geschichte inspirieren und schufen ähnliche Werke wie z.B. ‚Der Hobbit‘ von J.R.R. Tolkien. Doch auch schon im Mittelalter selbst, kamen ähnliche Heldengeschichten wie das Nibelungenlied, dessen Ähnlichkeit sich kaum abstreiten lässt, in Umlauf und erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit.

Das Motiv des Drachen ist schon um einiges älter als Beowulf oder das Nibelungenlied, doch die Faszination für mythische Wesen bleibt über die Zeit hinweg erhalten.  

Quellen

Frey, Johannes. Beowulf. Das angelsächsische Heldenlied. Reclam, Stuttgart 2013

Millet, Victor. Germanische Heldendichtung im Mittelalter. Walter de Gruyter, Berlin 2008

Jahresrückblick 2024

Noch habe ich noch nicht genug Jahresrückblicke geschrieben, um es als Tradition zu bezeichnen, also arbeite ich dran! Wenn ich in den Artikel vom letzten Jahr anschaue, war dieses Jahr etwas ruhiger, zumindest in meinem Privatleben.

Es galt das Jahr ausgewogen zwischen Familie, Arbeit und Uni zu planen. Im Herbst 2023 begann mein Masterstudium, es drängten keine Abgaben. Ich konnte 2024 ganz entspannt angehen, bis auf eine Ausnahme, die mich ziemlich unter Druck setzte: Die C1-Prüfung für meine Hauptstudiensprache Polnisch im Juli. Im Januar hatte ich das Gefühl, es sei noch eine Ewigkeit bis Juli. Kam dann aber doch schneller als erwartet. Seit dem Frühjahr hatte ich auf diese mündliche Prüfung hingearbeitet und sie lief wirklich gut. Die anderen Prüfungen und Hausarbeiten waren zum Glück nicht so arbeitsintensiv, aber das Niveau zieht im Master etwas an.

Obwohl ich nicht wenig Kurse belegt haben, konnte ich mich auch der Arbeit in der Fachschaft widmen, die mir großen Spaß macht. Seit diesem Jahr ist unsere kleine Fachschaft auf ca. 10 Aktive angewachsen, was die Arbeit viel leichter macht. Wir organisieren jetzt regelmäßige Sprachcafés und andere Veranstaltungen, die gut besucht sind. Auch die Zusammenarbeit mit unseren Dozierenden ist dieses Jahr intensiver geworden. Ein Highlight war die Expolingua, auf der sich unser Institut zum ersten Mal vorstellen konnte.

Zusätzlich zu meinem eigentlichen Master ‚Slawische Sprachen‘ habe ich mich im Frühjahr dazu entschieden noch ein Zertifikationsstudium zu absolvieren, um Deutsch als Fremd- und Zweitsprache unterrichten zu können. Es wird parallel zum Hauptstudium angeboten und eröffnet mir eine neue Perspektive nach dem Studium. Besonders gespannt bin ich auf das Praktikum, was Teil des Curriculums ist. Aufgrund meiner beruflichen Erfahrung interessiert mich der Bereich der beruflichen Bildung besonders und ich hoffe, dass ich dort einen Praktikumsplatz bekomme. Je nach Planung werde ich das Zertifikat Ende des Sommer- oder des nächsten Wintersemesters fertigmachen, je nachdem wie die Kurse geplant werden und ob ich in allen einen Platz bekomme.

Und als ob das noch nicht genug Arbeit wäre, wollte ich im Bereich der Revitalisierung des Niedersorbischen aktiver werden. Ich habe schon lange überlegt, was sich da neben dem Studium anbieten würden und meinen Zeitrahmen nicht sprengen würden. Ich entschied mich also einen Niedersorbisch-Lernaccount auf Instagram zu starten, um auch andere Menschen mit meiner Leidenschaft für das Niedersorbische anzustecken! Und außerdem existierte ein solcher Account noch nicht, was ihn mir bei dieser dramatischen Sprachsituation des Niedersorbischen absolut notwendig erscheinen lässt. Die intensive Beschäftigung mit den sprachlichen Inhalten des Accounts hilft mir sehr beim Lernen am Ball zu bleiben und mich mit anderen Lernenden zu vernetzen.

Privat war auch einiges los, allem voran der Schulabschluss und Ausbildungsbeginn meines ältesten Sohnes! Das war für mich als Mama fast aufregender als für ihn!

Mit Vorsätzen für das neue Jahr bin ich ja immer etwas zurückhaltend, weil sie sowieso spätestens im Februar über Bord geworfen werden. Aber ich plane schon einige Termine und setzte mir konkrete Ziele, was ich im neuen Jahr erreichen will. Dazu gehört u.a. der Niedersorbischkurs im Sommer und die B1-Prüfung im Herbst!

