Slowenisch

Slovenščina (dt. slowenisch) ist eine südslawische Sprache, gesprochen in Slowenien und teilweise in den Nachbarstaaten wie Italien oder Österreich.

Obwohl die Sprecherzahlen mit 2,2 Millionen Slowenisch als kleine Sprache kennzeichnen, ist sie doch schon früh standardisiert und in der Literaturlandschaft Sloweniens vertreten. Auch der immerwährende und frühe Kontakt zu anderen Sprachen wie Deutsch, Italienisch oder Ungarisch und die starke Präsenz des Serbokroatischen zu Zeiten Jugoslawiens, veränderten die Sprache nicht grundlegend.

Das ursprüngliche Sprachgebiet des Slowenischen gibt die Forschung mit dem Gebiet des Fürstentum Karantanien (etwa im 7. Jahrhundert n. Chr.) an, dass sich etwas weiter nördlich des heutigen slowenischen Staates befand. Dieses Fürstentum hatte sicherlich rege Kontakt mit den Nachbarn, trieb Handel usw. Die slowenischen Dialekte zeugen heute noch davon. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass es noch keinen slowenischen Staat gab, sondern verschiedene Stämme, die eine gemeinsame Sprache sprachen.

Die ersten Quellen, die Aufschlüsse über ein slowenisch sprechendes Volk geben, stammen von Primož Trubar aus dem Jahr 1550. Es herrscht Unklarheit, ob die beschriebenen Slovenci schon mit Slowenen, also den slowenisch Sprechenden gleichzusetzten sind. Die Quellenlage bessert sich ab dem 16.Jahrhundert, ab da gab es mehr Quellen z.B. Bibelübersetzungen. Durch diese konnte sich eine Standardschriftsprache entwickeln, die bis heute fortgeführt wird, sprachliche Veränderungen natürlich eingeschlossen, wie bei allen lebenden Sprachen. Die gesprochene Sprache weist über die Zeit Unterschiede zur Schriftsprache auf, die Dialekte beispielsweise.

Als Teil des Habsburger Reiches wurde den Slowenen die Verwendung des Slowenischen als Amtssprache zugestanden, was nicht nur im Verwaltungs- und Schulwesen eine positive Entwicklung bedeutetet, sondern auch im Bereich der Literatur und der Identitätsbildung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Slowenien Teil Jugoslawiens, aber Slowenisch war als Amtssprache (neben Serbokroatisch, Mazedonisch und Albanisch) etabliert und wurde immer verwendet. Nach 1991 erfüllte es die Funktion der alleinigen Amtssprache Sloweniens, einer Regional- und Minderheitensprache in einigen Nachbarstaaten und nach dem EU-Beitritt 2004 auch eine der 24 Amtssprachen der EU.

Slowenisch schreibt man mit dem lateinischen Alphabet, ergänzt um einige Buchstaben, die die slawischen Laute ergänzen (Č, Š, Ž), insgesamt gibt es 20 konsonantische und 5 vokalische Grapheme. Die Schreibung ist meist phonetisch, die Aussprache ist aber nicht so leicht wie man denkt.

Das Phoneminventar besteht aus 22 konsonantischen und 13 vokalischen Phonemen, man erkennt also eine Dopplung der Phoneme in der Verschriftlichung.

Typisch für die slawischen Sprachen, ist auch das Slowenische eine flektierende Sprache, mit 6 Kasus, 3 Numeri (darunter der in Europa seltenen Dual) und 3 Genera.

Zum großen Teil besteht der Wortschatz aus slawischen Erbwörtern, doch der stetige Sprachkontakt hat zahlreiche Entlehnungen u.a. aus dem Lateinischen, Italienischen und Deutschen ins Slowenisch getragen, je nach Dialekt oft unterschiedlich.

Die relativ kleine Sprecherzahl lässt es merkwürdig erscheinen, aber in Slowenien (und in den Grenzregionen zu Slowenien) werden zahlreiche Dialekte gesprochen. Man unterscheidet 7 Dialektgruppen (Kärntner Slowenisch, Steirer Slowenisch, Oberkrainerisch, Unterkrainerisch, Primorsko, Rovtarsko und Pannonisches Slowenisch).

Die Literaturlandschaft Sloweniens ist vielfältig. Als einer der wichtigsten Literaten gilt France Prešeren (1800–1849), als zeitgenössischer Schriftsteller wäre Drago Jančar (* 1948) zu nennen, aber es gibt viele mehr.

In Deutschland finden slowenische Werke und die slowenische Sprache nur wenig Beachtung, bis jetzt. Doch so langsam wächst das Interesse und die Slowenen zeigen selbstbewusst, was sie sprachlich und kulturell zu bieten haben.

Quellen

Okuka, Miloš & Gerald Krenn (Hrsg.). Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Rehder, Peter (Hrsg.). Einführung in die slavischen Sprachen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003

Der Wawel-Drache

Drachen sind ein fester Bestandteil der slawischen Mythologie, nicht ausschließlich im Slawischen, denn fast alle Kulturen der Welt kennen solche Wesen. Aber es mich beschleicht das Gefühl, dass der Drache im Slawischen eine besonders wichtige Stellung einnimmt, denn er erscheint auf etlichen Wappen von Städten und Gemeinden. Die ehemals heidnischen Geschichten über Drachen und ihre Bezwinger (ja, leider die maskuline Form, denn ich habe keine Bezwingerinnen in der Literatur gefunden) wurden von Chronisten gerne zu christlichen Heldengeschichten umgedeutet und zeigen die tiefe Verwurzelung dieser Wesen im Leben der Menschen. In der deutschen Sagenwelt kommt einem sofort der Drachentöter Siegfried in den Sinn.

Drachen sind Wesen, die meist mit Tieren wie Schlangen oder Echsen assoziiert werden, oft Feuer spucken und mal gut, aber fast immer als böse angesehen werden (in der sorbischen Mythologie gibt es auch gute Drachen). Dabei ist ihre Gestalt vielfältig. Sie sind meist groß, gleichen Tieren, vor allem den besagten Echsen und Schlangen, speien Feuer und können manchmal sogar fliegen. Sie werden oft nicht besonders intelligent beschrieben und fallen auf Listen herein.

Einer der bekanntesten Drachen aus der polnischen Kulturgeschichte, ist der Wawel-Drache. Er lebte in einer Höhle (pl. Smocza Jama) unter dem Wawel, auf dessen Hügel sich heute eine Kathedrale und ein Schloss befinden. Wer schon einmal in Krakau (pl. Kraków) war, wird ihn bestimmt in der Stadt entdeckt haben: Den Wawel-Drachen (pl. Smok Wawelski). Er ist eine der bekanntesten Figuren der Krakauer Geschichte und die Erinnerung an ihn wird durch etliche Souvenirs in Form von Stofftieren, kleinen Figuren etc. am Leben gehalten.

