Jurij Brězan

„Es wĂ€re ein anderes Meer, wĂŒrde es nicht auch das Wasser des Baches Satkula aufnehmen.“

Dieses bekannte Zitat aus Jurij Brězans „Krabat oder die Verwandlung der Welt“ schmĂŒckt den Grabstein des bekanntesten sorbischen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts. 2006 verlor die sorbische Literatur einen ihrer GrĂ¶ĂŸten: Jurij Brězan. Er formte die sorbische Literaturlandschaft des 20. Jahrhunderts stark und setzte sich auch politisch fĂŒr sie ein.

Jurij Brězan wurde 1916 in RĂ€ckelwitz (sorbisch Worklecy), einem Ort in der Oberlausitz geboren. Sein Geburtsname Georg Bresan benutzte er nicht, sondern machte als Erwachsener von seinem Recht Gebrauch nur noch seinen sorbischen Namen zu tragen.

Er besuchte das Gymnasium in Bautzen, begann ein Volkswirtschaftsstudium, das er aber nicht beenden konnte. Ab 1933 war er fĂŒr die Domowina (der Dachverband der sorbischen Vereine etc.) tĂ€tig, schloss sich auch dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten an und veröffentlichte unter dem Pseudonym DuĆĄan Ć wik. Eine Zeitlang lebte er in Prag, wurde bei seiner RĂŒckkehr 1938 aber verhaftetet und saß bis 1939 in Haft. Wie fĂŒr viele andere Sorben auch, verhĂ€ngten die Nazis ein Aufenthaltsverbot fĂŒr seine Heimat, so dass Brězan nicht dort leben konnte (auch Mina Witkojc erlebte diese Heimatvertreibung). Im zweiten Weltkrieg wurde er in die Wehrmacht eingezogen und kam 1944 in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Nach dem Krieg arbeitete er wieder bei der Domowina und kĂŒmmerte sich intensiv um ihre Jugendarbeit. Als Schriftsteller verdiente er ab 1949 sein Geld und schuf bis ins hohe Alter zahlreiche Romane, ErzĂ€hlungen und KinderbĂŒcher.

Jurij Brězan war seit 1946 Mitglied der SED, einiger SchriftstellerverbĂ€nde und der Deutschen Akademie der KĂŒnste (ab 1965) in Berlin. In seiner langen Schriftstellerlaufbahn kann Brězan viele Auszeichnungen und Preise sammeln z.B. den ĆiĆĄinski-Preis (1962) oder den Karl-Marx-Orden (1974).

Am 12. MĂ€rz 2006 ist Brězan in Kamenz (Kamjenc) gestorben und in Crostwitz (ChrĂłsćicy) beerdigt.

Die Werke Jurij Brězans zeugen von seinem erlebnisreichen Leben und von seiner Verbundenheit mit seiner sorbischen Heimat, der er in Sagen- und LegendenerzĂ€hlungen ein Denkmal setzt. Vor allem die Geschichte von Krabat hat er in mehreren Werken verarbeitet oder er hat sie vom Sorbischen ins Deutsche ĂŒbersetzt. Brězan schrieb in Deutsch und Obersorbisch, doch viele Werke sind in zahlreiche Sprachen ĂŒbersetzt und veröffentlicht worden.

Mit dieser Mischung von alten und neuen Geschichten entstand ein neues VerstĂ€ndnis der Sorben und ĂŒber die Sorben, die als Minderheit schon immer einen schweren Stand hatten. Die politische Lage in der DDR ermöglichte ihnen zwar die freie AusĂŒbung ihrer Kultur, wurde aber ab den 60er Jahren argwöhnisch von der DDR-Regierung beĂ€ugt. Das blieb auch den KĂŒnstlern wie Brězan nicht verborgen und er setzte sich verstĂ€rkt fĂŒr das Sorbentum ein.

In der Literaturlandschaft Deutschlands nimmt die ober- und niedersorbische Literatur kaum einen Stellenwert ein. Die zahlenmĂ€ĂŸige Überlegenheit des Deutschen macht es schwer, sorbische KĂŒnstler ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Doch KĂŒnstler wie Jurij Brězan, die u.a. auch auf Deutsch schrieben, finden unter Kritikern immer mehr Beachtung.

Ein weiterer Vorteil der sorbischen Literatur ist auch, dass sie, wenn auf sie auf Sorbisch geschrieben wird, schnell ins Deutsche ĂŒbersetzt werden kann.

Bekannte Werke von Jurij Brězan sind z.B. „Der Gymnasiast“ (Roman, 1958), der autobiographische ZĂŒge trĂ€gt, „Die schwarze MĂŒhle“ (ErzĂ€hlung, 1968) und „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“ (Roman, 1976).

Quelle

Dietrich Scholze: Jurij Brězan – Leben und Werk. Domowina-Verlag, Bautzen 2016

Gotisch – die Sprache des Wulfilas

Von den wenigen ostgermanischen Sprachen (von denen wir wissen) ist Gotisch am lÀngsten erhalten geblieben bzw. liegt in schriftlicher (Teil-) Form vor. Es gehört zur germanischen Sprachfamilie, die sich in ost-, west- und nordgermanisch aufteilt.

Die Geschichte des Gotischen zu rekonstruieren ist nicht ganz einfach. Das Volk der Goten stammt wahrscheinlich aus dem Weichselgebiet, eventuell auch aus Skandinavien, und kam im 3. Jahrhundert durch die spĂ€tantike Völkerwanderung ins sĂŒdliche und östliche Europa. Dabei teilten sich die StĂ€mme in west- und ostgotisch. Die gemeinsame gotische Sprache blieb, aber die Goten assimilierten schnell und so starb die Sprache in weiten Teilen bis zum 7. Jahrhundert aus.

Ein Teil der gotischen StÀmme zog im Zuge der Völkerwanderung bis an die Krim. Dort konnte sich die Sprache bis ins 18. Jahrhundert halten. Vom Gotischen gibt es leider nur wenig schriftliche Quellen, daher lassen sich viele Aspekte der Sprache nur rekonstruieren.

Die qualitativ besten Quelle ist die Wulfilabibel. Sie wurde vom Bischof Wufila (311–383) aus den Griechischen ins Gotische ĂŒbersetzt. Dabei erschuf Wufila nicht nur eins der wichtigsten Zeugnisse der gotischen Sprache, sondern auch die gotische Schrift. Sie orientiert sich stark am griechischen Alphabet. Bis dahin verwendeten die Goten eine Runenschrift. Dabei zeigt sich das Erbe der Runen, weil die gotischen Buchstaben, wie die Runen, Namen tragen, und einen Laut reprĂ€sentieren.

Durch die mangelnde Datenlage und die Tatsache, dass die gotischen Text Übersetzungen aus anderen Sprachen sind, kann man davon ausgehen, dass die EinflĂŒsse anderer Sprachen auf das Gotische groß sind.

Neben der Wulfilabibel gibt es noch den Codex Argenteus, ein Textfragment, dass die vier Evangelien umfasst, und die Codices Ambrosianus und Taurinensis, die als Teilabschriften der Wulfilabibel zu sehen sind. Die Texte sind religiöse Texte, daher beinhalten sie zahlreiche Entlehnungen aus dem Lateinischen und Griechischen, wie das oft in Sprachen christianisierter Völker zu finden ist.

Bei einer ausgestorbenen Sprache ist es schwierig die korrekte Aussprache zu belegen. Die von Wulfila geschaffene Schrift orientiert sich am Griechischen, also liegt es nahe daraus BezĂŒge zwischen der griechischen und gotischen Artikulation zu ziehen bzw. die Unterschiede in der Schreibung als Unterschiede der Aussprache zu klassifizieren.

