Die Welt der Literatur ist sehr männlich geprägt. Das ist auch in Osteuropa ein weit verbreitetes Phänomen. Nur einzelne Frauen schaffen es sich zu Lebzeiten in der Welt der Literatur durchzusetzen wie z.B. Wisława Szymborska. Eine der wenigen Frauen, die in die ukrainische Literaturgeschichte eingegangen ist, hieß Lesja Ukrajinka (ukrainisch Леся Українка).
Sie wurde am 25. Februar 1871 (nach gregorianischem Kalender) als Laryssa Petriwna Kossatsch in Swjahel, damals Russisches Kaiserreich, geboren. Ihr Vater Petro Antonowytsch Kossatsch entstammte dem Adel und war als Jurist tätig, ihre Mutter war die Schriftstellerin Olena Ptschilka. Ukrajinkas Eltern setzten auf eine gute Ausbildung ihrer vier Kinder und so kam sie schon im Kindesalter mit den Größen der damaligen ukrainischen Literaturszene in Berührung.
Ihre Schulbildung beinhaltete neben Literatur auch zahlreiche Fremdsprachen u.a. Deutsch, Latein, Französisch und Englisch, deren Beherrschung sie später bei zahlreichen Übersetzungen der europäischen Literatur unter Beweis stellte. Die Unterrichtssprache war immer Ukrainisch, deshalb gingen Ukrajinka und ihre Geschwister nicht auf staatliche Schulen, sondern wurden zu Hause unterrichtet. Ihrer großen Begeisterung für die Musik konnte sie wegen einer Tuberkuloseerkrankung nicht intensiv nachgehen und wandte sich deshalb verstärkt der Literatur zu. Zeitlebens wurde sie von literarischen Größen wie Taras Schewtschenko oder Iwan Franko beeinflusst.
Ukrajinka schrieb schon im Kindesalter Gedichte, einige erschienen sogar in Zeitungen. Ab 1884 veröffentlichte sie ihre Texte und Gedichte unter ihrem Pseudonym Lesja Ukrajinka, da ukrainische Veröffentlichungen in Russischen Kaiserreich verboten waren, ebenso wie die Verbreitung im Ausland gedruckter Werke in ukrainischer Sprache. Neben dem Schreiben von Gedichten, Liedern und Märchen übersetzte sie Werke u.a. von Heinrich Heine, Adam Mickiewicz oder Gerhart Hauptmann. Sie übersetzte bewusst Werke, die auch einfachen Leuten zugänglich waren. Dabei war auch die Verwendung der ukrainischen Sprache ein wichtiger Schritt zur Prestigesteigerung des Ukrainischen.
Sie war Mitglied in der Literaturgruppe Plejada, in der sie sich für die Verbreitung ukrainischer Literatur stark machte. Ihre frühen Gedichte zeigen oftmals traditionelle und naturalistische Motive z.B. ‚Dawnja kaska‘ („Ein altes Märchen“, Versepos 1893)
Auch persönliche Schicksale wie ihre Tuberkuloseerkrankung und die Hoffnung auf Besserung sind Themen ihrer Werke z.B. in ‚Contra Spem Spero!‘ (dt. ‚Gegen die Hoffnung hoffe ich!‘)
Ihre Gesundheit wegen reiste Ukrajinka viel in europäischen Kureinrichtungen, die sie nicht nur zum Schreiben sondern knüpfte Kontakte und lernte die fremden Kulturen kennen. Auf ihren Kurreisen lernte sie 1897 in Jalta Serhij Merschynski kennen, in den sie sich verliebte und ihre Gefühle in einigen Gedichten verarbeitete. Merschynski Tod 1901 ließ Ukrajinka in einer Phase des melancholischen Schreibens zurück. Die verschiedenen Menschen aus aller Herren Länder beeinflussten auch ihre Arbeit und sie schrieb mehr politische motivierte Texte und übersetzte Schriften von Marx und Engels, obwohl sie selber aus der gehobenen Gesellschaft stammte.
Ihre politischen Schriften erweckten die Aufmerksamkeit der Behörden. Ukrajinka wurde 1907 mehrfach verhaftet und unter Beobachtung gestellt. Im selben Jahr heiratete sie Klyment Kvitka, mit dem sie die Liebe zur Musik und fremden Kulturen teilte. Sie wohnten zuerst einige Zeit auf der Krim und dann in Georgien. Dort starb Lesja Ukrajinka am 1. August 1913 in Surami. Ihr Leichnam wurde nach Kiew gebracht und auf dem Bajkowe-Friedhof beerdigt.
Lesja Ukrajinka schrieb, ungeachtet ihrer gesundheitlichen Verfassung, ihr ganzes Leben hindurch. Viele Werke wurde zu Lebzeiten nicht veröffentlicht, einige hat die Schriftstellerin auch nicht mehr fertiggestellt. In der Ukraine wird Ukrajinkas Erbe und die Erinnerung an sie geehrt und sorgfältig bewahrt. Ihr zu Ehren gibt es viele Denkmäler, nach ihren benannten Straßen etc. Sie gilt heute als eine der einflussreichsten Schriftstellerinnen der Ukraine. Die schiere Menge der Werke und ihre Verbundenheit zum ukrainischen Volk lassen die Erinnerung an sie nicht verblassen.
Quellen
Jobst, Kerstin S. Geschichte der Ukraine. Stuttgart 2015
Tschižewskij, Dimitrji & Horbatsch, Anna-Halja. Die ukrainische Literatur. In: Kindlers neues Literatur-Lexikon. Bd. 20. München 1996