Die erste polnische Literatur-Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska hat im Vergleich zu anderen Schriftsteller*innen nur wenig geschrieben, etwa 350 Gedichte. Doch diese Gedichte sind weltweit beliebt und in über 40 Sprachen übersetzt worden!
Wisława Szymborska gilt als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen Polens. Sie wurde am 02.07.1923 in Kórnik, nahe Poznań, geboren und studierte nach dem Zweiten Weltkrieges in Krakau Polonistik und Soziologie. In den 50er Jahren veröffentlichte sie erste Gedichte in der Dziennik Polski, einer polnischen Tageszeitung. Ab 1953 arbeitet Szymborska bei der Krakauer Literaturzeitschrift Życie Literackie, war verantwortlich für eine Lyrikkolumne und schrieb auch Rezensionen. Als im Dezember 1981 das Kriegsrecht als Reaktion auf die Demokratisierungsversuche verhängt wurde, verließ sie die Życie Literackie und schrieb fortan für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften in Polen. Unter dem Pseudonym Stańczykówna schrieb sie neben ihrer offiziellen Tätigkeit auch noch für die Kultura, eine Exilzeitung in Paris, und veröffentlicht in Samisdat-Verlagen Schriften, die nicht offiziell publiziert werden konnten.
Szymborska scheute das Rampenlicht, war sich gegenüber mehr als kritisch. Vielleicht erklärt das die wenigen Publikationen, denn sie schrieb immer sehr produktiv, verwarf aber das meiste wieder. Aus ihrem Privatleben offenbarte sie nur wenig. „Öffentlich von sich zu sprechen, lässt das Innere verarmen“, meinte sie einmal.
Ein Meilenstein in Szymborskas Leben war sicherlich die Anerkennung ihrer Leistungen mit dem Erhalt des Literaturnobelpreises 1996, der sie weit über Polen hinaus bekannt machte.
Infolge einer Krebserkrankung verstarb Wisława Szymborska am 1. Februar 2012 und wurde in Krakau beigesetzt. Ihre letzten unvollendeten Gedichte wurden schon kurz nach ihrem Tod im April 2012 in dem Band Wystarczy (dt. Es ist genug) herausgegeben.
Zu Beginn ihrer schriftstellerischen Tätigkeit schreibt Szymborska ganz im Sinne des Sozialistischen Realismus, der in Polen quasi von oben vorgegeben wurde. Ihr Lyrikband Wołanie do Yeti (dt. Rufe an Yeti) von 1957 war ein großer Erfolg in Polen. Dabei spielen Narrative wie das Leben im Sozialismus und eine idealisierte Welt im Vordergrund. Die Möglichkeit frei zu schreiben und zu veröffentlichen, gab es in Polen lange Zeit nicht. Kritiker warfen Szymborska oftmals vor zu angepasst und linientreu gewesen zu sein.
Mit den Jahren distanzierte sich Szymborska von ihrer früheren Art zu schreiben. Das bedeutet nicht, dass sie ihre Werke als nicht gelungen oder lesenswert ansah, sie waren einfach anders. In späteren Gedichten spürt man mehr Ironie, die sich sogar auf die eigenen Gedichte von früher beziehen kann. Die Verbesserung des politischen Klimas in Polen ließ das Schreiben freier und authentischer werden. Davon profitierte auch Szymborska. Der Ton in ihren Gedichten wird philosophischer und nachdenklicher, sie schreibt über Gefühle, Gedanken und ihre Sicht auf das Leben und den Tod.
Abgesehen von den Themen ist auch Szymborskas Schreibstil wechselnd, er passt sich dem jeweiligen Thema und der Situation des Gedichtes an. Statt vieler Symbole oder Metaphern verwendet sie eine, auf den ersten Blick, einfache Sprache. Doch diese Einfachheit ist verbunden mit Leichtigkeit und Authentizität. Erscheint das Thema noch so banal, so verändert der Blickwinkel die Perspektive des Lesers.
Die Polen lieben ihre Lyrik, auch die Gedichte Wisława Szymborskas stehen für das Wesen und den Stolz der polnischen Nation.
Quellen
Brigitta Helbig-Mischewski: Sozrealistische Lyrik von Wisława Szymborska. In: Alfrun Kliems, Ute Raßloff, Peter Zajac (Hrsg.): Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa. Band 2: Sozialistischer Realismus. Frank & Timme, Berlin 2006,
Marta Kijowska: „Der Weg vom Leid zur Träne ist interplanetarisch.“ Wisława Szymborska (* 1923), Nobelpreis für Literatur 1996. In: Charlotte Kerner (Hrsg.): Madame Curie und ihre Schwestern. Frauen, die den Nobelpreis bekamen. Beltz, Weinheim/Basel 1997