Im Gotischen gab es 5 kurze und 7 lange Vokale, deren Unterscheidung hĂ€ufig vom Ursprung des Wortes abhing. Die im Germanischen zahlreich vorkommenden Diphtonge, sind auf einen einzigen, [iu] <iu> reduziert. Das Konsonantensystem ist komplex und unterliegt nicht wenigen phonologischen Regeln. Bei der Rekonstruktion der Laute geht man davon aus, dass sich das Gotische nicht allzu weit vom Urgermanischen wegentwickelt hat. Das gilt auch fĂŒr die Betonung, die wahrscheinlich meist auf der ersten Silbe lag, so wie wir das aus dem Deutschen kennen.

Auch die Beschreibung der gotischen Grammatik beruht auf den Daten, die man aus der Wulfilabibel gewonnen hat. Dabei zeigt die Sprache deutlich seine Verwandtschaft zu anderen germanischen Sprachen. Es hat vier FÀlle, die Reste des Instrumentals und ein Schwinden Vokativs werden in der Grammatikbeschreibung nur am Rande erwÀhnt.

Die Numeruskategorien Singular und Plural sowie die Genuskategorien mÀnnlich, weiblich und sÀchlich werden wie im Deutschen verwendet. Zwei archaische Dualformen sind zwar erhalten geblieben, zeigt sich aber nur bei Verben. Die Verben werden in starke und schwache Verben eingeteilt, eine typische germanische Eigenschaft.

Die Satzstellung ist, anders als in vielen germanischen Sprachen wie Englisch oder DĂ€nischen, relativ frei. Die gotische Sprache weist einen hohen Teil an fremder Lexik auf, was nicht verwundert. Der ĂŒberwiegende Teil stammt, durch die Christianisierung, aus dem Lateinischen und Griechischen. Diese Entlehnungen wurden in die Grammatik des Gotischen eingegliedert, nach denselben Mustern wie der Erbwortschatz.

Die Sprache der Goten ist ein Fenster in die Vergangenheit. Durch sie lassen sich zahlreiche RĂŒckschlĂŒsse auf die UrsprĂŒnge des Germanischen ziehen. Herausragend sind dabei die frĂŒhen schriftlichen Zeugnisse, die es fĂŒr andere germanische Sprachen nicht aus solch frĂŒhen Zeiten gibt. Auch die Kultur der Goten kann durch SchriftstĂŒcke besser untersucht werden, zusĂ€tzlich zu archĂ€ologischen Funden.

Der Untergang der gotischen StĂ€mme und daraus folgend auch der gotischen Sprache, ist weniger auf Krieg und Eroberungen zurĂŒckzufĂŒhren als auf Assimilation der gotischen StĂ€mme an mĂ€chtigere Volkgruppen. Die gotische Sprache verlor an Wichtigkeit und wurde im Laufe der Zeit immer weniger genutzt, bis sie schließlich (je nach Gebiet unterschiedlich schnell) verschwand.

Quellen

Haarmann, Harald. Gotisch. In: Miloƥ Okuka (Hg.): Lexikon der Sprachen des europÀischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.

Streitberg, Wilhelm: Das Gotische Elementarbuch 5. Aufl. Winter, Heidelberg 1920

Perun- der Gott des Himmels

In der slawischen Götterwelt steht er an der Spitze, Perun: Der Gott des Gewitters, des Donners und des Blitzes.

Sein slawischer Name setzt sich aus den Teilen per- (dt. schlagen) und -un (dt. der stark Schlagende) zusammen, was schon zwei seiner Attribute beinhaltet. Andere Herleitungen stammen vom Wort piorun – ‚Blitz‘ oder aus der protoslawischen Wurzel *perkwu – ‚Eiche‘. Auch die Verwandtschaft mit dem litauischen Namen PerkĆ«nas als Gott zeigt die Ähnlichkeiten zwischen slawischer und baltischer Mythologie, die sicherlich einen gemeinsamen Ursprung haben.

Auch auf anderen Regionen Europas kennt man die Verehrung eines Donnergottes. In Griechenland ist es Zeus, bei den Germanen Thor oder Donar, bei den Römern Jupiter usw.

Naturereignisse ließen sich frĂŒher nur mit göttlichen Ursachen erklĂ€ren und traten oft genug auf, um Kulte drum herum zu schaffen.

In den wenigen schriftlichen ErwĂ€hnungen, die es ĂŒber die slawische Mythologie gibt, wird Perun hĂ€ufig erwĂ€hnt z. B. erwĂ€hnte Prokops von Caesarea im 6. Jahrhundert einen Donnergott im De Bello Gothico, ohne ihn jedoch beim Namen zu nennen. Die meisten ErwĂ€hnungen finden sich in ostslawischen Aufzeichnungen, die ab dem 10. Jahrhundert zwar immer mehr von der christlichen Lehre beeinflusst sind, aber die „alten“ Gottheiten immer noch verehren und versuchen sie in die christliche Lehre zu integrieren.

Perun ist zweifellos ein sehr mÀchtiger Gott. Seine Waffe ist die Axt, gerne auch als Feueraxt und Blitze sendend (der Vergleich mit Thor und seinem Hammer Mjölnir drÀngt sich immer wieder auf), die mit dem Gewitter auch Regen bringt, was Perun zugleich auch zu einem Fruchtbarkeitsspender macht. Auch die Assoziation zur Eiche, einem starken Baum, steht in Verbindung zu Perun, nicht nur wörtlich, sondern auch bildlich.

Die Verehrung des Donnergottes forderte Opfergaben, darunter auch Menschenopfer. In einer Chronik wird beschrieben, dass 983 zwei MĂ€nner in der NĂ€he von Kiew geopfert wurden, weil sie Perun beleidigt hĂ€tten. Auch in anderen Gegenden fand man OpferstĂ€tten und Überreste von Menschenopfern z.B. im Siedlungsgebiet der Elb- und Ostseeslawen (etwa zwischen Elbe und Oder bis nach RĂŒgen). Doch Menschenopfer waren nicht die Regel, wie man es vielen Kulturen immer wieder zuspricht.

Die Menschen der slawischen StĂ€mme trugen teilweise Axtamulette, das Zeichen Peruns, und gaben auch ihren Toten Grabbeigaben in Form von Äxten und Amulette aus Metall mit, die ArchĂ€ologen dem Donnergottkult zuschreiben können.

Ein weiteres Attribut zeigt die Wichtigkeit Peruns. Durch seine Waffen und seine StĂ€rke war er auch der Gott des Krieges, der in Kriegszeiten um Schutz angerufen wurde. Man darf nur nicht vergessen, dass die slawischen Völker in erster Linie Bauern und Viehhirten waren. Kriegshandlungen waren zwar nicht selten, aber es gab keine systematischen RaubzĂŒge, wie man es beispielsweise von den Hunnen kennt.

Die zunehmende Christianisierung verdrÀngt das Wissen an die alten Götter. Ihre Statuen und Abbilder wurden zerstört und da sie meist aus Holz waren, lassen sich kaum noch Funde machen. Erhalten geblieben, vor allem in GrÀbern oder KultplÀtzen sind Artefakte aus Metall wie Amulette oder kleine Metallfiguren.

