Belarusisch

Jede Sprache ist politisch, denn sie prägt die Gesellschaft und unser Denken. Besonders stark politisiert eine Sprache in einem Land, in dem Unruhen und politische Missstände herrschen. Eins der aktuellsten Beispiele in Europa ist Belarusisch.

Belarusisch (беларуская мова), früher auch Weißrussisch genannt, ist die Erstsprache von ca. acht Millionen Menschen. Die meisten Erstsprecher*innen leben in Belarus, doch auch in anderen Staaten wie Lettland, Deutschland oder den USA finden sich größere Sprecher*innengruppen. Die im Ausland lebenden Belarusischsprecher*innen werden mit unter auf drei Millionen geschätzt.

Belarusisch ist die Amtssprache in Belarus, neben Russisch, und eine anerkannte Minderheiten- bzw. Regionalsprache in Polen, Russland, Litauen und der Ukraine. Die Sprache gehört zur ostslawischen Sprachfamilie, ist also u.a. eng mit Ukrainisch verwandt, und ging aus dem Rusinischen hervor.

Die Herausbildung des Belarusischen hängt eng mit historischen Ereignissen zusammen, denn die Machtverhältnisse änderten sich ständig. Während im späten Mittelalter das Großfürstentum Litauen zahlreiche Kanzleisprachen wie Rusinisch (oft wird der Begriff Ruthenisch verwendet), Polnisch oder Latein verwendete, dominierte nach der Personalunion mit Polen 1569 das Polnische und verdrängte die anderen v.a. slawischen Sprachen aus dem offiziellen Gebrauch. Es wurde eher zur Sprache des einfachen Volkes, was seinem Ansehen leider ziemlich schadete.

Die Sprachsituation heutzutage ist durch den starken Einfluss des Russischen, wie in vielen ehemaligen Sowjetstaaten, zweigeteilt. Die Jahrzehnte mit russischsprachiger Monopolstellung und die historische Abwertung des Belarusischen als ‚einfache‘ Sprache werden erst nach und nach aufgearbeitet.

Belarusisch besitzt 6 Vokale und 39 Konsonanten. Da die meisten Konsonanten paarig (d.h. im Kontrast stimmhaft- stimmlos und hart-weich) vorkommen, wäre eine Zählung von 48 Konsonanten auch möglich. Die Vokale werden in ihrer Betonung je nach Vorkommen im Wort unterschieden.

Wie in den slawischen Sprachen üblich bringt das Belarusische ein reiches Flexionssystem mit: drei Genera, sechs Kasus und zwei Numeri. Das Verb, immer in Aspektpaaren vorkommend, besitzt die gewohnten drei Tempora Präsens, Perfekt und Futur. Allerdings gibt es noch Reste vom Plusquamperfekt, die aber fast nur im Mündlichen zu finden sind.

Trotz der starken Beeinflussung anderer slawischer Sprachen zeigt sich im Belarusischen eine Neigung untypischer syntaktischer Konstruktionen, deren Herkunft oft in volkstümlichen Sprachvarianten gesucht wird.

Wie alle slawischen Sprachen stammt der Großteil des Wortschatzes aus dem slawischen Erbwortschatz, jedoch sind über die Jahrhunderte viele Entlehnungen über das Polnische und vor allem Russische eingewandert. Die Differenzierung, was ist urslawisch, was aus anderen Slawinen stammt, ist mühsam. Neueres Vokabular z.B. aus der Technik, sind aber gut nachvollziehbar, meist aus dem Russischen stammend. Der Anteil nichtslawischer Wörter stammt v.a. aus dem Baltischen, Deutschen und Englischen.

Interessanterweise gibt es für das Belarusische zwei kodifizierte Schriften, die kyrillische und die lateinische Łacinka. Die Łacinka stammt aus dem 17. Jahrhundert und war sogar als offizielle Schrift in Gebrauch. In der ersten Zeit des Belarusischen gab es auch Varianten in arabischer und hebräischer Schrift, die von Tataren oder Juden verwendet wurden.

Das heutige kyrillische Alphabet umfasst 32 Buchstaben. Die Schreibung erfolgt meist phonetisch, das zeigt sich im Kontrast zum Russischen vor allem in der Schreibung der unbetonten Vokale. Jedoch werden nicht alle Lautveränderungen z.B. bei Stammalternationen zu 100% verschriftlicht. Die Kodifizierung der jetzt gültigen Rechtschreibung fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt, mehrere Reformen spaltete die Schreibung in eher russisch orientiert und konsequent belarusisch; bis heute.

Neben dem standardisierten Belarusisch teilt sich das Sprachgebiet in ein von Nordosten nach Südwesten verlaufendes Dialektkontinuum, die sich v.a. in phonologischen Aspekten unterscheiden z.B. die Aussprache des ‚weichen R‘.

Die Nähe zum Polnischen, Ukrainischen und Russischen ermöglicht zwischen den Sprecher*innen eine gute Verständigung untereinander. Die politische Situation in Belarus führt in den letzten Jahren zu einem Prestigegewinn des Belarusischen in der Bevölkerung. Die Machthaber in Belarus kümmern sich jedoch kaum um Möglichkeiten das Belarusische zu fördern, weder in den Medien noch in der Bildungspolitik. Das Interesse der Menschen für die belarusische Sprache ist zu einer Frage nach Freiheit und eigener Identität geworden.

Quellen

Bieder, Hermann. Das Weißrussische. In: P. Rehder (Hrsg.): Einführung in die slavischen Sprachen. Darmstadt 1998

Cychun, Hienadź. Weißrussisch. In: Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10). Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Marchant, Chris. Fundamentals of Modern Belarusian, http://www.vitba.org/fofmb/fofmb.pdf

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