
Studierende der Slawistik kennen diese Situation meist sehr gut: Wir erzählen z.B. bei einem Kennenlernen, dass wir Slawistik studieren. Sofort kommen Fragen wie: Ist Russisch schwer zu lernen? Willst du nach Russland auswandern?
Mittlerweile machen mir solche Situationen nichts mehr aus und ich erkläre was genau Slawistik eigentlich bedeutet. Je öfter ich es erkläre, desto dringender erscheint mir ein Artikel zu Aufklärung. Also los geht’s!
Im deutschsprachigen Raum gibt es viele Bezeichnungen für das Studium der Slawistik. Ich selber habe im Bachelor ‚Slawische Sprachen und Literaturen‘ im Hauptfach studiert, aber man findet auch Studienfächer wie ‚Slawische Philologie‘, ‚Osteuropastudien‘ oder auch spezielle Richtungen wie Bohemistik oder Polonistik usw. Die Bandbreite zeigt schon wie vielfältig das Fach sein kann. Die Ausrichtung kann, je nach Fach, sprach-, literatur- oder kulturwissenschaftlich sein. Außerdem ist eine Kombination mit einem Zweitfach wie Politik-, Kulturwissenschaft oder Linguistik eine gute Basis für den späteren Beruf.
Das Studium ist immer interdisziplinär, umfasst also mehr als Sprach- oder Literaturkurse. Je nach Angebot der Universitäten wählt man meist ein oder zwei slawische Sprachen, die neben den Fachwissenschaften absolviert werden. Da viele Institute sehr klein sind, werden meist eine große Slawine (d.h. slawische Sprache) wie Russisch oder Polnisch angeboten. Die kleineren Sprachen wie Slowakisch oder Slowenisch sind selten vertreten.
Dies bedeutete in der Geschichte der Slawistik eine Dominanz zugunsten einer Sprache, was aus mehreren Gründen Russisch war: Russland ist einer der größten Handelspartner Deutschlands und in jedem Bundesland wird Russisch als Fremdsprache angeboten. Dementsprechend ist die Ausbildung der Lehrkräfte, besonders im Gebiet der ehemaligen DDR, immer noch eine zentrale Aufgabe der Slawistikinstitute.
Aber schon traditionell waren andere Bereiche wie die Polonistik, Bohemistik oder Südslawistik ein fester Bestandteil des Lehrangebotes. Je nach Standort der Universität ändert sich der Schwerpunkt innerhalb der Slawistik. In Österreich ist beispielsweise der Bereich der Südslawistik viel stärker ausgebaut als in Deutschland. Der Abschluss im slawistischen Bereich eröffnet eine breite Palette an Berufsaussichten, je nach Interesse und Schwerpunkt z.B. in der Verlagsbranche, im diplomatischen Dienst oder im Kulturbereich.
Was von vielen Studierenden schon seit langem in den Universitäten kritisiert wird, ist der starke Fokus auf die Russistik, also ein Schwerpunkt auf die russische Sprache, Kultur und Literatur. Das ist einerseits historisch begründet, aber auch durch die höheren Studierendenzahlen in Fächern wie Russisch/Lehramt oder Russische Philologie begründet. Nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gehen diese Zahlen kontinuierlich runter, so dass sich vielerorts die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Slawistikstudiengänge stellt. Doch das Interesse an den kleinen Slawinen wächst. In großen Instituten können die Studierenden ihren Schwerpunkt selbst bestimmen und wählen immer mehr nach persönlichen Interessen statt nach Größe der Sprache aus.
Diese Interessen sind ein Ergebnis der deutschen Geschichte. Vor allem nach der Wende lernten viele Menschen die Länder jenseits der Oder und Elbe erst richtig kennen. Auch mit der EU-Osterweiterung und dem dadurch verbesserten Austausch zwischen den Universitäten entstanden viele Möglichkeiten für Studierende und Forschende. Mittlerweile ist ein Auslandsjahr in Polen oder Kroatien nicht mehr die exotische Ausnahme, sondern ein fester Bestandteil eines Studiums. Die gängigen Vorurteile über Menschen aus dem Osten oder Südosten Europas können mit dem Studium und dem Austausch in produktive Zusammenarbeit verändert werden, von denen alle profitieren.
Das politische Klima kommt natürlich auch in der akademischen Welt an und beeinflusst die Lern- und Arbeitsatmosphäre. Die Kompetenz, zwischen Wissenschaft und politischen Streitigkeiten zu unterscheiden, ist eins der wichtigsten Dinge, die man zu Beginn des Slawistikstudiums lernt.
Ein Slawistikstudium kann, muss aber kein Studium mit Russistikschwerpunkt sein. Die Wahl liegt bei dir und deinen Interessen. Die Welt der Slawistik ist groß und vielfältig!
Quellen
https://www.slawistik.hu-berlin.de/dehttps://
www.hochschulkompass.de/sprach-und-kulturwissenschaften/slawistik.html