Spuren von Perun finden sich heute aber auch noch in, vor allem, slawischen Sprache. Das polnische Wort piorun fĂŒr Blitz erinnert stark an Perun. Der Donnerstag, im Deutschen eine Weiterentwicklung vom althochdeutschen donrestac, hieß im Elbslawischen perĂŒndan bzw. perendan. Und in vielen Ortsnamen erkennt man die Verbundenheit zum Donnergott. Beispiele dazu sind Pernek in der Slowakei oder PernĂĄ in MĂ€hren.

Wie man sieht, ist Perun nicht ganz verschwunden, nur ein wenig versteckt.

Quellen

Zdeněk, Våƈa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1992

Grimal, Pierre (Hrsg.). Mythen der Völker 3. Fischer, Frankfurt am Main: Fischer 1967

Joseph Greenberg – der Universalienlinguist

Manche bezeichnen ihn als einflussreichsten Linguisten, neben Chomsky, des 20. Jahrhunderts. Er entwickelte die heute noch gĂŒltigen Sprachuniversalien, die Sprachen in Beziehung zueinander setzen.

Greenberg wurde am 28. Mai 1915 in New York geboren in eine multilinguale Familie hineingeboren. Als Kind war die Musik seine große Leidenschaft, er spielte ausgezeichnet Klavier, gab sogar viel gelobte Konzerte. Seine Eltern sprachen Polnisch, Deutsch und Jiddisch. So verwundert es nicht, dass Greenberg sich, trotz seiner Leidenschaft fĂŒr Musik, doch fĂŒr eine sprachwissenschaftliche Laufbahn entschied. Schon als Student an der Columbia University (New York) interessierte er sich fĂŒr Sprachen aller Art, vor allem fĂŒr die der indigenen Einwohner Amerikas. SpĂ€ter wechselte er an die Northwestern University in Chicago, wo er seinen Interessensschwerpunkt auf die nigerianischen Sprachen, vor allem auf Hausa, einer Sprache West-Zentral-Afrikas.

Der zweite Weltkrieg unterbrach Greenbergs Studien. Sein Studium qualifizierte ihn zum Analysten bei der Fernmeldetruppe. Nach dem Krieg arbeitete er als Professor an der University of Minnesota, kehrte aber schon 1948 an die Columbia University zurĂŒck und beschĂ€ftigte sich intensiv seiner linguistischen Forschung mit dem Schwerpunkt auf afrikanische Sprachen. In New York lernte er Roman Jakobson und AndrĂ© Martinet kennen. Die beiden brachten ihn die Prager Schule der Strukturalisten nahe, die sein weiteres Arbeiten beeinflusst hat. 1962 wechselte Greenberg in die Anthropologie-Abteilung der Stanford University (Kalifornien) und blieb dort bis zu seinem Tod. Er starb am 07. Mai 2001 in Kalifornien.

In Laufe seiner langen Forscherlaufbahn hat Greenberg zahlreiche Theorien zu Verwandtschaftsbeziehung zwischen Sprachen verfasst. Besonders seine Thesen zur Sprachtypologie sind allgemein anerkannt. Diese Sprachuniversalien, die er formuliert hat, sollen sprachĂŒbergreifend und allgemein gĂŒltig sein. Dabei verglich er Sprachen miteinander, um allgemein gĂŒltige Gemeinsamkeiten beschreiben zu können. Er „sammelte“ also Ähnlichkeiten und Unterschiede, setzte sie in Bezug zueinander und leitet daraus die Universalien ab.

Wie man sich sicher denken kann, klingt es einfacher als es am Ende ist. Greenberg geht beispielsweise davon aus, dass es in allen Sprachen Wortarten wie Verben, Adjektive, Nomen etc. und eine grundlegende Wortstellung gibt. Doch wie sieht es bei Sprachen aus, die keine feste Wortstellung haben wie z.B. das Lateinische? Die Kritiker bemÀngeln genau solche Ungereimtheiten in Greenbergs Theorie.

Aber im Großen und Ganzen ist die Theorie anerkannt und logisch aufgebaut. Das Neue an Greenberg war die logische Analyse von Sprachen, nicht nur der Vergleich von Sprache A zu Sprache B. Die einzelnen Eigenschaften von Sprachen wurden aufgeschlĂŒsselt. Damit wird es ermöglicht Sprachen in großer Zahl zu vergleichen, ohne alle Einzelheiten jeder Sprache zu untersuchen (Lexikalischer Massenvergleich).

In den 1960er Jahren versuchte Greenberg seine Methode bei den zahlreichen Sprachen Afrikas, da er sie ja intensiv studiert hat, anzuwenden. Er klassifizierte vier große Sprachefamilien anhand bestimmter Merkmale. Kritiker zweifeln die GĂŒltigkeit der Klassifizierung an, weil sie Greenbergs Methoden als falsch ansehen, folglich auch seine Ergebnisse.

1970 wandte Greenberg seine Aufmerksamkeit den indopazifischen Sprachen zu, deren VerwandtschaftsverhÀltnisse schwieriger zu erklÀren sind als die der afrikanischen Sprachen. Seine Forschung wurde sehr kontrovers diskutiert. Das gleiche Problem kam bei den Sprachen der amerikanischen Sprachen auf, denen Greenberg sich in den 80er Jahren wieder verstÀrkt zuwandte. Die Datenlage sei nicht hinreichend belegt, meinten die Kritiker.

Die Arbeit Greenbergs mag in der heutigen Zeit nicht mehr der wissenschaftlichen Norm zu entsprechen, aber er hat neue Ideen entwickelt, Sprachen zu vergleichen und zu klassifizieren. Die Menge der Forschungsdaten, die er nutzte, war so riesig und unterschiedlich. Und das alles mit begrenzten technischen Mitteln, ganz im Gegensatz zu uns heute!

Seine Universalien helfen mir sehr Sprachen zu verstehen, ohne alle im Einzelnen kennen zu mĂŒssen. Und sie bieten Anregungen fĂŒr weitere interessante Fragen, fĂŒr mich einer der grĂ¶ĂŸten Vorteile der Forschung. Denn wo kĂ€men wir denn hin ohne Fragen, die unsere Neugier wecken?

Quellen

Joseph Greenberg (Hrsg.): Universals of Language. MIT Press Cambridge.

https://news.stanford.edu/news/2002/april24/greenbergmem-424.html

Esperanto – die verbreitetste Plansprache der Welt

In der sehr langen Liste aller weltweiten Plansprachen sticht eine besonders heraus: Esperanto. Sie gilt als am weitesten verbreitete Plansprache der Welt. Was macht ihren Erfolg aus? Welche Besonderheiten weist Esperanto auf?

Wichtig zu sagen ist, das Esperanto nicht die erste Plansprache war. Schon im Mittelalter gab es Versuche, aber keiner hat es weit gebracht.

Ludwik Lejzer Zamenhof (1859-1917) entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts eine eigene Sprache, weil er die Schwierigkeiten darin sah, wenn Menschen sich nicht miteinander verstĂ€ndigen konnten, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Die Lösung des Problems sah er in einer gemeinsamen Sprache. Zamenhof sprach zahlreiche Sprachen (Russisch, Jiddisch, Deutsch, Polnisch, Französisch, Englisch, Latein, Griechisch und HebrĂ€isch) und begann eine aus vielen Sprachen inspirierte Plansprache, die als Zweitsprache fĂŒr alle leicht zu lernen sein sollte, zu schaffen. Es ging nicht darum, dass natĂŒrliche Sprachen durch ihre KomplexitĂ€t keine Daseinsberechtigung hĂ€tten oder die Menschen keine Fremdsprachen mehr lernen sollten. Zamenhof erhoffte sich eine Art Verkehrssprache, so wie es heute etwa das Englische ist, die alle Menschen zu störungsfreier Kommunikation untereinander befĂ€higen sollte. Außerdem glaubte er, dass sich soziale Probleme lösen ließen und die Menschen zu einem friedlichen Leben finden wĂŒrden.