Die Legende besagt, dass der Drache schon vor der Stadtgründung, durch den Namensgeber Krak, dort lebte und die Bewohner des Landes terrorisierte. Er riss Vieh, steckte Hütten in Brand und tötete sogar Menschen, angeblich am liebsten Jungfrauen. Die Menschen wussten sich nicht zu helfen. Der König des Landes versprach demjenigen, der den Drachen tötet, seine Tochter zur Frau zu geben. Aber niemand, sonst wäre die Geschichte ja schnell zu Ende, konnte den Drachen töten. Doch irgendwann hatte ein junger Schuster eine Idee, wie das Unmögliche zu schaffen sei und sprach beim König vor. Er wollte den Drachen nicht bekämpfen, sondern überlisten. Der König ließ ihn gewähren. Der junge Mann füllte ein Schaf mit Schwefel, nähte es zu und legte er, als der Drache schlief, vor seine Höhle. Der Drache stürzte sich beim Aufwachen auf das Schaf, fraß es auf und bekam kurze Zeit später solchen Durst, dass er zur Weichsel lief, um seinen Durst zu stillen. Er trank so viel, dass er am Ende platzte. Damit war er besiegt und der Schuster heiratete die Königstochter.

Die Legende ist mit typischen Elementen der vorchristlichen europäischen Mythologie durchsetzt. Drachen werden mit dem Bösen oder dem Chaos gleichgesetzt. Sie verbreiten Angst und Schrecken und es braucht immer einen Helden, um sie zu töten, oder sie werden mit Opfergaben milde gestimmt. In vielen Legenden wird der Drache mit Gewässer oder Wasser allgemein assozierte, auch wenn das durch das Feuerspucken, was in vielen Geschichten eine Haupteigenschaft des Drachens ist, eher wie ein Gegensatz wirkt.

In der Zeit der Christianisierung Polens, Ende des 10. Jahrhunderts, trat der Drache auch als Symbol des Teufels oder Satans auf, der von Christen bekämpft werden muss. Bekannte Legenden sind die des Heiligen Georgs oder des Erzengels Michael, die beide Drachen besiegten. Damit zeugt die christliche Lehre von Überlegenheit des Guten über das Böse, in Form des Drachens.

In Polen ist der Katholizismus die am weitesten verbreitete Religion und der Sieg des rechtschaffenden Schusters über den bösen Drachen passt wunderbar in dieses Bild. Ob die Legende dabei wahr ist oder nicht, spielt keine Rolle. Menschen mögen Geschichten, die zum Gruseln sind und ganz nebenbei haben sie auch noch einen erzieherischen Charakter: Das Gute siegt über das Böse, wenn man Gutes tut. Parallelen zu Märchen oder Fabeln sind da gut zu erkennen.

Quellen

Zdeněk Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1993

Jarock, Mariola & Michalec, Bogusław. Legendy polskie dla dzieci. Aksjomat, Kraków 2017

Jan Hus – Reformator und Nationalheiliger Tschechiens

Er gilt als einer der bedeutendsten Figuren der tschechischen Geschichte: Jan Hus, der als Reformator und Theologe das Nationalbewusstsein der Tschechen weckte.

Geboren wurde Jan Hus 1370 (oder 1372) in dem kleinen Dorf Husinec in Böhmen als Kind armer Leute. Seine Eltern wollte für ihn eine Priesterlaufbahn, damals nicht nur ein angesehener Beruf, sondern auch ein Weg raus aus der Armut.  Hus absolvierte die Lateinschule und das Grundstudium an der Karls-Universität in Prag mit ausgezeichneten Leistungen, studierte dann zusätzlich Philosophie, Medizin, Theologie und Jura. Sein Drang nach Wissen schien unersättlich und er stieg die Karriereleiter der Universität immer weiter hinauf.

Überlieferungen nach war Hus ein beliebter und verehrter Prediger, der sich aber schon früh gegen die Machenschaften der katholischen Kirche wandte und die Sittenlosigkeit und Machtgier der Kirchenoberen anprangerte. Das kam bei der katholischen Kirche erfahrungsgemäß nicht gut an und so enthob ihn der Prager Bischof 1408 von seinem Predigerposten in der Prager Bethlehemskapelle.

Die Kirchenmänner fürchtete seine Rhetorik und die Verwendung der tschechischen Sprache innerhalb der Messen. Die Menschen strömten gerade deshalb in großer Zahl in den Gottesdienst, sie verstanden nun endlich um was es ging und Hus hatte das Talent ihnen alles argumentativ und mit vielen Beispielen zu erklären.  Auch aus der Verehrung des englischen Theologen John Wyclif und seiner Thesen machte er keinen Hehl.  Das Verbot zu predigen, kümmerte Hus nicht, er arbeitete einfach außerhalb der Kirche weiter.

Die Folge für Hus Weigerung, das Predigen einzustellen und seine Thesen zu widerrufen, brachte ihm 1410 den Kirchenbann ein. Der Bann und die Exkommunizierung kamen damals einer Vernichtung der Existenz und der Würde gleich. Keiner durfte Hus unterstützen, weder mit Unterkunft oder Verpflegung noch durfte man mit ihm sprechen oder, noch schlimmer, ihm zuhören. Hus war aller Rechte beraubt, er war vogelfrei. Seine große Sympathie bei seinen Anhängern ermöglichte ihm jedoch ein geheimes Wirken außerhalb Prags zwischen den Jahren 1412 – 1414. Er schrieb, veröffentlichte und predigte weiterhin. In zahlreichen Werken, eins der wichtigsten ist „De ecclesia“, prangert er die Verhältnisse in der Kirche an, kritisierte direkt hohe Kirchenvertreter und gestaltete die Gottesdienste um.

1414 fand das Konzil von Konstanz statt, zu dem Jan Hus vorgeladen wurde, damit er, so die Hoffnung der Kirchenoberen, seine Schriften und Thesen widerrufe. Trotz der Zusage auf freies Geleit wurde Hus in Konstanz verhaftet und über Monate eingesperrt. Am 6. Juli 1415 verurteilte man ihn wegen Häresie zum Tod auf dem Scheiterhaufen, eine damals übliche Strafe für Abweichler der katholischen Kirche. Die letzte Chance sein Leben zu retten und zu widerrufen, ließ Hus verstreichen.

