Wilmesaurisch

Deutsch hört man in Polen nicht selten, das ist unumstritten. Doch es versteckt sich noch eine andere kleine Sprache in Schlesien, die eine kaum jemand kennt, wenn er sich nicht intensiv mit germanischer bzw. slawischer Sprachwissenschaft beschäftigt: Wymysiöeryś.

Diese Sprache, manche bezeichnen sie auch nur als mitteldeutsche Dialekt, ist mit nur knapp 100 Sprecher*innen vom Aussterben bedroht. Sie gehört zur Familie der westgermanischen Sprachen und verfügt über eine Standardschreibung.

Wymysiöeryś (deutsch Wilmesaurisch, polnisch Język wilamowski) wird von Menschen gesprochen, dessen Vorfahren im 13. Jahrhundert aus dem niederdeutschen, flämischen und friesischen Raum nach Schlesien eingewandert sind, wahrscheinlich auf Einladung eines Herrschers. Dort gründeten sie im Herzogtum Cieszyn und Oświęcim erste Siedlungen, die unter deutschem Recht standen und schnell wuchsen.

Die Bevölkerung in dieser Region war gemischt, aber im Laufe der Zeit assimilierten sich die Siedler und sprachen immer mehr polnisch, ohne jedoch ihre Herkunft zu vergessen. Noch heute erzählen die Sprecher*innen von ihrer flämischen Abstammung. Die deutsche Abstammung wird eher abgelehnt.

Trotz der Anpassung an die polnische Sprache blieb die Gruppe meist unter sich, heiratete innerhalb der Gruppe und bewahrte ihre Traditionen über die Jahrhunderte hinweg. Unter der Herrschaft Österreichs nach den polnischen Teilungen verstärkte sich die Identitätsbildung nochmals. In dieser Zeit war auch das Deutsche als Amtssprache neben Polnisch zu einem wichtigen Kommunikationsmittel, was das Wymysiöeryś immer mehr zu einer reinen Familiensprache machte.

In der Zeit der Nationalsozialisten wurden die Menschen als Deutsche in den Listen geführt, unabhängig von ihrer eigentlichen Identität. Der Sprache wurde keinerlei Beachtung von politischer Seite geschenkt. Das war aber keine Neuerung, denn kaum jemand interessierte sich in den letzten Jahrhunderten für die Sprache. Forschung gab es kaum, unter anderem existieren einige Wenker-Bögen in Wymysiöeryś. Eine Ausnahme bildet Florian Biesik, der eigentlich Eisenbahner war. Er schrieb Gedichte und Geschichten in Wymysiöeryś, was man als Beginn der Literaturgeschichte ansieht. Ihm ist unter anderem eine geregelte Orthographie zu verdanken, in der er die polnischen Buchstaben verwendete, weil sie die Lautung besser wiedergeben.

Sprachtypologisch ist Wymysiöeryś eine westgermanische Sprache. Sie verfügt über 11 Vokale und 7 Diphthonge, was viel mehr ist als im Standardpolnischen. Aus dem Polnischen haben sich aber viele palatalisierte, d.h. weiche, Konsonanten eingebürgert, die im Deutschen nicht verwendet werden.

Das Artikelsystem ist reduziert auf einen bestimmten und einen unbestimmten Artikel. Das Genussystem folgt den polnischen phonologischen Prinzipien, was auf Sprachkontakt zurückgeführt werden kann, ebenso wie die Nutzung des Verbalaspektes.  Anders als das heutige Standarddeutsch verfügt Wymysiöeryś über einen Vokativ (Ruffall), der aber selten gebraucht wird. Der Wortschatz ist größtenteils aus dem Deutschen, einige Anteile stammen aber aus dem Schlesischen und Polnischen, was durch den engen Kontakt der Sprachen zu erklären ist. Generell ist die Wortstellung wie im Deutschen, obwohl es bei Wymysiöeryś weniger streng geregelt ist und auch aus dem Polnischen gängige Stellungen möglich sind.

Die Zukunft der Sprache ist ungewiss, da die Sprecher*innen fast alle schön älter sind und die Umgebungssprache Polnisch sehr dominant ist. Doch das Interesse steigt, ebenso wie die Forschung intensiver wird. Beides sind gute Zeichen für den Erhalt dieser einzigartigen Sprache.

Quellen

Wicherkiewicz, Tomasz. The Making of a Language: The Case of the Idiom of Wilamowice, Southern Poland. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2003

Andrason, Alexnder & Król Tymoteusz. A Grammar of Wymysorys. Duke University, Slavic and East European Language Resource Center – SEELRC, 2016.

Bildquelle

Von Silar – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=110286070

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