Die Schwierigkeit besteh darin eine Sprache so zu konstruieren, dass sie möglichst viel Ähnlichkeit mit allen anderen Sprachen ausweist und so fĂŒr alle leicht und schnell erlernbar ist. Man kann sich vorstellen, welche Herausforderung das bedeutet.

Nachdem Zamenhof einige Jahre getĂŒftelt hatte, wurde am 26. Juli 1887 die erste Schrift ĂŒber Esperanto veröffentlicht. Sie erschien zunĂ€chst auf Russisch, bald auch in anderen Sprachen. In dieser Schrift Unua Libro (dt: Erstes Buch) erklĂ€rte Zamenhof die Ziele, die grundlegende Grammatik, fĂŒgte Wortlisten und Beispieltexte ein, wie beispielsweise das Vaterunser. Ab 1889 erschien eine Zeitschrift in Esperanto, La Esperantisto (dt: Der Esperantist).

Große Verbreitung fand Esperanto zum Beginn des 20. Jahrhunderts ĂŒber Frankreich und dem restlichen Westeuropa bis in alle anderen LĂ€nder weltweit. 1908 grĂŒndete sich die Universala Esperanto-Asocio (Esperanto-Weltbund), die sich fĂŒr die Verbreitung der Sprache und die Vernetzung der LandesverbĂ€nde einsetzt. Die politischen und kriegerischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts erschwerten die Verbreitung des Esperantos, vor allem in den Diktaturen Europas war eine Verwendung von Esperanto unerwĂŒnscht oder sogar verboten. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges konnten die meisten VerbĂ€nde ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Wie funktioniert eine Plansprache, deren Ziel es ist, möglichst einfach und schnell erlernbar zu sein?

Esperanto besteht aus festen Wortbausteinen, die aneinandergehĂ€ngt werden, um Bedeutungen auszudrĂŒcken. Somit ist es eine agglutinierende Sprache wie beispielsweise TĂŒrkisch. Es gibt bei der Wortbildung wie Mehrzahl oder Verbkonjugation nur regelmĂ€ĂŸige Formen, Ausnahmen wĂŒrden ja das Lernen erschweren. Bestimmte Endungen zeigen (meistens) die Wortart (Substantive, Adjektive etc.) an, so dass Verwechslungen vermieden werden. Anders als im Deutschen gibt es kein grammatisches Geschlecht.

Der Wortschatz stammt aus verschiedenen Sprachfamilien, vor allem aus der romanischen, germanischen und slawischen. Zamenhof bemĂŒhte sich darum Wörter mit gemeinsamem Ursprung zu verwenden, was natĂŒrlich nicht immer 100%ig klappt.

Als Schrift wird die lateinische verwendet, ergĂ€nzt mit einigen diakritischen Zeichen wie man sie aus vielen slawischen Sprachen kennt. Wichtig ist, dass die Schrift phonetisch funktioniert, also jeder Buchstabe fĂŒr einen einzigen Laut steht. Insgesamt gibt es 28 Buchstaben.

Die Grammatik ist einfach gehalten, zahlreiche Formen und Ausnahmen sucht man vergeblich. Zamenhof hat alles systematisch angelegt, viele internationale Vereinigungen pflegen die Sprache und aktualisieren sie z.B. werden Wörter neuer Erscheinung hinzugefĂŒgt. Sonst wĂ€re Esperanto schnell antiquiert und in der heutigen Zeit nicht nutzbar.

Die Zahl der Sprecher schwankt mit den Jahren und je nach Genauigkeit der Befragung. Man kann von mehreren Millionen Sprechern ausgehen, die Esperanto als Fremdsprache gelernt haben, unabhÀngig von der tatsÀchlichen Verwendung und Sprachniveau. Schwieriger sind die Muttersprachler zu erfassen. Zwischen 1000 und 2000 Menschen geben Esperanto als (zweite) Muttersprache an.

Doch nicht nur im Sprachgebrauch ist Esperanto vertreten. Es gibt zahlreiche Literatur auf und ĂŒber Esperanto, einige Radiosender senden regelmĂ€ĂŸig Sendungen in Esperanto und es gibt in vielen LĂ€ndern Angebote Esperanto zu lernen. Das Internet hilft ungemein bei der Verbreitung und der Vernetzung der Sprache. Auch die Wissenschaft, vor allem die Interlinguistik, hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit Esperanto und allgemein dem PhĂ€nomen „Plansprachen“ beschĂ€ftigt.

Der Grundgedanke Zamenhofs, Menschen durch die vereinfachte Sprache friedlich zusammenzubringen, ist nicht so ganz ausgegangen. Doch wenn Menschen ĂŒber eine Sprache, ganz gleich welche, zusammenfinden, ist das schon mal ein Schritt in die richtige Richtung!!!

Quellen

Detlev Blanke: Internationale Plansprachen. Eine EinfĂŒhrung (= Sammlung Akademie-Verlag. 34, Sprache). Akademie-Verlag, 1985

Heike Pahlow: Esperanto – einfach, kompakt und ĂŒbersichtlich. Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2016

Die Lutki – Zwerge der Lausitz

Unter den vielen Sagegestalten der Sorben gibt es Wesen, die schon vor der Ankunft der Menschen in der Lausitz und Umgebung lebten. Die Sorben nennen sie Lutki – kleine Leute. Das Wort könnte vom slawischen Wort lud – Volk kommen, die Lutki sind also Leute eines Völkchens. In manchen Quellen sieht man die Schreibweise Ludki. In der Oberlausitz nennt man sie auch Zwerge oder Querxe. Ihre Bekanntheit reicht bis nach Böhmen hinein.

Zwerge oder kleine Wesen sind in allen Kulturkreisen Europas bekannt. Unterschiede im Aussehen oder Namen sind zwangslÀufig vorhanden, aber die sorbischen Lutki sind eine ganz spezielle Sorte Zwerg. Im Gegensatz zu den meisten Zwergengestalten sind sie den Menschen zugetan und wollen ihnen nichts Böses, solange man sie freundlich und ehrlich behandelt. Ganz anders zeigen sich beispielsweise die Zwerge der germanischen Sagenwelt.

Der Legende nach wohnten die Lutki in Höhlen oder HĂŒgeln (sogenannte Lutkenberge oder -hĂŒgel sorbisch Ludkowa gora/Ludkowa gorka), zogen sich dann aber in die Erde zurĂŒck als das Christentum sich ausbreitete und die Kirchenglocken LĂ€rm machten. Eine Geschichte erzĂ€hlt, die Lutki sollen sich so vom GlockenlĂ€rm gestört gefĂŒhlt haben, dass sie versuchten eine der Glocken mit einem Stein zu zerstören, aber sie waren zu schwach, um den Stein zu tragen. Also blieb ihnen nichts anderes ĂŒbrig als sich zurĂŒckzuziehen.

Die Lutki sind als Hausgeister positiv gestimmte kleine Wesen. Sie helfen den Menschen beim Hausbau, lehren sie handwerkliche FĂ€higkeiten wie schmieden und machen manchmal auch kleine Geschenke. Als Haus- und Schutzgeister fĂŒhlen sie sich den Menschen verbunden.