Doch sein Tod hielt den religiösen Umbruch Böhmens nicht auf. Die Prager Fensterstürze und die Hussitenkriege in den Folgejahren kann man als Reaktion auf die Hinrichtung ansehen. Hus Anhänger, die Hussiten, wollten ihre Unabhängigkeit von der katholischen Kirche nicht aufgeben. Die Folge waren Bürgerkriege, die weit über Böhmen hinausgingen. Die politische Situation in Mitteleuropa war zu dieser Zeit unübersichtlich und vor allem unsicher. Hus Ideen lebte weiter und, wie alle wissen, betrat nur knapp 100 Jahre später ein Mann die theologische Bühne und führte fort, was Reformatoren wie Hus begonnen hatten.

Das Leben und Wirken von Jan Hus setzt sich aber noch weit über die Geschehnisse um die Hussiten und den Glaubensfragen fort. Mit seinen Schriften und seinen Predigten in tschechischer Sprache schuf Hus nicht nur das Nationalbewusstsein der Tschechen, sondern auch eine Standardsprache und -schrift. Die spezifischen Schriftzeichen zum Verschriftlichen der typischen tschechischen Laute schlug Hus vor und so sieht man noch heute den háček, dt. das Häkchen, und die čárka, dt. der Akut, in der tschechischen Schriftsprache.

Jan Hus wird bis heute in Tschechien verehrt, er symbolisiert den Kampf der Tschechen auf Freiheit und Meinungsfreiheit. Zahlreiche Straßen, Schulen und Plätze im ganzen Land sind nach ihm benannt. In Konstanz gibt es das Hus-Museum, das sich ganz dem Leben und Wirken des Reformators widmet. Das Jan-Hus-Denkmal am Altstädter Ring in Prag ist einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Die katholische Kirche hat das begangene Unrecht bis heute nicht als falsch anerkannt bzw. Jan Hus rehabilitiert.

Quellen

Dowley, Tim. Der Atlas zur Reformation in Europa. Neukirchner Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2016

Soukup, Pavel. Jan Hus. Prediger – Reformator – Märtyr. Kohlhammer, Stuttgart 2014

Lagerszpracha- eine Pidginsprache aus der Hölle

Jeder Mensch braucht Sprache. Sprache ist Kultur und Identität. Was passiert, wenn man Menschen ihre Sprache einfach wegnimmt? Man beraubt sie damit nicht nur ihres Kommunikationsmittels, sondern auch ihrer Identität. Doch Menschen schaffen es auch unter schwierigsten Bedingungen die Kommunikation aufrecht zu halten. Sie ist für sie lebensnotwendig.

In den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten war Deutsch die einzig (offiziell) akzeptierte Sprache. Die Befehle, die Beschimpfungen, die Meldungen in den Baracken wurden nur auf Deutsch gebrüllt, ja gebrüllt. Sprach ein Häftling nicht deutsch bzw. verstand die auf Deutsch gegebenen Befehle nicht, konnte das schwere Strafen oder den Tod nach sich ziehen. Also waren die Häftlinge gezwungen sich schnell wenigstens die einfachen Befehle und Redewendungen der Aufseher zu merken und wiedergeben zu können. Auch ihre Häftlingsnummer mussten sie klar und deutlich auf Deutsch sagen können. Um die Post besser kontrollieren zu können, musste sämtlicher Schriftverkehr der Häftlinge in deutscher Sprache geschrieben werden.

Die mündliche Kommunikation der Wächter mit den Häftlingen zeigt aus soziolinguistischer Sicht einen bestimmten Jargon. Der Großteil der Sprache waren Schimpfwörter, Beleidigungen, die den Befehlen beigefügt wurden. Selbst die Häftlinge, die Deutsch verstanden oder sprachen, kannten diese Art von Vulgarismen wahrscheinlich kaum. Und doch prägten sie die alltägliche Kommunikation mit den Peinigern.

Doch die KZ-Häftlinge in Auschwitz kamen aber aus den unterschiedlichsten Ländern oder Regionen, jeder brachte seine eigene Sprache mit. Das führte natürlich auch unter den Häftlingen zu Problemen, sie konnten sich kaum miteinander verständigen, doch sehr schnell entwickelte sich eine multinationale Sprachmischung, die stetig erweitert wurde: Die lagerszpracha (vorgeschlagen vom deutschen Wissenschaftler Wolf Oschlies).

Aus wissenschaftlicher Sicht kann man von einer Pidginsprache sprechen. Die lagerszpracha entstand aus der Notwendigkeit, dass sich Sprecher verschiedener Sprachen im Alltag (nicht mit den deutschsprachigen Wächtern, denn da mussten sie Deutsch sprechen) irgendwie organisieren mussten. Wie eine klassische Pidginsprache nutzte die lagerszpracha nur einen begrenzten Wortschatz, der zu großen Teilen aus dem lagerspezifischen Deutsch bestand, und typisch polnische Grammatikmerkmale aufweist (die Polen bzw. polnischen Juden waren die größte Gruppe in den KZs), aber auch viele Ausdrücke aus den Sprachen der anderen Sprachen der Häftlinge.

Die lagerszpracha baute auf den im Lager üblichen Funktionsbegriffe wie den Befehlen, dem Tagesablauf (z.B. apely – dt. Appelle) oder den Gebäuden auf. Einige schriftliche Zeugnisse sind, dank dem Einsatz mutiger Häftlinge, in Fragmenten auch schriftlich erhalten. Die meisten Daten stammen aber von Überlebenden, die trotz ihrer Traumata bereit waren, darüber zu sprechen.

Die lexikalischen Eigenheiten der lagerspzracha lassen sich systematisch in Gruppen zusammenfassen:

  • Übernahme der deutschen Wörter z.B. Gebäudebezeichnungen oder Objekte, die nicht flektiert wurden, aber oft eine Genuswechsel durchmachten (in Abhängigkeit des Genus im Slawischen)
  • Entlehnungen, die an sie polnische Schreibweise und Deklination angepasst wurden z.B. culaga (dt. Essenszulage), durchfalowy (dt. Durchfall, hier in Adjektivischer Form gebraucht) oder sortirunek (dt. Sortierung bzw. Selektion)
  • Semantische Entlehnungen zur Bezeichnung KZ-spezifischer Begriffe z.B. brytfanka (dt. Bratpfanne, Bezeichnung für ein Werkzeug aus Metall zum Schieben der Leichen im Krematorium)

Auch auf den anderen linguistischen Ebenen sieht man typische Pidginelemente. Verben wurden systematisch mit bedeutungstragenden Prä- und Suffixen versehen (im Slawischen sehr produktiv, aber auch aus dem Deutschen bekannt), viele Genuswechsel und angepasste Pluralendungen sind von den deutschen Ursprungswörtern ins polnische System übernommen, Intonation und Betonungsmuster passten sich an den jeweiligen Sprecher an und noch vieles mehr.

