Das Niedersorbische ist eine akut gefährdete westslawische Sprache, die im Süden Brandenburgs gesprochen wird. Die Zahl der aktiven Sprecher*innen geht seit Jahrzehnten zurück, bedingt durch frühere politische Entscheidungen, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, wie öffentliche Sprachverbote, fehlender Schulunterricht und mangelndes Prestige.
Deutschland und die Europäische Union haben sich den Schutz der sogenannten ‚kleinen‘ Sprachen auf ihre Agenda geschrieben und stellen zu deren Schutz große finanzielle Ressourcen bereit. Außerdem gelten für Minderheiten – und Regionalsprachen besondere Regeln zum Sprachgebrauch im öffentlichen Leben. Seit Mitte der 90er Jahre wurden mehrere Schutzabkommen innerhalb der EU verabschiedet, u.a. das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten und die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Beide Abkommen gelten länderübergreifend, werden aber von jedem einzelnen Land unterschiedlich umgesetzt. Außerdem haben die Staaten bei Nichtumsetzung keine rechtlichen Konsequenzen zu befürchten.
Deutschland hat sich selbst dazu verpflichtet die Abkommen bestmöglich umzusetzen und erstattet regelmäßig Bericht. Je nach Minderheiten- oder Regionalsprache sind die Maßnahmen bundesweit oder auf einzelne Bundesländer beschränkt. Beim Niedersorbischen beschränkt sich der Maßnahmenkatalog auf das Bundesland Brandenburg, dem Siedlungsgebiet der Niedersorben.
In der Brandenburgischen Verfassung ist der Schutz des Niedersorbischen mit einem eigenen Abschnitt geregelt. Darin sind alle Rechte des sorbischen Volkes festgehalten. Dazu zählen z.B. die Führung eines sorbischen Namens, Unterricht in niedersorbischer Sprache und freie Ausübung der Sprache auf Ämtern oder vor Gericht. Außerdem gibt es den Rat für sorbische Angelegenheiten, kurz Sorbenrat, der die Interessen der Sorben im brandenburgischen Parlament vertritt.
Seit der Einführung der Schutzmaßnahmen hat sich die Zahl der Sprecher*innen jedoch nicht merklich erhöht, ist aber auch nicht gesunken. Jetzt kann man argumentieren, dass in den letzten 25 Jahren noch keine Steigerung zu erwarten sei, denn die neuen Sprecher*innen müssen ja erst heranwachsen.
Genau diesem Bereich, der Ausbildung von Muttersprachler*innen, widmet sich das wichtigste Projekt im sorbischen Raum, das Witaj-Projekt. Es arbeitet nach DIWAN-Modell der bretonischen Minderheit, die durch alle Bildungsinstanzen die bretonische Sprache vermitteln. Die Sorben, Ober-wie Niedersorben, haben ein bilinguales Bildungssystem von der Kita bis zum Schulabschluss aufgebaut. Schon die Kleinen erlernen, wenn nicht im Elternhaus, in der Kita die sorbische Sprache nach dem Ansatz der vollständigen Immersion. Die Nachfrage ist, auch bei den nicht-sorbischsprachigen Eltern, seit dem Projektstart stark gestiegen, sodass Brandenburg jetzt vor dem allgegenwärtigen Fachkräfteproblem steht. Auch in den Schulen fehlt es an Personal, dass die sprachlichen Qualifikationen mitbringt. Der Rechtsanspruch auf einen Schulplatz mit Sorbischunterrricht wird mittlerweile von Eltern auch eingeklagt, Schulschließungen sind dadurch schon mehrfach verhindert worden.
Um genug Personal im Bildungsbereich zu generieren, gibt es zahlreichen Weiterbildungsangebote für Erzieher*innen, Lehrkräfte etc. Doch das alles braucht Zeit, was Chancen verstreichen lässt. Von den sorbischen Interessensverbänden wird auch die mangelnde universitäre Ausbildung für Berufe mit niedersorbischem Profil beanstandet. Studierende, die Niedersorbisch auf Lehramt studieren wollen, müssen die Niederlausitz verlassen und in Leipzig studieren, weil Brandenburg keine eigenen Sorbisch-Lehrer*innen ausbildet, vermutlich aus Kostengründen. Die Berufsaussichten für Sorbisch-Lehrer sind heute so gut wie noch nie, es werden alle Absolvent*innen aus Leipzig in Brandenburg eingestellt. Doch die Attraktivität des Berufes bzw. des Studiums würde noch mehr steigen, wenn die Studenten in ihrer Heimat bleiben könnten. Die sprachliche Qualifikation von Fachlehrern, z.B. in den Naturwissenschaften, wurde bis vor wenigen Jahren von der Uni Potsdam gewährleistet, d.h. dass die Lehrer ohne Niedersorbischkenntnisse eine Art Aufbaustudium absolvieren konnten, um ihre Fächer in Niedersorbisch unterrichten zu können. Auch dafür kommt jetzt nur noch die Uni in Leipzig in Frage.
Doch warum schafft es Brandenburg nicht eine eigenen ihrer Universitäten für die Ausbildung der Niedersorbischlehrkräfte umzurüsten?
Neben dem Bildungsbereich fließen auch viele Mittel in den Kultur- und Verwaltungsbereich. Unter anderem sollen alle digitalen Verwaltungsvorgang in deutscher und niedersorbischer Sprache möglich sein, das garantiert das 2018 in Kraft getretene Brandenburgische E-Government-Gesetz.
Man kann sich zu recht fragen, warum solche kostspieligen Maßnahmen ergriffen werden, wo doch alle Sorben auch deutsch sprechen und in ihrem Alltag nicht auf das Sorbische angewiesen sind? Aus wirtschaftlicher Sicht ist das absolut richtig. Doch Deutschland und auch Europa verstehen sich als vielfältige Gemeinschaft und wollen allen Minderheiten die Partizipation in jeder Hinsicht, also auch sprachlich, ermöglichen. Und man kann schließlich nicht einfach nach Größe oder Prestige einer Minderheit selektieren, das widerspreche dem Gleichberechtigungsgrundsatz. Ein anderer Grund für diese Haltung ist das historische Erbe der jahrhundertelangen Unterdrückung der Minderheiten, nicht nur in Deutschland.
Vielfalt ist ein Weg zu mehr Toleranz untereinander, doch dieser Weg ist noch lang und arbeitsintensiv!
Quellen
BMI (Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat). 2019. „Fünfter Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Absatz 2 des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten“.
Spieß, Gunter. 2004. „Niedersorbisch“. In Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens, herausgegeben von Miloš Okuka und Gerald Krenn. Bd. 10. Klagenfurt/Celovec: Wieser Verlag.
Verfassung des Landes Brandenburg vom 1992. https://bravors.brandenburg.de/de/gesetze-212792