In den Geschichten wird berichtet, dass die Lutki sorbisch sprechen, wenn auch nicht immer verstĂ€ndlich. Jedoch haben sie die witzige Angewohnheit alles zu verneinen, beispielsweise buken sie Nichtbrote oder liehen sich einen Nichtbacktrog. Oder sie sprechen rĂŒckwĂ€rts, was zu einem unverstĂ€ndlichen Kauderwelsch fĂŒhrt.

Ihr Zusammenleben mit den Menschen gestaltet sich sehr harmonisch, sie sind gern gesehen und wohl ein gewohnter Anblick. Lutki werden oft mit den typischen ZipfelmĂŒtzen der Zwerge dargestellt, ihre Kleidung manchmal in grauer oder brauner Farbe beschrieben, in anderen Geschichten als farbenfroh. Dabei kann man davon ausgehen, dass durch Überlieferungen Freiheiten in den ErzĂ€hlungen genutzt werden.

Lutki sind allgemein sehr gesellig und feiern gerne Feste. An vielen FestplĂ€tzen in der Lausitz sollen sie ausgiebig feiern und tanzen, Hochzeiten halten und sich amĂŒsieren.

Anderen ErzĂ€hlungen und Sagen von Zwergen habe die Lutki aber gemein, dass sie wohl SchĂ€tze hĂŒten. Allgemein wird Zwergen ja oft Habgier und eine Sammelleidenschaft fĂŒr Gold und Edelsteine nachgesagt. Unter vielen Bergen vermutet man das Gold der Lutki, dass sie manchmal an Menschen abgeben, die arm sind. Oder wenn Menschen den Lutkis halfen, sollen sie dafĂŒr Gold oder Silber als Belohnung bekommen haben. Immer nach dem Motto: Wer gutes tut, dem widerfĂ€hrt auch Gutes. Die Menschen mussten beweisen, dass sie es verdienten.

Der Zugang zum Schatz der Lutki ist versteckt, nur ein Mensch, der ihn sich redlich verdient hat, kann ihn finden. Damit findet man die typischen Narrative aus MĂ€rchen und Legenden auch in den Geschichten der Lutki.

Abgesehen, dass es zahlreiche Geschichten aus allen Ecken des Spreewaldes gibt, haben die Lutiks allein schon durch ihr Aussehen die Sympathien auf ihrer Seite. In den Abbildungen in BĂŒchern oder Schnitzereien sieht man niedliche kleine Kerle, die fröhlich sind. Ihre Geschichten eignen sich hervorragend zum ErzĂ€hlen. Sie sind, im Vergleich zu MĂ€rchen, nicht grausam und trotzdem lehrreich fĂŒr die Zuhörer.

Quellen:

Sagen der Lausitz. Eine Auswahl. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Domowina-Verlag, Bautzen 1965

Zdeněk, Våƈa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Die geistigen Impulse Ost-Europas, Urachhaus, Stuttgart 1992

Runen – Die Schrift der Germanen

Wie die heute verbreiteten Alphabete in Europa sind Runen eine Form der Buchstabenschrift, die im Vergleich zum Griechischen und lateinischen Alphabet als jung gilt. Die Àltesten Funde stammen aus dem 2. Jahrhundert nach Christus.

Das Wort ‚Rune‘ kommt aus dem Altnordischen ‚rĂșn‘- ‚Schriftzeichen‘ und kam im 17. Jahrhundert, durch die BeschĂ€ftigung mit der germanischen Geschichte und Literatur, in Benutzung. Woher die Runenschrift der Germanen jedoch stammt, kann bis heute nicht eindeutig beantwortet werden.

Einigkeit besteht darin, dass die Runen-Schrift keine isoliert entstandene Schrift ist. Die Germanen verwendeten in ihrem Alltag keine Schrift. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie die Runen aus norditalienischen, lateinischen oder griechischen Alphabeten abgeleitet haben, die sie durch Kontakt zu Schreibkundigen aus dem SĂŒden Europas kennen lernten.

Die Germanen haben die Runen dann angepasst und verwendeten sie vor allem auf Steinen, Hölzern und GefĂ€ĂŸen. Allgemein akzeptiert ist die Theorie, dass Runen nicht als Schrift fĂŒr die alltĂ€glichen Kommunikation genutzt wurden. DafĂŒr fehlen erstens Funde, die das widerlegen und zweitens weist die Ausrichtung der Runen (meist senkrecht und eckige Formen) darauf hin, dass sie vor allem mit Werkzeug in Holz, Metall oder Stein geritzt wurde. Schriften, die auf papierĂ€hnlichen Materialien geschrieben werden, weisen andere Schreibrichtungen und Formen auf. Funde von Steinen u.Ă€. weisen eher auf die Verwendung der Runen als religiöse Symbole z.B. zu Ehren von Verstorbenen oder zur Beschreibung von Mythen und Legenden.

Funde mit Runen finden sich in am hĂ€ufigsten im sĂŒdskandinavischen und dĂ€nischen Raum, aber auch im heutigen Deutschland, Tschechien (v.a. in Böhmen) und Polen, besonders entlang der großen FlĂŒsse, was vor allem Handelsbeziehungen nahelegt. Doch die Ausdehnung der Runen reicht noch weiter: Im Westen bis Irland und im Osten bis zur DnjeprmĂŒndung (Schwarzes Meer).

Die schrittweise erfolgte Christianisierung Europas bedeutete das langsame Aus fĂŒr die Runen, vor allem außerhalb Skandinaviens. Innerhalb Skandinaviens hielt sich die Verwendung der Runenschrift bis etwa ins 15. Jahrhundert.

Die Verwendung der Runen hat sich im Laufe ihres Entstehungszeitraumes gewandelt bzw. kann man von verschiedenen Formen der Runenschrift sprechen. In den Gebieten SĂŒdskandinaviens und DĂ€nemarks fanden man vor allem Beispiele der Ă€lteren Form: das Ă€ltere Futhark (fuĂŸark). Es besteht aus 24 Zeichen und ist (Ă€hnlich wie das Alphabet) nach den ersten 6 Buchstaben benannt. Es ist eine phonetische Schrift, d.h. jeder Buchstabe steht fĂŒr einen Laut. Allgemein schrieb man rechtslĂ€ufig, die Schreibrichtung war allerdings nicht streng festgelegt.

Anders als im lateinischen Alphabet, besitzt jeder Buchstabe noch einen Namen, beispielsweise die Rune ᛞ, die dem Laut d entspricht und ‚dagaz‘ – Tag heißt.

Bis ins 7. Jahrhundert entstand eine abgewandelte Form des alten Futharks, das sogenannte jĂŒngere Futhark. Dabei handelt es sich um lautliche VerĂ€nderungen z.B. entwickelten sich neue Laute, wĂ€hrend andere verschwanden. Das Inventar an Buchstaben reduzierte sich auf 16 Runen. Diese Form erhielt sich lĂ€nger als das alte Futhark, trotz der EinfĂŒhrung der lateinischen Schrift durch die Christianisierung und wurde bis zum 19. Jahrhundert genutzt.

ZusĂ€tzlich gab es im friesischen und angelsĂ€chsischen Raum noch das fuĂŸorc, das sich wiederum etwas vom Futhark unterschied und bis etwa zum Jahr 1000 in Gebrauch war. Das Interesse an Runen etc. erlebte zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Renaissance, wenn auch mehr auf esoterischer Ebene. Diesem und auch wissenschaftlichen Interesse ist es zu verdanken, dass das Wissen um die Runen nicht verloren ging. Auch in jĂŒngerer Geschichte nutzten zahlreiche Strömungen, nicht zuletzt die Nationalsozialisten, Runen und die dazugehörenden Geschichten fĂŒr ihre Zwecke aus, um ihre Ideologie zu untermauern.