Auch Lexik aus anderen Sprachen, oft abhängig von der Anzahl der Häftlinge mit dieser Sprache als Muttersprache, fand Eingang in die lagerszpracha, blieben aber die Ausnahmen. Die Sprache lebte ja auch von den Menschen, die sie verwendeten, und die meisten Neuzugänge überlebten die ersten Wochen bekanntlich nicht.

Die Erforschung dieses Phänomens der lagerszpracha, in manchen Quellen auch Lageresperanto genannt, war lange Zeit nur eingeschränkt möglich und stieß vielerorts kaum auf Interesse. Nach dem Krieg waren die ehemaligen Insassen zu stark traumatisiert, um sie zu befragen, andere wollten dieses Kapitel, verständlicherweise, einfach nur hinter sich lassen.

Quellen

Oschlies, Wolf: „Lagerszpracha“ – Zu Theorie und Empirie einer KZ-spezifischen Soziolinguistik, in: Zeitgeschichte (Wien) Nr. 1/1985, S. 1-27

Wesołowska, Danuta. Wörter aus der Hölle: die „lagerszpracha“ der Häftlinge von Auschwitz. Impuls Verlag, Kraków 1998

Die Brailleschrift

Die Idee einer Blindenschrift kam schon im 17. Jahrhundert auf und es gab immer wieder Versuche sie „salonfähig“ zu machen. Aber erst dem Franzose Louis Braille gelang die Entwicklung der Blindenschrift wie wir sie heute kennen und weltweit als Standardschrift genutzt wird.

Louis Braille (1809-1852) verlor als Kind sein Augenlicht durch einen Unfall in der Werkstatt seines Vaters. Durch das Engagement seiner Eltern konnte der Junge eine Schule besuchen und kam dort in Kontakt mit der Nachtschrift von Charles Barbier. Braille verbesserte das System der Schrift, um sie fürs schnellere Lesen und den Buchdruck zu vereinfachen.

Das Sechs-Punkt-System der Braille-Schrift beruht auf sechs erhabenen Punkten, die gut mit den Fingerspitzen ertastet werden können. Die Punkte sind im Rechteck mit je zwei Spalten und drei Zeilen angeordnet. Mit den 64 Kombinationsmöglichkeiten der Punkte können alle Buchstaben, einschließlich Sonderzeichen wie Fragezeichen etc., dargestellt werden, die sogenannte Grundform.

 Spalte 1Spalte 2
 Zeile 1Punkt 1Punkt 4
Zeile 2Punkt 2Punkt 5
Zeile 3Punkt 3Punkt 6
System der Punktverteilung nach Braille

Die Grundform teilt sich in sieben Gruppen.

Gruppe 1: Punkt 3 und 6 sind nicht vorhanden

Gruppe 2: Gruppe 1 plus Punkt 3

Gruppe 3: Gruppe 1 plus Punkt 3 und Punkt 6

Gruppe 4: Gruppe 1 plus Punkt 6

Gruppe 5: Die Punkte der Gruppe 1 werden um eine Zeile nach unten versetzt

Gruppe 6 und 7: die restlichen Zeichenmöglichkeiten

Der Ökonomie wegen gibt es keine Groß- und Kleinschreibung bzw. es muss ein Extrazeichen vor den Buchstaben gesetzt werden, um die Großschreibung anzuzeigen. Auch Zahlen oder Ziffern werden mit vorangestellten Zeichen kenntlich gemacht, genauso wie Satzzeichen und anderes im Schriftbild Nötige.

Ursprünglich war die Brailleschrift für Französisch entwickelt, doch schnell wurde klar, dass auch andere Sprachen sich damit schreiben lassen. Eine Voraussetzung dafür war die fehlenden Buchstaben anderer Alphabete in das Zeichensystem zu integrieren. Selbst das griechische und das kyrillische Alphabet konnten phonetisch angeglichen werden.  

Die Druckerzeugnisse in Brailleschrift sind wesentliche umfangreicher an Material als gewöhnlich. Das Papier ist dicker, nur einseitig bedruckt und braucht pro Bogen mehr Platz. Da stellt sich automatisch die Frage der Wirtschaftlichkeit und man muss sich nicht wundern, dass die Kosten für ein Buch in Braille viel höher liegen als für Standardbücher.

Um trotzdem die Drucke in Brailleschrift herzustellen, musste man sich Möglichkeiten zur Vereinfachung und Verkürzung erarbeiten. Das hat nicht nur den Vorteil, dass das Buch weniger Umfang hat, sondern auch das Lesen schneller wird.  Dafür bleibt das System grundsätzlich erhalten. Es gibt einzelne Buchstabe, die für ein einzelnes Wort stehen, dass sehr häufig vorkommt z.B. „u“ für „und“. Sehr viele Bücher in Deutschland sind in dieser sogenannten ‚Kurzschrift‘ verfasst, sodass Vielleser diese Schrift beherrschen müssen, wenn sie sich umfangreich belesen möchten. Die Zeichenkombinationen der Schrift sind sehr zahlreich, nur die einzelnen Buchstaben zu kennen, reicht bei Weitem nicht aus!

Louis Braille entwickelte aber nicht nur eine Schrift zum Lesen und Schreiben, sondern auch eine Notenschrift, die auf demselben System der sechs Punkte basiert. Dabei ist die Kodierung der Punkte an Note und Notenlänge angepasst. Andere Zeichen geben weitere Informationen wie Tempo, Oktaven oder sogar Akkorde an. Man muss aber bedenken, dass blinde bzw. sehbehinderte Musiker*innen während des Spielens die Noten nicht mit den Fingern lesen können, da sie die Hände ja zum Spielen brauchen. Es muss also vorher gelesen werden und dann aus dem Gedächtnis gespielt werden, egal welches Stück oder Instrument.

In unserem „sehenden“ Alltag ist die Brailleschrift nur vereinzelt vertreten. Der eine oder andere hat sie sicher schon in Bahnhofsaufzügen, Treppengeländern oder in öffentlichen Gebäuden bemerkt. Das erleichtert die Orientierung und Selbstständigkeit der Menschen mit Sehbehinderungen. Schließlich will man nicht immer jemanden um Hilfe bitten müssen. Auch auf Medikamentenpackungen ist die Brailleschrift zu finden, manche (leider noch zu wenige) Restaurants haben ihre Menükarten in Braille. Wenn man mal darüber nachdenkt, wo wir Sehende überall Schrift finden und es für selbstverständlich halten, dass alles beschriftet wird, kann man sich leicht vorstellen, wie viel mehr Blindenschrift wir im öffentlichen Leben bräuchten.  

Als Sehender macht man sich kaum die Mühe die Brailleschrift zu erlernen. Sie lässt sich ja durchaus mit den Augen lesen. Denn Sehende tun sich mit dem Ertasten der Punkte viel schwerer, da unser visueller Sinn sehr dominant ist. Aber vielleicht kann ein Perspektivenwechsel zum Nachdenken anregen, der dazu führt, die Welt nicht nur mit den Augen zu begreifen.

