Wozu braucht man Sprachwissenschaften?

Ich würde behaupten, dass alle Studierenden egal welcher Sprachwissenschaft diese Frage schon mal gestellt bekommen haben! Und die wenigsten haben sofort eine schlagfertige Antwort darauf.

Die Sprachwissenschaft als Disziplin ist von Hause her schon mal riesig. Sie umfasst neben der Allgemeinen und Angewandten Sprachwissenschaft auch die Disziplinen, die sich mit einzelnen Sprachen oder Sprachfamilien beschäftigen z.B. Slawistik oder Romanistik. Bekannte Fachbereiche sind auch Spracherwerb, Computerlinguistik, historische Sprachwissenschaft usw….Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Gerade die technischen Möglichkeiten eröffnen auch der Sprachwissenschaft neue Betätigungsfelder.

Aber eigentlich wissen wir doch schon alles über Sprache(n), oder? Auf dem ersten Blick vielleicht, aber wir kennen noch immer nicht alle Sprachen, ihre Strukturen und die Auswirkungen von Sprache auf unsere Gesellschaften u.v.a.m.

So vielfältig wie die Sprachwissenschaft sind auch die Studiengänge in Deutschland. Es gibt allgemein sowie spezielle Ausrichtungen. Ich habe im Bachelor als Zweitfach ‚Germanistische Linguistik‘ studiert, also dem Schwerpunkt auf germanische Sprachwissenschaft. Mein Erstfach war ‚Slawische Sprachen und Literaturen‘, was Sprach- und Literaturwissenschaft kombiniert. Beide Fächer ergänzen sich, in meinen Augen, perfekt, denn die verschiedenen Sichtweisen und Arbeitsweisen lassen Raum für eigene Interessen, Projekt und hinterfragendes Denken.

Genau diese Freiheit schätze ich an der Sprachwissenschaft. Wir arbeiten nicht nach Schema F, sondern entwickeln eigene Fragestellungen und Lösungsansätze. Es gibt nicht den einen Beruf des Sprachwissenschaftlers, es ist genauso vielfältig wie das Studium.

Als erstes denkt man der typische Arbeitsplatz wäre in der Wissenschaft und Forschung, aber das ist nur ein kleiner Teil. Die Sprachwissenschaft ist eine Disziplin, die oft mit anderen zusammenarbeitet, z.B. mit Historikern, Sozialwissenschaftlern oder Soziologen. Sprachwissenschaftler arbeiten auch im Journalismus, Kulturinstituten, Verlagen, Museen oder in Behörden, je nachdem wofür man sich besonders interessiert. Oftmals hat man ein zweites Fach studiert, im sogenannten Kombibachelor, um sich fachlich breit aufzustellen.

Ein großes Arbeitsfeld sind Übersetzungen und andere Sprachdienstleistungen, Verlagsarbeit und Lehrtätigkeiten z.B. in der Erwachsenenbildung. Die aufkommenden Übersetzertools machen die Sprachwissenschaft keineswegs überflüssig, im Gegenteil. Irgendwer muss diese Programme schließlich entwickeln und trainieren.

Ein Bereich, der mich besonders interessiert, ist die Minderheitensprachpolitik. In unserer immer globaleren und vielfältigeren Welt stehen wir vor dem Problem, dass nicht alle Sprachen und Sprechergemeinschaften gleich gut sichtbar sind. Die historischen Hintergründe dafür sind vielfältig und gerade in Europa wieder ein heiß diskutiertes Thema. Der Schutz und der Erhalt kleiner Sprachen, gerade in Deutschland, liegt mir sehr am Herzen.

Ein anderer Bereich der Sprachwissenschaft ist die klinische Linguistik. Das Studium befähigt die Studierenden später als Sprachtherapeuten zu arbeiten. Sprachtherapeuten sind sowohl in Kliniken und Praxen als auch in der Forschung tätig. Ihr Arbeitsbereich sind u.a. Sprachstörungen.  Dieser Studiengang unterscheidet sich stark von der ‚klassischen‘ Sprachwissenschaft, doch es gibt viele verbindende Elemente, besonders zum Beginn des Studiums.

Egal welchen Weg man nach dem Studium einschlägt, gefordert sind immer ein neugieriger Geist und die Bereitschaft den kulturellen Austausch zu fördern. Auch Sprachwissenschaftler wollen mit ihrer Arbeit ein Teil zur Verständigung innerhalb der Gesellschaft beitragen. Doch auch wir sind nur Menschen. Wir sprechen selten alle Sprachen und bewerten auch nicht was und wie andere sprechen, sondern beschreiben Sprache wie sie ist. Die Sprachwissenschaft ist keine Sprachpolizei und wird es, hoffentlich, auch nie sein!

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