Die Anzahl der FundstĂŒcke mit erhaltenen Runen aus verschiedenen Zeitabschnitten variiert je nachdem welche Form man betrachtet. Die meisten Funde stammen aus dem skandinavischen Raum (JĂŒtland scheint ein Zentrum zu sein), doch viele Inschriften etc. sind kurz, enthalten nur einzelne Namen, so dass sie nur bedingt mehr Informationen preisgeben können.

Abgesehen von der Möglichkeit Runen als reines Kommunikationsmittel zu nutzen, gibt es noch die „Nutzung“ der Runen als TrĂ€ger von Magie. Mit unter verbargen sich darin Zauber- und Beschwörungsformeln, die vor allem im nordgermanischen Raum verbreitet waren. Der Edda zufolge, war Odin bereit sich zu opfern, um das Wissen ĂŒber die heiligen Runen zu erlangen.

Eine bekannte Runeninschrift ist beispielsweise der Codex Runicus, ein Gesetzestext aus dem 13. Jahrhundert, der trotz vorherrschender lateinischer Schrift, in Runenschrift geschrieben wurde.  Die Goldhörner von Gallehus sind ein Beispiel fĂŒr die Verbindung von Kunst und Alltag. Datiert wurden sie auf das 4. Jahrhundert nach Christus. Sie sind verziert mit Tieren und alten Runen. Neben Tieren und Runen befinden sich noch Zahlen und Symbole auf den Hörnern, die bis heute noch nicht vollstĂ€ndig entschlĂŒsselt wurden. Die Originalhörner wurden 1802 gestohlen und eingeschmolzen, heute existieren Nachbildungen, die auf der Grundlage von Zeichnungen angefertigt wurden.

Etliche Steine mit Inschriften fand man ĂŒberall in Skandinaviern und sogar im deutschsprachigen Raum, wenn auch nur vereinzelt. Nicht immer sind die Inschriften komplett entschlĂŒsselt, neben Runen nutzen die Erschaffer auch Zeichen, die wohl nicht direkt zum Runenalphabet gehören.

Die Faszination und das Interesse an Runen und den Geschichten hinter ihrer Entstehung, ihre mythischen Eigenschaften und ihre EntschlĂŒsselung wird die Wissenshaft noch einiges an Zeit kosten.

Quellen:

DĂŒwel, Klaus. Runenkunde, 4. Aufl. Metzler, Stuttgart 2008

Nedoma, Robert. Runenschrift und Runeninschriften – eine kurze EinfĂŒhrung, Miscellanea septentrionalia 2, Wien 2007

Ungarisch – Allein auf weiter Flur

Ungarn liegt inmitten von Europa, umgeben von LÀndern, in denen Sprachen der indoeuropÀischen Sprachefamilie gesprochen werden. Widererwartend sprechen die Ungarn aber eine Sprache aus der uralischen Sprachfamilie, zu der beispielsweise auch Finnisch und Estnisch gehören.

Ungarisch (manchmal wird auch das Synonym magyarisch verwendet) ist die Amtssprache Ungarns und hat in einigen Nachbarstaaten u.a. in Österreich, Slowenien und der Ukraine den Status einer Regional- bzw. Minderheitensprache. Man geht von etwa 15 Mio. Sprechern weltweit aus, wobei der grĂ¶ĂŸte Teil in Ungarn selbst und den Nachbarstaaten lebt. Kleinere Gruppen finden sich auch in Nordamerika und Australien.

Die Geschichte der Ungarn ist wechselhaft, gezeichnet von verschiedenen Fremdherrschaften z.B. der Tartaren, der TĂŒrken oder als Teil der Habsburger Monarchie. Durch Kriege und Eroberungen variierte die GrĂ¶ĂŸe des Siedlungsgebietes der Ungarn in der Geschichte.

Die Herkunft der ungarischen Sprache wird meist auch mit ihrer Sprachverwandtschaft zu uralischen Sprachen erklĂ€rt: Aus dem Gebiet des Urals wanderten Gruppen in Richtung Mitteleuropa und ließen sich dort etwa 900 n.Chr. rund um das Karpatenbecken nieder. Sie wurden durch andere Bevölkerungsgruppen von ihrer ursprĂŒnglichen Sprachfamilie isoliert und entwickelten sich unabhĂ€ngig weiter. Das erklĂ€rt, warum zwar eine Sprachverwandtschaft mit Finnisch oder Mansisch besteht, aber keine VerstĂ€ndigung mit den Ungaren möglich ist. Durch die lange Isolation entwickelte das Ungarische einfach zu viele Unterschiede.

Hungarologen haben 10 Dialektgruppen klassifiziert, die sich meist aufgrund geschichtlicher Faktoren entwickelt haben und sich vor allem in Lexik und Aussprache unterscheiden, seltener in syntaktischer Hinsicht. Die Dialekte sind, wie in vielen Sprachen, Schritt fĂŒr Schritt dabei sich anzugleichen. Doch es gibt innerhalb der Dialekte deutliche EinflĂŒsse der Umgebenden Sprachen wie Deutsch, Kroatisch oder RumĂ€nisch.

Die ungarische Sprache, geschrieben in lateinischer Schrift, weist ein reiches Inventar an Lauten auf: Allein 14 Vokale gibt es, dabei wird zwischen langen und kurzen Vokalen unterschieden, die oftmals eine bedeutungsunterscheidende Funktion haben z.B. tör [tĂžr] (dt. brechen) – tƑr [tĂž:r](dt. Dolch). Genauso unterscheidet man die LĂ€nge der 25 Konsonanten, deren LĂ€nge mit einer Konsonantenverdoppelung gekennzeichnet wird z.B. var (dt. Schorf) – varr (dt. nĂ€hen).

Ein weiterer wichtiger Punkt der ungarischen Laute ist die Vokalharmonie, also dass helle und dunkle Vokale nur sehr selten zusammen in einem Wort vorkommen. Das ist vor allem bei Sprachen, die agglutinierend funktionieren oft zu beobachten.

Da Ungarisch zu den agglutinierenden Sprachen gehört, weist es eine spezifische Morphologie auf. Alle Bedeutungen, die Wörter zueinander im Satz haben, werden durch AnhĂ€ngen von Suffixen an die WortstĂ€mme realisiert.  Das bedeutet, im Gegensatz zu den meisten Sprachen in Europa, dass im Ungarischen Wörter immer lĂ€nger werden, weil mehr Informationen ĂŒbermittelt werden sollen. Praktisch, aber beim Lernen der Sprache etwas gewöhnungsbedĂŒrftig.

Ein Vorteil beim Lernen ist das Fehlen der grammatischen Geschlechter. Es wird nur Einzahl und Mehrzahl unterschieden. DafĂŒr hat das Kasussystem einige TĂŒcken. Eine genaue Zahl zu nennen ist schwierig, die grammatischen LehrbĂŒcher sind sich nicht einig, aber es sind sehr viele FĂ€lle!

Die vorherrschende Satzstellung ist Subjekt-Objekt-Verb (SOV), durch verschiedenste Faktoren kann das aber auch variieren.