Schließlich ist unser Tastsinn der erste, der sich embryonal entwickelt. Das zeigt doch eindeutig wie wichtig das Fühlen ist, nicht nur allgemein, sondern auch für die menschliche Kommunikation, zu der auch das Lesen und Schreiben gehört.

Quellen

Adam, Birgit. Das Buch der Blindenschrift. Marix-Verlag, Wiesbaden 2009

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Nordische Mythologie

Die nordischen Mythen sind verwandt mit den germanischen Mythen auf dem europäischen Kontinent. Man geht davon aus, dass sie sich im Laufe der Zeit Bezeichnungen, kultische Orte und Traditionen auseinanderentwickelt haben. Ihre Ursprünge haben sie gemein, doch Namen und Kultbezeichnungen tragen andere Bezeichnungen.

Wie die germanischen Mythen im mitteleuropäischen Raum kann man die nordische Mythologie nicht mit einer Religion im engeren Sinne gleichsetzten. Sie war lange Zeit nicht festgeschrieben und es gab niemanden, der über die Einhaltung der „Regeln“ wachte, wie wir das z.B. aus dem Christentum kennen.

Die schriftliche Fixierung einer Glaubensrichtung vereinfacht die Verbreitung, obwohl die germanischen Stämme nie missionarisch unterwegs waren. Die ältesten schriftlichen Überlieferungen stammen aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. von Tacitus, der viel über die Germanen und ihre Kultur beschrieb (oftmals nicht sehr wohlwollend, aber besser als nix). Quellen, die von den Germanen selbst verfasst wurden, entstanden erst viel später. Es gab keine Alltagsschrift bis zur Christianisierung der Germanen, weder auf dem Kontinent noch in Skandinavien oder Island.

Die Germanen in Skandinavien hielten am längsten an ihren Göttern fest, daher stammt die bekannteste Sammlung auch von dort, genauer gesagt aus Island des 13. Jahrhundert, in altisländischer Schrift: Die Edda.

Es gibt zwei Teile, die Snorra-Edda, um 1220 von Snorri Sturluson verfasst, und die Lieder-Edda, etwa 1270 von (wahrscheinlich) mehreren Autoren aufgeschrieben. Da sich viele Teile der Snorra-Edda in der Lieder-Edda finden, kann es gut möglich sein, dass die Lieder-Edda früher entstanden ist, beweisen lässt es sich aber nicht.

Viel Wissen um die Kulte der Nordgermanen hat man aus archäologischen Funden gezogen, meist aus der Bronzezeit, etwa zwischen 2000-800 v.Chr.

Die mythische Welt der Nordgermanen ist reich an Wesen und Geschichten. Es gibt Riesen, Götter, heilige Tiere und Pflanzen, die magische Fähigkeiten haben. Dabei escheinen vor allem die Götter sehr menschenähnlich, mit allen Makeln und Eigenheiten, die man sich vorstellen kann.

Die Geschichten der Edda erzählen von der Erschaffung der Welt, dem Riesen Ymir und der Urkuh Audhumbla, den Riesen und Götter aus den Geschlechtern der Asen und Wanen (die sich immerzu bekämpfen, aber die Welten im Gleichgewicht halten), dem Weltenbaum Yggdrasil, den ersten Menschen Askr und Embla und vielem mehr.

Die Sicht auf die Welt machten die Nordgermanen stark von ihren Gottheiten abhängig. Sie befinden sich dabei mittendrin, in Midgard, der Ort für die Menschen, über den die Götter wachen. Die nordgermanische Gesellschaft ist, wie viele andere weltweit auch, in Schichten geteilt. Es gibt die Krieger und Bauern, die wahrscheinlich den größten Teil der Gesellschaft bildeten. Der Glaube an Gottheiten war ihnen allen gemein, aber die Geschichten der Edda erzählen fast nur von den Helden der Kriegerschicht. Nur ihnen wurde nach dem Tod ein Leben neben den Göttern versprochen, in Walhall. Auch das Ende der Welt, Ragnarök, wird in der Edda beschrieben. Dabei tobt ein Krieg zwischen den Göttern und den Riesen, bei dem die meisten umkommen.

Die Ähnlichkeiten oder Parallelen zum Christentum sind auf die Entstehungszeit der Edda zurückzuführen. Die meisten Schreiber waren entweder Christen oder mit dem Christentum vertraut, es wurden auch Vergleiche zu den römischen Göttern gezogen. Mit dem Einzug des Christentums in Skandinavien, ab dem 10. Jahrhundert, transformierte man die zahlreichen Götter und Wesen zugunsten der christlichen Lehre, um der Bevölkerung die Missionierung zu erleichtern.

Tempel oder heilige Orte hatten die Nordgermanen mit Sicherheit. Einer davon ist in Uppsala, es soll sogar einen Tempel gegeben haben. Davon sieht man jetzt nichts mehr, die christlichen Kirchen dominieren die Religionslandschaft, doch nicht selten sieht man germanische Wesen an christlichen Kirchenfassaden.

Die Nordgermanen hielten, trotz des angenommenen christlichen Glaubens, lange an ihren alten Göttern und Riten fest, vor allem in Island, dass aufgrund seiner Abgelegenheit mehr Freiheiten genoss.

In den letzten zwei Jahrhunderten erlebte die nordische Mythologie eine Art Renaissance. Die Legenden und Geschichten wurden systematisch untersucht und anderen Kulturen gegenübergestellt. Auch ideologisch nutzten einige die nordische Mythologie, um die Überlegenheit weniger Menschen zu „beweisen“. Heute ist es leider ein schmaler Grat zwischen Begeisterung und Verehrung der Mythen und der Ideologie der „nordischen Rasse“.

Quellen

Gaiman, Neil. Nordische Mythen und Sagen. Eichborn, 2017

Simek, Rudolf. Religion und Mythologie der Germanen. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt 2003

Grimal, Pierre (Hrsg.). Mythen der Völker. 3, Frankfurt am Main, Fischer. 1967

Ukrainisch – eine multikulturelle Sprache

Spätestens seit dem 24. Februar 2022 weiß jeder wo die Ukraine liegt. Doch viel mehr wissen die meisten nicht über dieses Land, seine Kultur oder seine Sprache.

Ukrainisch gehört zur slawischen Sprachfamilie, ein Zweig des Indoeuropäischen. Früher wurde das Ukrainische auch ‚Ruthenisch‘ oder ‚Kleinrussisch‘ genannt. Vor allem die Bezeichnung ‚Kleinrussisch‘ ist nicht mehr üblich und wird von vielen Ukrainern abgelehnt, denn sie zeugt von der russischen Vorherrschaft der letzten Jahrhunderte.

