
Seit Menschen Sprache nutzen, entwickelt sich die Sprache stetig weiter. Doch seit wann machen sich Menschen Gedanken über Sprache und die Struktur von Sprachen? Das ist eine schwierige Frage, die sich wahrscheinlich nie ganz klären lässt. Doch wir können davon ausgehen, dass sich in Hochkulturen überall auf der Welt Menschen mit Sprachen beschäftig haben.
Die ältesten Schriftquellen, die wir kennen, stammen aus Indien. Dort haben sich Gelehrte lange vor unserer Zeitrechnung mit Grammatik und Etymologie beschäftigt und ihr Wissen niedergeschrieben. Leider ist dieses Wissen mit der Zeit in Vergessenheit geraten.
Aus europäischer Sicht beginnt die linguistische Wissenschaft erst im antiken Griechenland, wobei es ein Teil der Literaturwissenschaft darstellt, z.B. Morphemeinteilung innerhalb der Metrik von Literaturwerken. Von Griechenland ausgehend verbreitet sich die Sprachwissenschaft ins Römische Reich, wobei auch hier noch nicht von der Sprachwissenschaft nach heutigem Verständnis gesprochen werden kann. Aber erste Grammatiken, die noch heute Bedeutung haben, entstanden im 4. und 5. Jahrhundert.
Im arabischen Raum entwickelte sich bis zum 8. Jahrhundert die Sprachwissenschaft zu einem angesehenen Fach, erste Arbeiten zu Phonologie und Grammatik entstanden. Diese Werke dienten nicht primär der Literaturwissenschaft als Ergänzung, sondern wurden als eigenständig betrachtet.
Im Mittelalter war die philosophische Betrachtung von Sprache, nach griechischen Vorbild, noch weit verbreitet. Eine Ausnahme stellten altisländische Grammatiken dar, die etwa 1150 verfasst wurden. Teilweise sind Ansätze moderner Theorien schon damals zu erkennen, unter anderem aus dem Strukturalismus.
Ab 17. Jahrhundert traten Sprachvergleiche, z.B. bei Sir William Jones, und die Suche nach dem Ursprung von Sprache in den Vordergrund. Die Reiselust vieler Forscher erweiterte den Blick auf die Sprachenvielfalt, auch wenn immer eine eurozentrische Interpretationsweise zur Bewertung der Fakten genutzt wurde. Ein typisches Beispiel ist die Forschung von Wilhelm von Humboldt (1767-1835), der zur damaligen Zeit als einer der Großen in der Spracherforschung galt. Die Beschäftigung mit alten Sprachen, außer Latein und Griechisch, wurde von vielen als produktives Feld angesehen und intensiv untersucht. In dieser Zeit wurde unter anderem die Stammbaumtheorie von Schleicher entwickelt. Zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden um die Leipziger Indogermanisten August Leskien, Karl Brugmann u.a. die Junggrammatiker, die Sprachen nach naturwissenschaftlichen Ansätzen untersuchten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägte der Schweizer Linguist Ferdinand de Saussure die Sprachwissenschaft und etablierte die Theorie des Strukturalismus. In dieser Zeit wurde die synchrone Betrachtung von Sprache immer wichtiger. In ganz Europa, v.a. in Prag und Genf, entwickelten Wissenschaftler Konzepte und Theorien, um das Phänomen ‚Sprache‘ zu beschreiben und zu erklären. Viele Namen z.B. Jakobson oder Trubetzkoy sind bis heute fester Bestandteil der Linguistik. Viele Forschungsarbeiten weiteten sich auf andere Bereiche wie der Anthropologie oder der Ethnografie aus, weil eine rein linguistische Betrachtungsweise nicht mehr ausreichte. Bekannte Vertreter dieser Interdisziplinarität sind Boas und Sapir aus den USA.
Der bekannteste Linguist des 20. Jahrhunderts ist unbestreitbar Noam Chomsky, der mit seiner Theorie der Generativen Grammatik berühmt wurde. Sie spaltete die Sprachwissenschaft bis heute. Die technischen Möglichkeiten bieten heute eine riesige Bandbreite an Untersuchungen aller Art. Die Sprachwissenschaft vereint zahlreiche Teildisziplinen z.B. die Sozio- oder Korpuslinguistik. Der globale Informationsfluss ermöglicht die Vernetzung von Forschenden weltweit und verändert unsere Sicht auf Sprache jeden Tag von Neuem.
Quellen
Brekle, Herbert Ernst. Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985
Bensen, Theodor. Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutschland: Seit dem Anfange des 19. Jahrhunderts mit einem Rückblick auf die früheren Zeiten. Reprint 2019. De Gruyter