Warum sterben Sprachen aus?

Heute gehen wir davon aus, dass weltweit circa 7000 Sprachen existieren. Es ist jedoch eine traurige Tatsache, dass viele Sprachen vom Aussterben bedroht sind. Doch warum sterben Sprachen aus? Sprachsterben ist ein schleichender Prozess, manchmal stirbt eine Sprache aber auch innerhalb weniger Jahrzehnte aus. Aber warum?

Wie viele Sprachen es insgesamt mal gegeben hat, lässt sich kaum sagen. Auf jeden Fall viel mehr als heute, doch ohne Belege ist die Zahl rein hypothetisch. Wir finden heute noch Regionen wie in z.B. Papua-Neuguinea, in denen hunderte Sprachen nebeneinander existieren, ganz anders als bspw. in Europa.

Mit der Eroberung aller Kontinente durch den Menschen haben sich unzählige Sprachgemeinschaften gebildet, die sich über lange Zeit sprachlich unabhängig voneinander entwickelt haben. Natürlich gab es zwischen den meisten Gruppen Kontakt, was sich an Entlehnungen in den Sprachen nachweisen lässt. Doch viele Gemeinschaften z.B. auf Inseln waren lange Zeit isoliert und besitzen sprachliche Besonderheiten bzw. Einzigartigkeiten.

In der Geschichte zeigen sich mehrere große Wellen des Sprachensterbens, ausgehend von großen Mächten. Dazu gehört die Ausbreitung des Lateinischen durch die Römer in Europa, die Vergrößerung des Inka- und Aztekenreiches und die Kolonisationsbestrebungen der Europäer in der frühen Neuzeit. Hinzu kommen kleinere Wellen z.B. durch Kriege, Völkerwanderungen oder Erstarkung von Religionsgemeinschaften. Sprachen sterben zu jeder Zeit und überall, das ist kein reines Phänomen der europäischen Geschichte. Aber von vielen Sprachen haben wir aufgrund fehlender Aufzeichnungen einfach nicht genug Informationen, um sie überhaupt als Sprache zu klassifizieren.

Manche Sprachen, besonders isolierte wie z.B. im Amazonasgebiet oder indigene Sprachen in Grönland, haben nur eine begrenzte Sprecherzahl und verbreiteten sich auch nicht. Kommt dann eine ‚große‘ Sprache, z.B. Spanisch oder Englisch, in die jeweilige Region, passen sich die Sprecher*innen der kleineren Sprache schnell an und erlernen die neue Sprache. Das bietet meist Handelsvorteile und erleichtert die Kommunikation. Doch damit verlieren im Laufe der Generationen die Nachfahren die eigene Sprache, da sie als Kommunikationsmittel nicht genutzt wird.

In vielen Regionen wurden die angestammten indigenen Sprachen von den neuen Machthabern verboten. Außerdem verdrängten z.B. Kolonialmächte die Menschen aus ihren Siedlungsgebieten, zwangen sie in Reservate, versklavten sie und kümmerten sich überhaupt nicht um den Erhalt von Sprachgemeinschaften. Da die meisten indigenen Sprachen nicht verschriftlicht waren, starben mit ihren Sprecher*innen auch die Sprache innerhalb weniger Generationen aus.

Doch nicht nur Sprachen in Kolonien oder Handelsgebieten schwanden. Auch die sprachliche Vielfalt in Europa nimmt ab. Dieser Prozess begann zwar mit den Römern, verstärkte sich mit Ausbreitung des Christentums und nahm zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer mehr Fahrt auf. Die Bildung von Nationalstaaten machte Sprecher*innen von Minderheitensprachen oft zu Bürgern zweiter Klasse, wenn sie die Mehrheitssprache im Staat nicht beherrschten. Die Bildungssysteme waren nicht an der früher gängigen Mehrsprachigkeit der Menschen interessiert. So wurden kleinere Sprachen in die Funktion der Familiensprache gedrängt, die im öffentlichen Leben praktisch unsichtbar waren, mitunter sogar verboten.

Wissenschaftler*innen gehen heute davon aus, dass in den nächsten 100 Jahren die Mehrheit der weltweiten Sprachen aussterben werden. Damit gehen aber nicht nur Sprachen unter, sondern auch die Kultur und Traditionen der Sprecher*innen, wenn diese nicht zu mindestens dokumentiert wurde.

In den letzten Jahrzehnten veränderte sich die Sicht auf unsere Sprachenvielfalt. Sie wird mehr und mehr als wertvoller Schatz gesehen, den es zu bewahren gilt. Jedoch hängt es zum großen Teil von der Mehrheitsgesellschaft ab, ob eine kleine Sprache ‚gelebt‘ werden kann. Die Politik eines Landes muss allen Sprachen und ihren Sprecher*innen dieselben Rechte zur Nutzung einräumen, Bildungs- und Kulturangebote ermöglichen und finanzielle Mittel für die Umsetzung bereitstellen.

Der Erhalt und die Revitalisierung kleiner Sprachen stellen sich in der Praxis schwierig da. Es braucht neben den rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten auch noch genug Sprecher*innen, die die Sprache leben und weitergeben können. Sind keine Sprecher*innen mehr vorhanden, bleibt nur die Revitalisierung mithilfe der Dokumentation einer Sprache. Doch das bringt, auch mit viel Engagement meist nur Zweitsprecher*innen hervor. Ein Beispiel dafür ist Kornisch in Großbritannien.

Man wird sehen, was die Zeit bringt. Doch wie sieht eine Welt aus, die nur noch einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Sprachen hat?

Quellen

Haarmann, Harald. Lexikon der untergegangenen Sprachen. Beck, München 2002

Tsunoda, Tasaku. Language Endangerment and Language Revitalization. Mouton de Gruyter, Berlin 2005

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