Die ukrainische Sprache wurde am 24. Februar 1991 zur alleinigen Amtssprache der Ukraine erklärt. Damit trat sie aus dem Schatten des Russischen, das bis dahin die Hauptsprache in Verwaltung und Schulwesen war. Schritt für Schritt übernahm man Ukrainisch in allen Bereichen der Verwaltung, Bildung etc.

Die Sprecherzahl des Ukrainischen setzt sich aus drei Gruppen zusammen: Die in der Ukraine lebenden Ukrainer, die Ukrainisch als Muttersprache sprechen; die in den Nachbarstaaten lebenden Ukrainer und die weltweit verstreuten ukrainisch sprechenden Menschen (mit und ohne ukrainische Staatsbürgerschaft). Insgesamt geht man von etwa 35 Millionen Muttersprachler*innen aus. Dazu kommen bis zu 10 Millionen Menschen, die Ukrainisch als Zweitsprache sprechen. In der Ukraine steigt die Zahl der Ukrainisch-Sprecher seit 30 Jahren an, was auf die stärkere Präsenz der Sprache im öffentlichen Leben zurückzuführen ist.

Durch die historischen Gegebenheiten kann man nur schwer von dem einen Ukrainisch sprechen. Die Sprache vereint viele Dialekte, die oft von den Einflüssen der Nachbarsprachen zeugen, vor allem dem Russischen im Osten und dem Polnischen im Westen des Landes. Doch nicht nur der historisch enge Kontakt ist dafür verantwortlich, sondern auch der sprachtypologische.

Das Ukrainische verwendet das kyrillische Alphabet mit 33 Buchstaben, mit ein paar kleinen Unterschieden zum russischen Alphabet: die im Russischen verwendeten Buchstaben /ё/, /ъ/, /ы/ und „э“ gibt es im Ukrainischen nicht, dafür gibt es aber /ґ/ (wie g), /є/, /і/ und /ї/.

Die Schreibung des Ukrainischen folgt vor allem dem morphonologischen Prinzip und weist eine hohe phonetische Orthografie auf.

Die Phoneme unterteilen sich in 32 Konsonanten und 6 Vokale, wobei die Tatsache, dass die Vokale den Akzent beinhalten, die Qualität der Vokale verändern (was aber im Schriftbild nicht sichtbar wird).

Die 32 konsonantischen Phoneme erscheinen zuerst recht viel, relativieren sich aber, wenn man das paarige Vorkommen der Dentallaute (insgesamt schon 18) betrachtet, z.B.  /d→d‘/, /s→s‘/, /n→n‘/ usw. (Ich verwende lateinische Buchstaben, um die Palatalisierung klarer zu machen.)

Anders als in vielen slawischen Sprachen werden im Ukrainischen manche Konsonanten gedehnt, d.h. lang ausgesprochen, wie wir das im Deutschen mit Doppelkonsonanten kennen. Auch die zahlreichen Stimmtonassimilationen des Slawischen trifft man nicht durchgehend, es fehlen beispielsweise die Auslautverhärtung und die Stimmhaftigkeitsverlust der (stimmhaften) Obstruenten.

In der ukrainischen Grammatik erkennt man Parallelen zu den sprachlichen Nachbarn: 3 Genera, 7 Kasus und der typische Synkretismus innerhalb der Paradigmen, Aspektpaare der Verben und die produktive Verwendung von Suffixen zur Bildung von Verben. Außerdem entstehen Neuschöpfungen meist durch Derivation, nicht nur bei den Verben. Die zugrunde liegende Wortstellung ist SVO, ist aber nicht so fest wie z.B. in den germanischen Sprachen.

Die Lexik basiert natürlich auf dem urslawischen Erbwortschatz, wird jedoch durch die wechselhafte Geschichte durch zahlreiche fremdsprachliche Einflüsse ergänzt. Vor allem das Polnische hinterließ Spuren, aber erst recht spät im 16./17. Jahrhundert. Durch die Einflüsse aus dem Westen traten auch Internationalismen aus dem Französischen, Lateinischen oder Deutschen (‚майстер‘ – ‚Meister‘). Entgegen den Erwartungen zeigte das Kirchenslawische nur wenig Einflussnahme auf die Sprache, trotz der Vormachtstellung in der Kiewer Rus-Phase. Auch Entlehnungen aus den Turksprachen sind zu finden, sie zeigen die geschichtliche Einflussnahme der Kosaken. Mit der Erstarkung des Russischen stieg auch der Einfluss auf das Ukrainische, so dass man häufig sprachliche Doppelungen findet.

Diese Ähnlichkeiten zur russischen Sprache lässt auf den ersten Blick den Gedanken aufkommen, Ukrainisch sei doch Russisch, aber Ukrainisch weist eindeutige Unterschiede, in allen Bereichen, zum Russischen auf und etablierte sich nach 1991 zu einer festen Größe im europäischen Raum. Die Aktivität zahlreicher ukrainischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die Beachtung im (west-) europäischen Ausland und der Stolz des ukrainischen Volkes auf seine Sprache weisen eine eindeutige Richtung!

Quellen

Amir-Babenko, Svetlana: Lehrbuch der ukrainischen Sprache. Buske, Hamburg 2007

Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10). Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Der Wenker-Atlas; ein Sprachatlas der deutschen Dialekte

Jede Sprache ist einzigartig und variantenreich. Das weiß jeder, der schon mal in einem anderen Teil seines eigenen Landes Urlaub gemacht hat und sich erstmal in die Sprache dort hineinhören musste, weil ihm der Dialekt nicht so geläufig war. Oder eine Person, die beispielsweise Deutsch als Fremdsprache lernt und dann nach Hessen oder Bayern reist; da kann es schnell zu Verständigungsschwierigkeiten kommen.

Warum spricht man in Deutschland nicht ein einheitliches Deutsch, könnte man sich fragen? Tja, Sprache ist halt vielfältig! Diese Vielfalt ist ein Schatz, den es zu bewahren gilt. Das haben sich die Menschen schon früh gedacht und waren mit Recht stolz auf ihre Dialekte, die Teil der kulturellen und persönlichen Identität ist.

Die Sprachwissenschaftler sind bemüht diese Vielfalt zu dokumentieren. Am Ende des 19. Jahrhundert wurde im Deutschen Kaiserreich eine Erfassung aller Dialekte des Deutschen in Auftrag gegeben. Dabei versuchte man auch die außerhalb des Reiches existierenden deutschen Gemeinden mit einzubeziehen (Kolonien etc.).