Ich danke allen, die meinen Blog und meine Arbeit in den sozialen Medien unterstützen! Lasst uns die Neugier und Leselust auch im Jahr 2025 bewahren!

Armenisch

Die Kaukasusregion beheimatet viele Völker und Sprachen, die in Europa kaum bekannt sind. Eine von diesen Sprachen wird von mehr Menschen außerhalb als innerhalb des Landes gesprochen: Armenisch.

Die Sprache ist Teil der indoeuropäischen Sprachfamilie und wird weltweit von ca. 9 Millionen Menschen gesprochen. Davon machen die Sprecher*innen in Armenien selbst nur knapp 3 Millionen aus. Die größten Sprecher*innengruppen leben in Russland, den USA und Frankreich.

Durch die wechselhafte Geschichte Armeniens bzw. der Sprecherinnen des Armenischen findet man große Einflüsse aus iranischen und anderen Sprachen z.B. dem Phrygischen oder Hurritischen. Die Forschung geht deshalb auch davon aus, dass Gruppen der ‚Urarmenier‘ aus Richtung Osten in das heutige Siedlungsgebiet eingewandert sind, vermutlich um 700 v. Chr.

Erste Belege des Armenischen fand man auf der Inschrift von Behistān aus dem 6. Jahrhundert v.Chr., das sogenannte Altarmenisch.  Ab der Zeit standen die Armenier für etwa 1000 Jahre unter iranischer Herrschaft, was den Einfluss des Iranischen auf das Armenische mehr als erklärt.

Die Christianisierung, wahrscheinlich durch König Trdat III in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts n.Chr., brachte die armenische Sprache in Hinsicht auf die Schaffung einer standardisierten Schriftsprache einen großen Schritt voran. Vorreiter dieser Aufgabe war im 5. Jahrhundert Mesrob Maschtoz, der die Bibel ins Armenische übersetzte. Es entstanden weitere Schriften wie eine geschichtliche, philosophische und religiöse Werke. Zwischen dem 12. Und 18. Jahrhundert entwickelte sich aus dem Altarmenische, das heute noch im religiösen Kontext Anwendung findet, in eine alltagssprachliche Form, genannt Mittel- oder kilikisches Armenisch.

Die wechselnde Herrschaft des heutigen armenischen Staatsgebiet ließ schon seit dem späten Mittelalter die Diaspora eine zentrale Rolle beim Erhalt der armenischen Kultur und Sprache einnehmen. Unter anderem erschienen Druckerzeugnisse in Venedig und Wien. Unter dem Einfluss Russlands im 19. Jahrhundert erfuhren die Armenier eine massive Russifizierung, die Weiterentwicklung der eigenen Sprache und Literatur war kaum möglich. Abermals waren die Armenier im Ausland die treibende Kraft in dieser Sache. Trotzdem erhielt sich das Armenische als Alltags- und Familiensprache neben dem Russischen als Amtssprache.

Heute existieren zwei Standardvarietäten, Ost- und Westarmenisch. Das Westarmenische zu großen Teilen ist die Sprache der Diaspora. Durch die Trennung entwickelten sich lautliche und morphologische Unterschiede, zusätzlich wurde durch die Kontaktsprachen der Diaspora auch noch auf den Wortschatz Einfluss genommen.

Das Lautsystem des Armenischen kennt 26 Konsonanten und 7 Vokale, also ein Umfang der vielen europäischen Sprachen ähnelt. Das Altarmenische wurde wahrscheinlich ganz anders ausgesprochen als das heutige, vor allem von kaukasischen und Turksprachen beeinflusste, Neuarmenisch. Die Standardbetonung liegt auf der letzten Silbe.

Das Kasussystem ist mit sieben Fällen recht komplex, was eine flexible Wortstellung ermöglicht. Generell wird eine SVO-Stellung (Subjekt-Verb-Objekt) als Basis angenommen. Die Sprache kennt kein Genussystem. Außerdem gibt es ein Artikelsystem, aber anders als im Deutschen, und vermehrt Verbformen, die mit Hilfsverben gebildet werden. Der Wortschatz basiert zwar auf dem Altarmenischen, jedoch ist historisch ein großer Anteil iranisch und kaukasisch sowie russisch entlehnt.

Geschrieben wird Armenisch in einer von Mesrob Maschtoz entwickelten Schrift, die aus 39 Buchstaben besteht. Man geht davon aus, dass vorher keine Schrift des Armenischen existiert hat. Die armenische Schrift könnte vom griechischen, aber auch von semitischen Schriften beeinflusst worden sein. Heute stellt die Schrift ein hohes Identifikationsmerkmal der Armenier dar und wird auch künstlerisch verwendet.

