Oberschlesien

Die mit viel Geschichte behaftete Region Oberschlesien gehört heute zum größten Teil zu Polen, ein kleiner Teil zu Tschechien. Das Gebiet umfasst mit den Zentren Opole, Katowice und Ostrava (Tschechien) große Industrieregionen und war schon immer ein Zankapfel der Mächtigen.

Die ersten Siedler, von denen man weiß, waren westslawischen Mährer, die sich im früher Mittelalter ansiedelten. Bis ins 12. Jahrhundert wechselte die Machtansprüche zwischen Böhmen und Polen, bis zum Vertrag von Glatz 1137, der Oberschlesien dem polnischen König zusprach.1348 gliederte man Schlesien, im Vertrag von Namslau, dem Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ein.

Im Ersten Schlesischen Erbfolgekrieg (1740–1748) besetzte Preußen die Region, die bis dahin von den Habsburgern regiert wurde. Nach dem Friedenschluss von Aachen fiel der Großteil Oberschlesiens endgültig an Preußen und galt fortan als fester Teils Preußens, der nach 1918 zwischen Deutschland und Polen geteilt wurde. Der wesentlich kleinere Teil blieb nach 1748 österreichisch und wurde nach Beendigung der Ersten Weltkrieges in die Tschechoslowakei eingegliedert. Nach 1945 verlor Deutschland seinen oberschlesischen Teil durch die Westverschiebung Polens an die Volksrepublik Polen, wodurch die deutschstämmige Bevölkerung fast komplett ausgewiesen wurde und nach Deutschland aussiedeln musste.

Die oberschlesische Bevölkerung war durch die historischen Ereignisse und die Herrscherwechsel von Beginn an ein polyethnisches Gemisch: Slawen, Germanen und andere Ethnien lebten dort. Je nach Zugehörigkeit der Region sprach man Deutsch, Tschechisch oder Polnisch, in manchen Städten dominierte die eine, in anderen die andere Sprache. Viele Herrscher warben auch Siedler aus anderen Ländern an, um die großen Waldgebiete zu roden und zu besiedeln. Dafür gab es Land und Steuervergünstigungen.

Die Christianisierung Oberschlesiens, etwa im 10. Jahrhundert, fand im Zusammenhang mit der Missionierung aller slawischen Stämme in Böhmen und Polen statt. Während der Reformation blieben die Oberschlesier dem katholischen Glauben treu, im Gegensatz zu den meisten Niederschlesiern. Auch Juden lebten im oberschlesischen Raum, meist in den Städten, da sie kein Land erwerben durften. Sie waren immer wieder Anfeindungen ausgesetzt, gehörten bis zum Holocaust aber zum gewohnten Stadtbild.

Das Nebeneinander der Ethnien wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch Vertreibung und Neuansiedlung von Polen aus den polnischen Ostgebieten, den ‚Kresy‘, zu einer vom Staat gewollten polnischen Homogenität vereinheitlicht. Die Kulturvielfalt, die sich Oberschlesien über die Jahrhunderte erarbeitet hat, verging.

Schlesien war nicht nur ein Zentrum des Handels und der Industrie, sondern birgt bis heute Kulturschätze in Hülle und Fülle. Vor allem die christlich motivierten Bräuche und Traditionen verbinden die Menschen in Oberschlesien, egal ob sie Polen oder Angehörige der deutschen Minderheit sind. Beispielhaft für die Region wäre das Osterreiten oder das Erntedankfest. Es gibt dabei auch oft Ähnlichkeiten mit den Bräuchen der Sorben wie das ‚Zampern‘, das in Schlesien ‚Comber‘ heißt.

Unabhängig von der Nationalität weist Oberschlesien eine beachtliche Liste von Künstlern auf, vor allem Schriftsteller, die sich oft zuerst als Oberschlesier sehen und danach als Deutsche oder Polen. Im deutschen Raum ist den meisten der Schriftsteller Joseph von Eichendorff bekannt, der als einer der wichtigsten deutschen Romantiker gilt. Besonders interessant sind, meiner Meinung nach, die Autoren jüngerer Geschichte wie Horst Bienek oder Horst Eckert (alias Janosch), die beide im „deutschen“ Oberschlesien geboren sind und nach dem Krieg als Deutsche nicht bleiben konnten.

Den Sportfan sind im schlesischen Kontext die Fußballspieler Miroslav Klose (geboren in Opole) und Lukas Podolski (geboren in Gliwice) bekannt.

In den letzten Jahrzehnten, nach Ende des Kalten Krieges und der beginnenden Aufarbeitung der Deutsch-polnischen-(tschechischen) Geschichte wächst das Interesse an der Kultur Schlesiens. Die Minderheiten in Polen kämpfen vermehrt für ihre Rechte, ihre Sprache und Anerkennung im polnischen Staat. In Deutschland war es lange Zeit ein Tabu über die schlesischen Gebiet als ‘deutsche Gebiete’ o.ä. zu sprechen. Viele Menschen, die von dort stammen, sehen sich in erster Linie als Oberschlesier und danach erst als Deutsche oder Polen. Sie möchten ihre Herkunft nicht verschweigen und ihre Kultur pflegen.

In Deutschland haben sich schon kurz nach dem Krieg viele sogenannte Heimatverbände gebildet, die sich für den Schutz der schlesischen Kultur und Sprache stark machten. Im Verlauf der Jahre sind die Bemühungen der Schlesier auf polnischer und deutscher Seite von der Tatsache betroffen, dass der Anpassungsprozess, der Schlesier in Polen und der Schlesier in Deutschland an die jeweilige Kultur des Landes, immer weiter voranschreitet und das öffentliche Interesse der Bevölkerung schwindet. Der Schutz der schlesischen Kultur bedarf also dem Engagement der Schlesier und der Unterstützung der Landesregierungen.

Quellen

Herzig, Arno. Geschichte Schlesiens – vom Mittelalter bis zur Gegenwart. C.H.Beck, München 2015

Vetter, Reinhold. Schlesien – Deutsche und polnische Kulturtraditionen in einer europäischen Grenzregion. DuMont Verlag, Köln 1999

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