Der Mann, der mit dieser Mammutaufgabe betraut wurde, war der deutsche Sprachwissenschaftler Georg Wenker (1852 – 1911). Er bekam 1876 den Auftrag einen Sprachatlas der Dialekte im deutschsprachigen Raum zu erstellen. Dafür entwickelte er einen Fragebogen, der alle lautlichen Besonderheiten der deutschen Sprache umfassen sollte. Die erste Version beinhaltet 42 Sätze (z.B. Das Wort kam ihm von Herzen.), die sogenannten rheinischen Sätze. Dieser Fragebogen wurde an alle Lehrer im Raum Düsseldorf geschickt, die dann die Sätze im jeweiligen Dialekt aufschreiben sollten. Die Befragung wurde im Laufe der Zeit über das ganze Reich ausgedehnt, der Fragebogen speziell angepasst, da z.B. in Norddeutschland oder Bayern auch einzelne Stichwörter erfasst wurden.

Die Befragung war 1887 im deutschen Raum abgeschlossen. Die Auswertung dieser riesigen Datenmenge nahm einige Jahre in Anspruch. Wenker und seine Nachfolger kartografierten die Dialekte und zeichneten, per Hand, 1668 Karten mit Isoglossen (Grenze zweier Sprachmerkmale z.B. Apfel- Appel) und Dialektausprägungen einzelner Sprachphänomene.

Die deutschsprachigen Gebiete außerhalb des Deutschen Reiches wurden zwischen 1888 und 1939 befragt, wenn auch in kleineren Umfang (mit dabei waren auch jiddische Bögen).

Der Atlas wurde ständig erweitert, die Karten immer umfangreicher, bis in die 1950er Jahre hinein. Man kann sich kaum vorstellen wie mühsam diese Arbeit ohne die Hilfe der heute vorhandenen Technik gewesen sein muss!

In der 1980er Jahren begann man Wenkers Arbeit wieder neu zu betrachten und zu überarbeiten. Seit 2001 sind alle Karten digital einsehbar, als Projekt „Digitaler Wenker-Atlas (DiWA). Das hat den großen Vorteil, dass viele Forschende darauf zugreifen können, ohne die Originale (von denen es nur noch ein paar gibt) zu benötigen. Außerdem kann durch den digitalen Zugriff die Arbeit beschleunigt werden und auf andere Forschungsbereiche wie die Kulturwissenschaft oder Geschichtswissenschaft ausgedehnt werden. Zusätzlich werden die digitalen Karten mit Audioaufnahmen erweitert. Das Archiv befindet sich an der Universität Marburg, wo Georg Wenker arbeitete und bis zu seinem Tod lebte.

An der Methodik der ersten Befragungen ist aus heutiger Sicht einiges zu bemängeln, unter anderem die Datenerhebung, die von Laien durchgeführt wurde und nicht nach genormten linguistischen Gesichtspunkten von Forschenden. Das Projekt war für damalige Zeit einfach riesig und langwierig, sodass man Abstriche machen musste.

Doch trotz allem ist der gesammelte Datenschatz im Wenker-Atlas so reichhaltig und durch die Karten sehr gut dokumentiert, dass noch viele Forschende damit arbeiten können und werden.

Quellen

Lameli, Alfred. Erläuterungen und Erschließungsmittel zu Georg Wenkers Schriften. Hildesheim, New York, Zürich 2014.

Niebaum, Hermann & Macha, Jürgen. Einführung in die Dialektologie des Deutschen. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014.

hier geht’s zur Uni Marburg: https://regionalsprache.de/

Jurij Brězan

„Es wäre ein anderes Meer, würde es nicht auch das Wasser des Baches Satkula aufnehmen.“

Dieses bekannte Zitat aus Jurij Brězans „Krabat oder die Verwandlung der Welt“ schmückt den Grabstein des bekanntesten sorbischen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts. 2006 verlor die sorbische Literatur einen ihrer Größten: Jurij Brězan. Er formte die sorbische Literaturlandschaft des 20. Jahrhunderts stark und setzte sich auch politisch für sie ein.

Jurij Brězan wurde 1916 in Räckelwitz (sorbisch Worklecy), einem Ort in der Oberlausitz geboren. Sein Geburtsname Georg Bresan benutzte er nicht, sondern machte als Erwachsener von seinem Recht Gebrauch nur noch seinen sorbischen Namen zu tragen.

Er besuchte das Gymnasium in Bautzen, begann ein Volkswirtschaftsstudium, das er aber nicht beenden konnte. Ab 1933 war er für die Domowina (der Dachverband der sorbischen Vereine etc.) tätig, schloss sich auch dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten an und veröffentlichte unter dem Pseudonym Dušan Šwik. Eine Zeitlang lebte er in Prag, wurde bei seiner Rückkehr 1938 aber verhaftetet und saß bis 1939 in Haft. Wie für viele andere Sorben auch, verhängten die Nazis ein Aufenthaltsverbot für seine Heimat, so dass Brězan nicht dort leben konnte (auch Mina Witkojc erlebte diese Heimatvertreibung). Im zweiten Weltkrieg wurde er in die Wehrmacht eingezogen und kam 1944 in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Nach dem Krieg arbeitete er wieder bei der Domowina und kümmerte sich intensiv um ihre Jugendarbeit. Als Schriftsteller verdiente er ab 1949 sein Geld und schuf bis ins hohe Alter zahlreiche Romane, Erzählungen und Kinderbücher.

Jurij Brězan war seit 1946 Mitglied der SED, einiger Schriftstellerverbände und der Deutschen Akademie der Künste (ab 1965) in Berlin. In seiner langen Schriftstellerlaufbahn kann Brězan viele Auszeichnungen und Preise sammeln z.B. den Ćišinski-Preis (1962) oder den Karl-Marx-Orden (1974).

Am 12. März 2006 ist Brězan in Kamenz (Kamjenc) gestorben und in Crostwitz (Chrósćicy) beerdigt.

Die Werke Jurij Brězans zeugen von seinem erlebnisreichen Leben und von seiner Verbundenheit mit seiner sorbischen Heimat, der er in Sagen- und Legendenerzählungen ein Denkmal setzt. Vor allem die Geschichte von Krabat hat er in mehreren Werken verarbeitet oder er hat sie vom Sorbischen ins Deutsche übersetzt. Brězan schrieb in Deutsch und Obersorbisch, doch viele Werke sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und veröffentlicht worden.

Mit dieser Mischung von alten und neuen Geschichten entstand ein neues Verständnis der Sorben und über die Sorben, die als Minderheit schon immer einen schweren Stand hatten. Die politische Lage in der DDR ermöglichte ihnen zwar die freie Ausübung ihrer Kultur, wurde aber ab den 60er Jahren argwöhnisch von der DDR-Regierung beäugt. Das blieb auch den Künstlern wie Brězan nicht verborgen und er setzte sich verstärkt für das Sorbentum ein.