Quellen

Eggenstein-Harutunian, Margret: Lehrbuch der armenischen Sprache. 3. Auflage, Helmut Buske, Hamburg 2007

Schulze, Wolfgang. Armenisch. In Miloš Okuka (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt 2002

Seit wann spricht der Mensch?

Weltweit gibt es circa 7000 Sprachen, zumindest von denen wir wissen. Viele Sprachen sind gut erforscht, andere noch gar nicht. Doch eine Frage steht hinter allem: Wo kommt die menschliche Sprache eigentlich her? Und seit wann sprechen wir überhaupt?

Eine Welt ohne Sprache können wir uns heute nicht vorstellen. Unsere Gesellschaften funktionieren nur durch Kommunikation, die dafür sorgt, dass wir unseren Kindern abstrakte Dinge erklären oder auch ein Buch lesen können.

Wenn wir verstehen wollen, wo unsere Sprache herkommt, sind zwei Aspekte klar: Erstens müssen viele Wissenschaftsdisziplinen, z.B. die Biologie, Linguistik oder Anthropologie, ihr Wissen zusammenbringen und zweitens muss allen klar sein, dass es keine verlässlichen Quellen aus so frühen Zeiten zu finden sind. Alle Theorien stützen sich auf Hypothesen, die nur schwer beweisbar sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles an den Haaren herbeigezogen ist.  

Die menschliche Sprache ist eine sehr komplexe Sache, die wir uns sicherlich nicht einfach so angeeignet haben, und schon gar nicht eine bestimmte Sprache. Man muss sich zuerst fragen was genau als Sprache definiert werden kann. Gilt eine Lautabfolge ohne direkten Bezug als Sprache?  Sind einzelne Wörter oder erst Sätze eine Sprache?

Fakt ist, dass Menschen bzw. ihre Vorfahren in irgendeiner Weise kommunizieren mussten, um ihr Leben zu organisieren, z.B. durch Gesten. Doch es ist schwierig den genauen Zeitpunkt oder besser Zeitraum festzustellen, an dem die Sprache Teil des menschlichen Lebens wurde. Es wird davon ausgegangen, dass dies mit den ersten bewiesenen Vorkommen des Menschen vor 200.000 Jahren übereinstimmen könnte, denn an den Funden lassen sich Schlüsse über die Anatomie und die funktionale Sprechfähigkeit ziehen. Vor etwa 60.000 Jahren verließen Menschengruppen Afrika und verbreiteten sich über den gesamten Globus.

Da alle Menschen dieselbe Sprachlernfähigkeit aufweisen, muss die Sprache also vor der weltweiten Verbreitung ein Teil der Menschen gewesen sein. Die verschiedenen Gruppen haben dann mit der Zeit verschiedenste Variationen von Sprache in Bezug auf phonologische Regeln, Wortstellung, Lexik usw. entwickelt, die die heutige Sprachvielfalt zeigt.

Man kann sich aber die Frage stellen ob auch andere Spezies wie der Neandertaler über Sprache verfügten, denn auch die lebten in Gemeinschaften zusammen, was eine Kommunikation sicher nötig machte. Auch wenn Menschen und ihre frühen Verwandten wesentlich mehr Hirnmasse als viele Menschenaffen aufweisen und damit mehr Kapazitäten für die Sprechfähigkeit haben, ist nicht klar welche Spezies außer dem Homo sapiens noch sprechen konnte und es auch tat.

In der Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass die Fähigkeit zum Sprechen von der Fähigkeit zur Sprache unterschiedlich zu betrachten sind. Anatomisch gesehen eignet sich der Bau des menschlichen Vokaltraktes (Rachen- Nasen- und Mundraum) optimal zum Sprechen, anders als z.B. bei Schimpansen. Dieser Fakt spricht für das Vorhandensein von Sprache bei allen Menschenarten, die diese anatomische Eigenschaft besaßen.

Die Funde von Höhlenmalereien und anderen Kulturtechniken und komplexen Werkzeugen legen Vermutungen nahe, dass Menschen schon seit 200.000 Jahren durch Sprache kommunizieren. All diese Techniken weitergeben zu können, erfordern mehr Kompetenzen als das Lernen am Modell. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass vor der Lautsprache nicht auch eine Art Gebärdensprache existiert hat wie sie z.B. Schimpansen in der Lage sind zu lernen.

Unabhängig davon, wie die Menschen zu Beginn der Menschheitsgeschichte kommuniziert haben, ist der Zweck von allen Arten von Sprache das Gelingen der Kommunikation zwischen Individuen. Und die Mengen an gesprochenen und gebärdeten Sprache ist ein großartiger Beweis für den menschlichen Drang zu kommunizieren!