Durch die Zugehörigkeit des Ungarischen zu uralischen Sprachfamilie, bezieht es seinen Grundwortschatz vorwiegend aus dem Stammwortschatz der finnougrischen Zeit. Die wechselnden EinflĂŒsse anderen Sprachen bzw. Völker haben dazu beigetragen den Wortschatz zu erweitern z.B. die Turksprachen, das Lateinische (da es als Kirchensprache fungierte), das Deutsche (schon frĂŒh durch Handelsbeziehungen, adeligen Familienbanden und spĂ€ter durch die Zugehörigkeit zur Habsburger Monarchie) und slawische Sprachen. Die Ungarn waren zu allen Zeiten bemĂŒht ihre Sprache nicht zu sehr mit Lehnwörtern zu spicken und sie passen möglichst alle an die ungarische Schreibung an. So wird ein Internationalismen wie Manager und Single im Ungarischen zu menedzser und szingli.

Ein interessanter und geheimnisvolles Relikt der ungarischen Sprache und Geschichte ist die sogenannte Runenschrift, die nicht mit den Runen aus Skandinavien zu tun hat, aber trotz allem als erste ungarische Schrift gilt. Von ihr gibt es leider nur wenige erhaltene Schriftproben, so dass eine genaue Untersuchung schwierig ist.

Die ungarische Literaturlandschaft ist reichhaltig und zurecht sind die Ungarn stolz auf ihre großen Schriftsteller wie BĂĄlint Balassi (1554–1594), MihĂĄly Csokonai VitĂ©z (1773–1805), MihĂĄly Babits (1883–1941) und noch so viele mehr. Der Stolz der Ungarn und ihre Liebe zur Sprache verleiht dem Ganzen einen Hauch von Heroismus.

Es lohnt sich definitiv, sich mehr mit dieser faszinierenden Sprache zu beschÀftigen!

Quelle:

Papp, György. Ungarisch Artikel in der EnzyklopĂ€die des europĂ€ischen Ostens, UniversitĂ€t Klagenfurt

Wenzel, Haik. Langenscheidts Praktisches Lehrbuch, Ungarisch. Langenscheidt, MĂŒnchen 1998

Bruno Schulz

Obwohl er nicht nur schrieb, sondern auch viel zeichnete und malte, gilt Bruno Schulz in Polen vor allem als herausragender Schriftsteller der ersten HĂ€lfte der 20. Jahrhunderts.

Bruno Schulz wird am 12. Juli 1892 in Drohobycz, Ostgalizien (damals zu Österreich-Ungarn gehörend, heute Ukraine) in eine jĂŒdische Familie hineingeboren. Die Familie fĂŒhrte ein kleines GeschĂ€ft, aber die finanzielle Lage war schwierig.

Schulz‘ Talent fĂŒrs Zeichnen und Schreiben fiel schon in der Schulzeit auf. 1910 begann er ein Architekturstudium in Lemberg, musste es aber aufgrund finanzieller und gesundheitlicher Probleme abbrechen. Die Wirren des ersten Weltkrieges und der Tod des Vaters beeinflussten Schulz‘ weiteres Leben. Nach dem Krieg kehrte er in seine Heimatstadt zurĂŒck und beschĂ€ftigte sich intensiv mit Malerei und Kunst. Nebenbei arbeitete als Zeichenlehrer, um den Lebensunterhalt fĂŒr seine Familie zu sichern. Zufrieden war er mit der Arbeit als Lehrer jedoch nicht. Mit dem Schriftsteller Stanislaw Ignacy Witkiewicz verband ihn eine enge Freundschaft, er bestĂ€rkte Schulz weiterzuschreiben.

Schulz schrieb und zeichnete viel, aber erst 1934 wurde sein DebĂŒtwerk „Sklepy cynamonowe“ (dt. „Die ZimtlĂ€den“) veröffentlicht. Damit wurde er auf polnischsprachigem Gebiet bekannt. 1937 folgte die Veröffentlichung von „Sanatorium pod Klepsydrą“  (dt. „Das Sanatorium zur Sanduhr“). Eine Reise nach Paris 1938 verlief leider nicht sehr erfolgreich. Schulz‘ Vorhaben, seine Zeichnungen in Frankreich bekannt zu machen, scheiterte und er kehrte nach Drohobycz zurĂŒck.

Im Gegensatz zu seinen Zeichnungen erntete er fĂŒr seine Literaturwerke viel Bewunderung und die Polnische Akademie fĂŒr Literatur zeichnete ihn mit dem „Goldenen Lorbeerblatt“ aus.

Ab 1939 Ă€nderten sich Schulz‘ LebensumstĂ€nde grundlegend. Der Einmarsch der Roten Armee, durch den Hitler-Stalin-Pakt wurde der Ostteil Polens von den Sowjets besetzt, musste er sich mit den neuen Machthabern arrangieren und malte fĂŒr sie vor allem Propagandabilder. Mit dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion 1941 verschlechterte sich die Lage fĂŒr Bruno Schulz erheblich. Als Jude war er gezwungen in den Ghettobezirk von Drohobycz umzuziehen.

In dem SS-HauptscharfĂŒhrer Felix Landau hat Bruno Schulz einen Auftraggeber, der ihm ein gewissen Schutz bot, solange er fĂŒr ihn arbeitete. Die anderen Juden aus dem Ghetto von Drohobycz wurden, wie die meisten Juden in anderen Ghettos, systematisch deportiert. In der Zeit bis zu seinem Tod gestaltete Bruns Schulz zahlreiche Wandmalereien fĂŒr Landaus Privathaus und offizielle ParteigebĂ€ude.

Die UmstĂ€nde von Schulz‘ Tod sind nicht komplett geklĂ€rt. Am 19. November 1942 („Blutiger Donnerstag von Drohobycz“) wurde er von dem SS-Offizier Karl GĂŒnther im Ghetto erschossen. Es soll sich um eine Racheaktion des SS-Offiziers gehandelt haben: Felix Landau habe einen „seiner“ Juden erschossen, also macht er es jetzt genauso.

Nach Kriegsende wurden die Werke Schulz‘ lange Zeit, wieder wegen seiner jĂŒdischen Herkunft, nicht gedruckt. Erst 1956 erschien seine Texte, die nach und nach in viele Sprachen ĂŒbersetzt und publiziert wurden.

Der frĂŒhe und tragische Tod Bruno Schulz‘ lĂ€sst der MĂ€rtyrerstatus des KĂŒnstlers in Polen bis heute lebendig bleiben. Seine Werke gehören zu den meistgelesenen der polnischen Moderne. In Deutschland erschienen die ersten Übersetzungen in den 1960er Jahren, auch die grafischen Werke wurden veröffentlicht.

Über die Bedeutung Schulz‘ Literatur gibt es ganz unterschiedliche Meinungen. Einige Kritiker ziehen starke Parallelen zu Kafka und beschreiben Schulz‘ Literatur als schwierig. Durch seine jĂŒdische Herkunft lehnten viele sein Schaffen als jĂŒdisch oder entartet ab. Als einer der wenigen KĂŒnstler zeigt Schulz kaum politisches Interesse bzw. baut es nicht in seine Schriften ein. Ob es eher ein Selbstschutz war, denn er war als Jude, nicht nur zur Zeit der Besetzung durch die Deutschen, Diskriminierung ausgesetzt, oder einfach, weil es ihn wenig interessierte. Es wird nicht mehr feststellbar sein.

Schulz‘ Texte zeigen viel vom Leben in Ostgalizien, das heute nicht mehr als solches existiert. Die Mischung aus Polen und Juden, die in seiner Kindheit und Jugendzeit in Ostgalizien herrschte, musste nach dem 2. Weltkrieg einer neuen Staatenordnung weichen.

Man kann diese Zerrissenheit der Gegend, die stĂ€ndig wechselnder Herrscher wie Österreich, Russland/Sowjetunion, in den Texten erlesen. Schulz bleibt immer innerhalb seiner Welt, nimmt sie genau unter die Lupe und gibt Einblicke in die Vergangenheit von Ostgalizien.