In der Literaturlandschaft Deutschlands nimmt die ober- und niedersorbische Literatur kaum einen Stellenwert ein. Die zahlenmäßige Überlegenheit des Deutschen macht es schwer, sorbische Künstler ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Doch Künstler wie Jurij Brězan, die u.a. auch auf Deutsch schrieben, finden unter Kritikern immer mehr Beachtung.

Ein weiterer Vorteil der sorbischen Literatur ist auch, dass sie, wenn auf sie auf Sorbisch geschrieben wird, schnell ins Deutsche übersetzt werden kann.

Bekannte Werke von Jurij Brězan sind z.B. „Der Gymnasiast“ (Roman, 1958), der autobiographische Züge trägt, „Die schwarze Mühle“ (Erzählung, 1968) und „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“ (Roman, 1976).

Quelle

Dietrich Scholze: Jurij Brězan – Leben und Werk. Domowina-Verlag, Bautzen 2016

Gotisch – die Sprache des Wulfilas

Von den wenigen ostgermanischen Sprachen (von denen wir wissen) ist Gotisch am längsten erhalten geblieben bzw. liegt in schriftlicher (Teil-) Form vor. Es gehört zur germanischen Sprachfamilie, die sich in ost-, west- und nordgermanisch aufteilt.

Die Geschichte des Gotischen zu rekonstruieren ist nicht ganz einfach. Das Volk der Goten stammt wahrscheinlich aus dem Weichselgebiet, eventuell auch aus Skandinavien, und kam im 3. Jahrhundert durch die spätantike Völkerwanderung ins südliche und östliche Europa. Dabei teilten sich die Stämme in west- und ostgotisch. Die gemeinsame gotische Sprache blieb, aber die Goten assimilierten schnell und so starb die Sprache in weiten Teilen bis zum 7. Jahrhundert aus.

Ein Teil der gotischen Stämme zog im Zuge der Völkerwanderung bis an die Krim. Dort konnte sich die Sprache bis ins 18. Jahrhundert halten. Vom Gotischen gibt es leider nur wenig schriftliche Quellen, daher lassen sich viele Aspekte der Sprache nur rekonstruieren.

Die qualitativ besten Quelle ist die Wulfilabibel. Sie wurde vom Bischof Wufila (311–383) aus den Griechischen ins Gotische übersetzt. Dabei erschuf Wufila nicht nur eins der wichtigsten Zeugnisse der gotischen Sprache, sondern auch die gotische Schrift. Sie orientiert sich stark am griechischen Alphabet. Bis dahin verwendeten die Goten eine Runenschrift. Dabei zeigt sich das Erbe der Runen, weil die gotischen Buchstaben, wie die Runen, Namen tragen, und einen Laut repräsentieren.

Durch die mangelnde Datenlage und die Tatsache, dass die gotischen Text Übersetzungen aus anderen Sprachen sind, kann man davon ausgehen, dass die Einflüsse anderer Sprachen auf das Gotische groß sind.

Neben der Wulfilabibel gibt es noch den Codex Argenteus, ein Textfragment, dass die vier Evangelien umfasst, und die Codices Ambrosianus und Taurinensis, die als Teilabschriften der Wulfilabibel zu sehen sind. Die Texte sind religiöse Texte, daher beinhalten sie zahlreiche Entlehnungen aus dem Lateinischen und Griechischen, wie das oft in Sprachen christianisierter Völker zu finden ist.

Bei einer ausgestorbenen Sprache ist es schwierig die korrekte Aussprache zu belegen. Die von Wulfila geschaffene Schrift orientiert sich am Griechischen, also liegt es nahe daraus Bezüge zwischen der griechischen und gotischen Artikulation zu ziehen bzw. die Unterschiede in der Schreibung als Unterschiede der Aussprache zu klassifizieren.

Im Gotischen gab es 5 kurze und 7 lange Vokale, deren Unterscheidung häufig vom Ursprung des Wortes abhing. Die im Germanischen zahlreich vorkommenden Diphtonge, sind auf einen einzigen, [iu] <iu> reduziert. Das Konsonantensystem ist komplex und unterliegt nicht wenigen phonologischen Regeln. Bei der Rekonstruktion der Laute geht man davon aus, dass sich das Gotische nicht allzu weit vom Urgermanischen wegentwickelt hat. Das gilt auch für die Betonung, die wahrscheinlich meist auf der ersten Silbe lag, so wie wir das aus dem Deutschen kennen.

Auch die Beschreibung der gotischen Grammatik beruht auf den Daten, die man aus der Wulfilabibel gewonnen hat. Dabei zeigt die Sprache deutlich seine Verwandtschaft zu anderen germanischen Sprachen. Es hat vier Fälle, die Reste des Instrumentals und ein Schwinden Vokativs werden in der Grammatikbeschreibung nur am Rande erwähnt.

Die Numeruskategorien Singular und Plural sowie die Genuskategorien männlich, weiblich und sächlich werden wie im Deutschen verwendet. Zwei archaische Dualformen sind zwar erhalten geblieben, zeigt sich aber nur bei Verben. Die Verben werden in starke und schwache Verben eingeteilt, eine typische germanische Eigenschaft.

Die Satzstellung ist, anders als in vielen germanischen Sprachen wie Englisch oder Dänischen, relativ frei. Die gotische Sprache weist einen hohen Teil an fremder Lexik auf, was nicht verwundert. Der überwiegende Teil stammt, durch die Christianisierung, aus dem Lateinischen und Griechischen. Diese Entlehnungen wurden in die Grammatik des Gotischen eingegliedert, nach denselben Mustern wie der Erbwortschatz.

Die Sprache der Goten ist ein Fenster in die Vergangenheit. Durch sie lassen sich zahlreiche Rückschlüsse auf die Ursprünge des Germanischen ziehen. Herausragend sind dabei die frühen schriftlichen Zeugnisse, die es für andere germanische Sprachen nicht aus solch frühen Zeiten gibt. Auch die Kultur der Goten kann durch Schriftstücke besser untersucht werden, zusätzlich zu archäologischen Funden.

Der Untergang der gotischen Stämme und daraus folgend auch der gotischen Sprache, ist weniger auf Krieg und Eroberungen zurückzuführen als auf Assimilation der gotischen Stämme an mächtigere Volkgruppen. Die gotische Sprache verlor an Wichtigkeit und wurde im Laufe der Zeit immer weniger genutzt, bis sie schließlich (je nach Gebiet unterschiedlich schnell) verschwand.

Quellen

Haarmann, Harald. Gotisch. In: Miloš Okuka (Hg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.

Streitberg, Wilhelm: Das Gotische Elementarbuch 5. Aufl. Winter, Heidelberg 1920