Quellen

Trotzke, Andreas. Sprachevolution – Eine Einführung. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2017

Lenneberg, Eric. Biologische Grundlagen der Sprache. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996

Deutsche Sprachinsel in Irland

Die Auswanderung von Deutschen nach Amerika oder Australien ist allen bekannt. Aber viele Deutsche suchten in Europa nach einer neuen Heimat z.B. im Vereinigten Königreich.

Die ersten Jahre des 18. Jahrhunderts waren in Europa durch besonders harte Winter geprägt, was für eine schlechte Ernährungslage der Menschen, besonders in Mittel- und Osteuropa, sorgte. Auch Kriege und die noch wenig ausgeprägte Religionstoleranz in vielen Teilen des deutschsprachigen Gebietes waren Gründe für ganze Familien ihr Glück in der Fremde zu suchen.

Doch nicht alle wagten den großen Schritt über die Ozeane, zumal es sich viele schlechthin nicht leisten konnten. Die Reise innerhalb Europas war eher realisierbar. Die Menschen hörten von der Möglichkeit nach England zu gehen, um dort ein besseres Auskommen zu haben. Die Regierung des Vereinten Königreiches versprach u.a. Land zum Siedeln, religiöse Toleranz und Steuerfreiheit für zehn Jahre. Vor allem die durch Steuern hoch belastete Bevölkerung der Kurpfalz, ein zerstückeltes Gebiet an der Mosel und dem Mittelrhein mit den Städten Heidelberg und Mannheim, fasste den Entschluss einen Versuch zu wagen.

Sie machten sich im Frühling 1709 in großen Gruppen, die Quellen sprechen von mehreren Tausend, auf den Weg über die Niederlande nach England. Diese unerwarteten Menschenmassen mussten von der britischen Regierung nicht nur untergebracht, sondern auch verpflegt werden.

Einige hundert Menschen schickte man sofort zurück, weil sie katholisch waren und laut Gesetz nicht aufgenommen werden durften. Die anderen Neuankömmlinge wurden auf verschiedene Regionen aufgeteilt. Die jeweiligen Provinzverwaltungen versuchten die Kurpfälzer in Lohn und Brot zu bringen, doch die Stimmung unter den Menschen wurde zusehends schlechter.

Nach kurzer Zeit wurden die Menschen entweder nach Amerika weitergeschickt oder sie traten den Weg nach Irland an. Dort wurden sie als Arbeitskräfte dringend gebraucht. Nach der Ankunft in Irland wies die für die Einwanderer zuständige Kommission den Menschen Arbeit u.a. im Bausektor und der Landwirtschaft zu. Das Klima in Irland war milder als die Kurpfälzer es aus der Heimat kannten, die Landwirtschaft war ertragreicher und daher auf Arbeitskräfte angewiesen. Trotzdem verließen viele das Land nach kurzer Zeit wieder. Die verbleibenden gut 300 Familien wurden im Süd-Westen Irland in der Grafschaft Limerick (irisch Luimneach) angesiedelt.

Die ersten Siedlungen entstanden rund um Rathkeale. In der neuen Heimat blieben die Kurpfälzer lange Zeit unter sich, was u.a. mit ihrer Konfession zu tun hatte, denn die Iren war mehrheitlich katholisch. Auch von Seiten der englischen Krone, die den irischen Katholiken skeptisch gegenüberstand, waren die protestantischen Siedler willkommen.

Der Erfolg der Siedlungen in der Grafschaft Limerick sind, anders als in anderen Gegenden Irlands und Englands, auf die anfängliche Unterstützung der Regionalverwaltung zurückzuführen. Der Anbau der Hanf und die Rinderhaltung sicherten den Kurpfälzern ein gutes Auskommen. Von den Familien, die sich dort niederließen, wurden schon wenige Jahre später zahlreiche eingebürgert.

Sie bewahrten ihre deutsche Sprache und Traditionen fast ein Jahrhundert lang. Anders als in den USA oder Australien kamen in den folgenden Jahren keine neuen Siedler aus der alten Heimat nach Irland. Mit der Zeit mischten sich dann die deutsche und irische Bevölkerung, so dass ab etwa 1850 nur noch deutsche Namen an die deutschen Auswanderer erinnern.  

Quellen

Berend, Nina & Knipf-Komlósi, Elisabeth. Sprachinseln-The World of Language Islands. Peter Lang. Frankfurt am Main 2006

Heimrath, Ralf & Kremer, Arndt (Hrsg.): Insularity. Small Worlds in Linguistic and Cultural Perspectives. Königshausen und Neumann, Würzburg 2015