Seine Zeichnungen wirken dĂŒster, einschĂŒchternd, geben aber wiederum die Sicht auf die damalige Welt frei. Die Welt, in der er lebte und wirkte. Eine Welt, die wir nur noch als Geschichte kennen.

Quellen

Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 11, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1999

Roman Lach, Thomas Markwart: Geisterlandschaft Galizien. Karl Emil Franzos, Leopold von Sacher-Masoch, Joseph Roth, Alfred Döblin, Bruno Schulz.

Die Sprache der DDR – zwischen Ideologie und Alltag

Jede Sprache hat ihre Eigenheiten, sei es eine besondere Aussprache oder Wortstellung. Aber unterscheidet sich die selbe Sprache je nach Land, in dem sie gesprochen wird?  Na klar!

Große Unterschiede sehen wir heute noch z.B. in der Schweiz oder Österreich. Aber auch in Deutschland gab es, neben den Dialekten, eine vor allem politisch und ideologisch motivierte Sprache, die es so heute nicht mehr gibt. Im Herbst 1989 vollzog sich ein Wandel, die DDR trat dem Geltungsbereich der BRD bei und damit ging das politische System der DDR unter. In den gut 40 Jahren des Bestehens der DDR hat sich ein weitverzweigtes sozialistisch geprĂ€gtes Sprachnetz entwickelt, vor allem in der Verwaltung.

Doch auch in der Alltagssprache setzten sich zahlreiche Neuschöpfungen durch, manche sind sogar noch heute in Gebrauch oder werden bewusst wiederbelebt; Stichwort Ostalgie.

Nun erstmal zurĂŒck zu den AnfĂ€ngen: Die DDR war nach der StaatsgrĂŒndung 1949 bemĂŒht den Kontrast zum Nazi-Regime zu betonen und auch eine sozialistische Sprache in Abgrenzung zur BRD zu schaffen. Dabei ist es logischerweise nicht möglich die Sprache komplett umzukrempeln, aber Schritt fĂŒr Schritt kamen VerĂ€nderungen in Umlauf. Dass nicht alle DDR-BĂŒrger damit einverstanden waren, kann man sich vorstellen. Und ich möchte betonen, dass nicht die komplette Sprache betroffen ist und die Kenntnis der Lebenssituationen beim Interpretieren eine wichtige Rolle spielt!

Um sich der DDR-Sprache zu nĂ€hern, muss man unterscheiden welche linguistischen Verfahren verwendet wurden. Die deutsche Sprache allgemein bietet fĂŒr Wortneuschöpfungen viele Möglichkeiten z.B. die Komposition (aus zwei Wörtern wird eins → Haus + TĂŒr = HaustĂŒr) oder die Entlehnung aus anderen Sprachen (finn. Sauna oder ital. Pizza). Aus diesem Schatz der Wortschatzerweiterung haben sich die „Macher der DDR-Sprache“ reichlich bedient.

Wie man sich sicher schon denken kann, ist der Einfluss auf die Sprache innerhalb des Wortschatzes (Lexik) am grĂ¶ĂŸten. Das beginnt schon sehr frĂŒh in der Verwaltungssprache, die dabei hilft, die politische Neuordnung auch sprachlich in das System einzugliedern. Einige Beispiele wĂ€ren die Wortschlangen wie nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet oder positive, parteiliche und klassenbewusste Einstellung zur Arbeit.

Begriffe oder Slogans, die im Nationalsozialismus, in der BRD oder in christlichen Kontext verwendet wurden und nicht neu kreiert werden konnten, bekamen einen sozialistischen Anstrich wie Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik (Walter Ulbricht, 1958) oder Unsere ganze Kraft fĂŒr die ErfĂŒllung des 5-Jahrplanes.

Um sich vom Deutsch der BRD abzusetzen, entstanden auch neue Wörter und Phrasen, die heute meist wieder vergessen sind. Einige Beispiele sind: Werte Kollegin statt Sehr geehrte Kollegin, der Aktendulli (eins meiner Lieblingswörter), Spati (ein Bausoldat), Blaue Fliesen (Westgeld), Haushaltstag, Grilletta (Hamburger), Kombinat (ein volkseigener Betrieb), Lipsi (ein Tanz) und Nicki (ein T-Shirt). Es gibt noch viele mehr
..

Oftmals wurde aus dem Russischen einfach ins Deutsche ĂŒbersetzt, eine einfache Möglichkeit sozialistisch klingende Wörter zu bilden z.B. Datsche (russ. Юача) oder Haus der Kultur/Haus des Lehrers usw. Das Prinzip ist seit jeher bekannt, heute eher aus dem englischsprachigen Raum.

Manche Begriffe haben den Untergang der DDR aber ĂŒberlebt, zumindest im Sprachgebrauch der Menschen. Okay, vielleicht nicht bei jedem, aber u.a. nutze ich Broiler, Muttiheft, BĂŒckware, Datsche, Eingabe, Kaufhalle, Plaste, Subbotnik und Polylux heute noch. Zugegeben, manchmal wird man nicht richtig verstanden, aber was soll‘s.

Doch nicht nur die Sprache an sich wurde in der DDR, wie in allen Ostblockstaaten, instrumentalisiert, sondern auch die Anwendung. Große Paraden zu denen Reden mit sozialistischen Schlagworten gehalten wurden, Schriften, die alle BĂŒrger zu lesen hatten bzw. die in den Schulen als PflichtlektĂŒre auf dem Lehrplan standen usw. Überall waren die BĂŒrger und BĂŒrgerinnen der Rhetorik der Diktatur ausgesetzt. Diese Rhetorik bezieht sich auf die GrĂŒnder und Ideengeber des Kommunismus wie Marx oder Lenin und wird in allen Bereichen miteinbezogen. Sie soll vor allem StĂ€rke und die Überlegenheit des Systems demonstrieren, Ă€hnlich wie die Sprache im Nationalsozialismus oder der KolonialmĂ€chte, die alle auf Legitimation ihrer Herrschaft ausgelegt sind.

Auch in der Literatur finden sich solche Anzeichen. Neben der Zensur und dem Verbot vieler Schriften, vor allem aus dem kapitalistischen Westen, sind LehrbĂŒcher, Zeitschriften u.v.m. unterschwellig, oft eher direkt, immer darauf bedacht die sozialistische Ordnung als Ideal zu beschreiben. Das fĂ€ngt bei den Lesefibeln in der Grundschule an und hört bei Nachschlagewerken auf, bei denen sich interessanterweise manche Begriffe gar nicht wiederfinden z.B. Weltreise.

Den Mund verbieten ließen sich die Menschen in der DDR aber nicht, so resultierte die Wende auch aus Slogans wie Wir sind das Volk! oder Wir sind ein Volk!. Die Sprache der DDR ging ziemlich sang- und klanglos unter. Erst Anfang der 2000er Jahre kam eine Welle der Ostalgie auf, bei der auch die Sprache vereinzelt wiederbelebt wurde. Prognostisch wird die Verwendung von „Ostwörtern“ in den nĂ€chsten Generationen verschwinden. Der Zahn der Zeit nagt an allem, auch am Broiler!

Quellen

Eduard Kurka, Wirksam reden, besser ĂŒberzeugen: EinfĂŒhrung in die sozialistische Rhetorik. Hrsg. von der Parteihochschule Karl Marx beim ZK der SED. Dietz Verlag, Berlin 1970

Jan Eik, DDR-Deutsch: Eine entschwundene Sprache. Jaron Verlag, Berlin 2010