Kein Land auf der Welt hat eine homogene Bevölkerung, denn Ländergrenzen sind fast immer politisch motiviert. Die Volksgruppen, die entlang dieser Grenzen leben, werden nicht in solche Fragen mit einbezogen. Daher leben in Nationalstaaten neben der Mehrheitsbevölkerung immer auch ethnische, nationale und sprachliche Minderheiten.
In Polen leben viele ethnische Minderheiten, von denen einige seit einigen Jahren auch als nationale Minderheiten gesetzlich anerkannt und dadurch, theoretisch, besser geschützt sind als in vielen anderen Ländern.
In der polnischen Verfassung von 1997 ist der Schutz von Minderheiten festgeschrieben, aber erst seit dem Beitritt in die Europäische Union am 1.Mai 2004 hat sich Polen zur europäischen Idee der Vielfalt bekannt und ein ‚Gesetz zum Schutz ethnischer und nationaler Minderheiten sowie der Regionalsprache‘ verabschiedet, in dem genau festgelegt ist wer als ethnische bzw. nationale Minderheit gilt und welche Rechte sich aus diesem Schutzstatus ergeben.
Nationale und ethnische Minderheiten müssen laut Gesetz bestimmte Kriterien erfüllen, z.B. unterscheiden sie sich wesentlich von der Mehrheitsgesellschaft durch ihre Sprache und Traditionen, sind sich ihrer Gemeinschaft bewusst, sind polnische Staatsbürger, sind seit mindestens einhundert Jahren in Polen ansässig und identifizieren sich mit Polen.
Als nationale Minderheit sind die belarusische, tschechische, litauische, deutsche, armenische, russische, slowakische, ukrainische und jüdische Minderheiten anerkannt, was sich teilweise historisch und geografisch erklären lässt. Zahlenmäßig bilden die deutsche, ukrainische und belarusische Minderheit die größten nationalen Gruppen in Polen, laut der Befragung im Bericht ‚National-ethnische, sprachliche und konfessionelle Struktur der polnischen Bevölkerung‘ (poln. Struktura narodowo-etniczna, językowa i wyznaniowa ludności Polski – NSP 2011).
Die Definition als ethnische Minderheit unterscheidet sich nur wenig von der Definition als nationale Minderheit. Sie sind zwar polnische Bürger, identifizieren sich aber als eigenständige Gruppe. Die Definition ist, meiner Meinung nach etwas schwammig, denn das Bekenntnis zu einer Minderheit ist freiwillig und darf nicht nachgeprüft werden. Als ethnische Minderheit gelten laut Gesetz die Minderheiten der Karäer, Tataren, Lemken und Roma.
Die Kaschuben und Schlesier, die zwei große Gruppen bilden, gehören offiziell keiner Minderheit an. Jedoch stehen ihre beiden Sprachen, Kaschubisch und Schlesisch, unter besonderem Schutz. Kaschubisch wurde schon 2005 beim ersten Gesetzentwurf miteinbezogen und als Regionalsprache anerkannt. Das Schlesische musste bis dieses Jahr warten und wurde im Mai 2024 vom Sejm als Regionalsprache anerkannt. Die beiden Regionalsprachen haben einen besonderen Status, z.B. haben ihre Sprecher*innen Anspruch auf die Verwendung auf Ämtern und als Unterrichtssprache. Während das für Kaschubisch schon etabliert ist, läuft die Umsetzung beim Schlesischen jetzt erst an.
Alle Zahlen in dem Bericht von 2011 sind freiwillig und lassen Interpretationsspielraum. Der Gedanke, dass Minderheiten besonderen Schutz genießen, ist in Europa ein fester Grundsatz und fördert nicht nur die Akzeptanz der Vielfalt, sondern auch die Sichtbarkeit dieser Gruppen. Doch haben anerkannte Minderheiten in Polen auch besondere Rechte und Vorteile?
Theoretisch ja, aber die praktische Umsetzung ist nicht immer gegeben. Angehörige von Minderheiten dürfen bspw. ihren Namen in Personaldokumenten in der Schreibweise ihrer Sprache eintragen lassen. Außerdem soll es den Minderheiten erleichtert werden ihre Kultur und Traditionen zu leben, was im Gesetz aber nicht näher definiert wird. Theoretisch können Angehörige von Minderheiten gegen Diskriminierung z.B. im Schulalltag oder bei Bewerbungen klagen, aber momentan sind solche Vorgänge eine Seltenheit, was sich jetzt mit der liberaleren und proeuropäischeren Regierung ändern könnte.
Quellen
Struktura narodowo-etniczna, językowa i wyznaniowa ludności Polski – NSP 2011
Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten sowie die Regionalsprache vom 6. Januar 2005