Sprachfamilien- Die Welt ist ein (Sprach-)Dorf

Die gemeinsame Herkunft von Sprachen fassen Sprachwissenschaftler unter dem Begriff Sprachfamilie zusammen. Es ist ein wenig wie eine Familie im klassischen Sinn. Viele Sprachen stammen von einer älteren Sprache ab, entwickeln sich weiter, verändern sich oder wechseln das Gebiet, in dem ihre Sprecher leben. Trotzdem sieht man Ähnlichkeiten zwischen ihnen z.B. im Wortschatz, dem Satzbau oder der Aussprache.

Je nach historischen Gegebenheiten haben sich Sprachen einer Sprachfamilie unterschiedlich entwickelt. Natürlich schreiten diese Entwicklungen immer weiter fort, aber durch die Globalisierung in einem anderen Tempo als früher. Manchmal sind die Veränderungen aber auch zufällig bzw. nicht mit Sprachkontakt oder anderen Phänomenen zu erklären. Die heutige Verteilung der Sprachfamilien auf der Welt ist zu einem großen Teil auf die Kolonialambitionen der europäischen Staaten zurückzuführen, die den europäischen Teil der indoeuropäischen Sprachfamilie über den ganzen Globus verteilten. Die ursprüngliche Verteilung zeigt eine riesige Vielfalt. Leider sind vor allem durch die Kolonialmächte massenweise Sprachen in den Kolonialländern verloren gegangen. Andere, wie die Pidgin- und Kreolsprachen, kamen dazu.

In den meisten Fällen sind die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Sprachen deutlich oder lassen sich nach intensiven Untersuchungen zweifelsfrei klären. Bei anderen gibt es bis heute Uneinigkeit, wohin sie gehören, da es in der Umgebung keine verwandten Sprachen zu finden sind z.B. Baskisch. Die schriftlichen Quellen geben Sprachwissenschaftlern Aufschluss darüber, wie die Entwicklungen abgelaufen sind. Doch je länger man in der Sprachgeschichte zurückgeht, desto dünner wird die Datenlage. Vieles kann man nur anhand von Lautgesetzen und Sprachvergleichen der modernen Sprachen rekonstruieren.

Die Anzahl der bestehenden Sprachfamilien schwankt, je nach dem wen man fragt und wie detailliert man die Einteilung betrachtet. Auch die Frage ob zwei Sprachen wirklich zwei oder nur zwei verschiedene Varianten einer Sprache sind (ein gutes Beispiel ist Serbokroatisch), lässt die Zahlen variieren.

Im Glottolog (eine Sprachendatenbank) sind 425 Sprachfamilien aufgeführt, die aber 181 isolierte Sprachen mit einbeziehen, d.h. Sprachen, die zu keiner Familie zugeordnet werden können. Und innerhalb jeder Sprachfamilie gibt es viele Verästelungen, wie bei einem Stammbaum. Die Verästelungen entstehen durch das Auseinandergleiten der Sprachen, die sich durch Lautwandel, morphologische Veränderungen usw. immer weiter voneinander weg entwickelten. Irgendwann ist der gemeinsame Nenner der Sprachen so klein, dass sie sich nicht mehr verstehen.

Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung der romanischen Sprachen, die alle vom Latein abstammen. Man sieht die Ähnlichkeiten zwischen Französisch, Italienisch, Rumänisch usw., aber die Sprecher können sich nicht ohne Weiteres verständigen. Oder wenn man als Deutschsprachiger in den Niederlanden ist, man versteht ein wenig, aber es erfordert einiges an Konzentration.

Je nach Ähnlichkeiten zwischen den Sprachen kann man als Lernender viele Gemeinsamkeiten zwischen seiner eigenen und der „fremden“ Sprache ausmachen. Anders sieht es aus, wenn man eine Sprache aus einer anderen Sprachfamilie lernt z. B. ein Schwede lernt Japanisch. Das Lautsystem ist komplett anders, die Betonungen, die Grammatik usw. Die Gemeinsamkeiten sind extrem klein, die erste Zeit des Lernens aufwendiger, unabhängig von der Komplexität der Fremdsprache an sich.

Wie schon erwähnt erregt die Tatsache, dass es isolierte Sprachen gibt, besonders die Aufmerksamkeit der Forschung. Menschen sind soziale Wesen, leben (meist) in Gruppen, die eine gemeinsame Sprache sprechen. Wie kann sich dann eine Sprache entwickeln, die keine oder kaum Gemeinsamkeiten mit ihren Sprachnachbarn aufweist? In einigen Fällen kann man es mit Bewegungen der Sprachgruppen erklären, z. B. Ungarisch, das aus dem Uralischen stammt und deren Sprecher von langer Zeit in das heutige Gebiet eingewandert sind. Heute sieht man die Sprachverwandtschaft nicht mehr auf den ersten Blick. Wie sieht es aber beispielsweise mit dem berühmten Baskisch aus? Abgesehen davon, dass es nur wenige schriftliche Quellen zur Untersuchung aus alter Zeit gibt, lassen sich keine Verbindungen zu anderen Sprachen ziehen.

Neben den isolierten Sprachen gibt es noch die Klasse der unklassifizierten Sprachen. Sie sind, wie der Name schon sagt, unklassifiziert, weil es entweder keine ausreichenden Daten gibt, sie noch nicht hinreichend erforscht wurde oder Anteile verschiedener Sprachfamilien aufweist (z.B. Pidgin- und Kreolsprachen).

Die Forschung im Bereich der Sprachverwandtschaften ist sehr aktiv, kleine und „abgelegene“ Sprachen warten oftmals noch auf ihre Klassifizierung. Sie besitzen häufig keine Schrift und müssen erstmal ausreichend dokumentiert werden. Das klingt nach genug Arbeit für die nächsten Jahrzehnte!

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