
Meine Vorliebe für Lyrik ist überschaubaren, aber einige Werke liebe ich! Durch mein Studium (B.A. Slawische Sprachen und Literaturen) kam ich im Grundstudium mit viel Literatur in Berührung, vor allem mit polnischer und tschechischer Literatur. Dort las ich zum ersten Mal Gedichte von Jan Kochanowski (1530 – 1584) und war sofort verliebt in eins seiner bekanntesten Werke: Treny – Klagelieder.
Jan Kochanowski war ein polnischer Dichter, der nicht nur schrieb, sondern auch politisch aktiv war. Als Angehöriger des polnischen Adels war das eine Selbstverständlichkeit in Polen. Er war vielseitig gebildet und hatte zahlreiche Studienreisen nach Italien unternommen.
Als einer der ersten schrieb Kochanowski neben Latein auch Werke auf Polnisch, was dem neuen Zeitgeist des Nationalbewusstseins entsprach. Doch auch die Rückbesinnung auf die Antike ist ein typisches Merkmal der Renaissance. Neben vielen geistlichen Werken, verfasste Kochanowski 1580 seinen berühmten Gedichtszyklus „Treny“.
Der Zyklus besteht aus 19 Klageliedern, wie sie z.B. in der Antike verbreitet waren, die in Reimform geschrieben wurden. Bestehen aus drei Abschnitte ‚Beweinen‘- ‚Lob‘ und ‚Trost‘ spiegeln sich die Trauerphasen in dem Werk wider.
Neu in der Renaissance ist die Tradition der Kindertotenlieder. Kinder wurden in dieser Zeit noch nicht so gesehen wie heute. Ihr früher und häufig auftretender Tod ist ein oft erlebtes Schicksal für viele Eltern. Doch gerade Kochanowski, der insgesamt sieben Kinder hatte, beweint den Tod eines Kindes ganz besonders: seiner Lieblingstochter Orszula.
Orszula war drei Jahre alt als sie starb und sie riss ein so großes Loch in das Herz des Vaters, dass er ihr diesen Klagelieder-Zyklus widmete. Es mag heute ganz normal erscheinen, aber in früherer Zeit als Mann um ein kleines Kind zu weinen und dann auch noch um ein Mädchen, schien den Zeitgenossen schon verwunderlich. Doch warum sollte der Schmerz weniger sein nur weil das Kind ein Mädchen war? Kochanowski gibt nichts auf die Gesellschaft und lässt seinen Gefühlen in den Klageliedern freien Lauf.
Er folgt dem antiken Aufbau. Zuerst wird der Schmerz des Todes und die Wut auf den Tod beschrieben. Beim Lesen spürt man förmlich, wie der Autor beim Schreiben weint und mit sich selbst und der Welt ringt.
Es folgen Beschreibungen der Tochter als u.a. klügstes Kinde der Familie, liebreizend und dem Vater so ähnlich. Kochanowski beschreibt Orszula als Erbin seines Wissens und wie sehr sie schon in dem jungen Alter ihrer Pflichten im Haus nachging. Die Tochter scheint das artigste und hilfsbereiteste Kind gewesen zu sein, so schreibt der trauernde Vater. Ob ein Vater sich damals so intensiv mit seinen Kindern beschäftigt hat, um solche Charaktereigenschaften zu bemerken? Wenn ja, muss es wirklich ein bemerkenswertes Kind gewesen sein.
Immer wieder wird Orszula mit Wesen wie Engeln oder Tieren wie die Nachtigall verglichen, um ihre Reinheit und Lieblichkeit zu betonen. Der Vater fragt sich, wie es der Kleinen im Paradies wohl ergehen mag, ob sie gut umsorgt wird. Er findet Trost in dem Glauben, dass sie im Paradies ein besseres Leben hat.
Ganz am Ende findet sich eine etwas merkwürdige Passage, die einer weiteren toten Tochter, Hanna, gewidmet ist. Sie ist nur vier Zeilen lang und ist weniger von Schmerz und Verzweiflung durchzogen. Es ist nicht ganz klar, warum. Es mag daran liegen, dass Orszula die Lieblingstochter war, aber der Schmerz beim Verlust eines anderen Kindes ist sicherlich ebenso groß.
Manche Passagen in den Treny wirken chaotisch und manche Details unwirklich stark betont. Auch springt Kochanowski in den Lebensphasen seiner Tochter umher, beschreibt kleine Erlebnisse mit ihr usw. Er wiederholt sich oft, besonders bei den Beschreibungen von Orszulas Charakter und hält beim Schreiben inne, als müsste er seine Gedanken ordnen oder eine Schweigepause einlegen, um weiterschreiben zu können.
In kaum einem anderen Gedicht kann ich solch starke Gefühle spüren wie in diesen Klageliedern. Jan Kochanowski schafft es, dass der Leser seinen Schmerz beim Lesen spürt und sich trotzdem von der Schönheit der Sprache begeistern lässt!
Quellen
Grzeszczuk, Stanisław. „Treny“ Jana Kochanowskiego. Wydawn. Szkolne i Pedag. . Warszawa, 1988
Pelc, Janusz. Jan Kochanowski. Szczyt renesansu w literaturze polskiej, Warszawa 2001