Heutzutage beherrschen nur noch ganz wenige eine 1911 in Preußen eingeführte Schreibschrift, die von Ludwig Sütterlin entwickelt wurde: Das Sütterlin oder die Sütterlinschrift.
Die Sütterlinschrift ist eine spezielle Schreibschrift, die als Vorstufe der Kurrentschrift klassifiziert ist. Da die Kurrentschrift für Schreibanfänger der damaligen Zeit schwer zu erlernen war, beauftragte das preußische Kultur- und Schulministerium Ludwig Sütterlin damit eine vereinfachte Ausgangsschrift zu entwickeln.
Strenger als in Europa üblich, war der preußische Staat darauf aus den Schrifterwerb und allgemein Schreibkompetenzen aller Schüler möglichst effizient zu gestalten. Dazu gehörte auch eine effiziente Schreibung, die nicht nur einfach zu lernen, sondern auch schnell und leserlich zu schreiben war. Das Schreiben mit einer Metallfeder erfordert einen gleichmäßigen Druck und eine gute Hand-Auge-Koordination. Die sonst übliche Kurrentschrift erschwerte dies, sodass Ludwig Sütterlin die Buchstaben vereinfachte, das Verhältnis anpasste und sie vertikaler ausrichtete.
Seit 1915 lernten Kinder in Preußen Sütterlin, jedoch stand diese Schrift in großer Konkurrenz zur lateinischen Ausgangsschrift, die in den meisten europäischen Ländern mit lateinischer Schrift vorherrschte. Man kann auch vermuten, dass Preußen mit einer anderen Schrift ein politisches Statement setzen wollte, obwohl die lateinische Ausgangsschrift im Handel etc. unverzichtbar war.
Nach der Einführung der Sütterlinschrift ging die Verwendung der Kurrentschrift Schritt für Schritt zurück und ab 1935 wurde nur noch Sütterlin als Deutsche Volksschrift unterrichtet, dabei aber noch weiter vereinfacht. Die klassische Sütterlinschrift wurde 1941 sogar komplett abgeschafft. Ein denkbarer Grund wäre der Umstand, dass die Menschen in den von Deutschland besetzten Gebieten das klassische Sütterlin weder lesen noch schreiben konnten. Damit entstanden Probleme im Schriftverkehr und in der Durchsetzung von Anordnungen, daher wurde die einfachere Schrift als Standard festgesetzt.
Nach dem Krieg reaktivierte man Sütterlin nicht mehr und die Menschen, die es lesen und schreiben können, weil sie es in der Schule gelernt hatten, wurden naturgemäß mit der Zeit weniger.
Die Menschen, die heute oder auch schon die letzten Jahrzehnte schreiben gelernt haben, werden große Schwierigkeiten beim Entziffern der Sütterlinschrift haben. Vielleicht hat man noch Großeltern, die Sütterlin gelernt haben. An Schriftstücken fehlt es sicher nicht. Es gibt genug Archive, aus denen man sich Schriftproben holen kann. Freunde der schönen Handschrift lernen Sütterlin oft, um miteinander zu korrespondieren oder Briefe und Karten besonders ansprechend zu beschriften.
Nostalgiker und Sütterlinliebhaber versuchen seit dem Verschwinden der Schrift aus dem Lehrplan der Deutschen Schulen die Erinnerung lebendig zu halten. Sie geben Workshops zum Schrifterwerb oder führen Interessierte in Archive, um gemeinsam Dokumente in Sütterlin lesen zu üben. Das ist natürlich nur eine kleine Gruppe von Personen, aber sie pflegen ihre Leidenschaft treu.
Wer also interessiert ist, kann sich an die Hamburger Sütterlinstube und die „Sütterlin-Schreibstube“ in Konstanz wenden.
Quellen
Sütterlin, Ludwig. Neuer Leitfaden für den Schreibunterricht. Berlin 1926
Bartnitzky, Horst. Welche Schreibschrift passt am besten zum Grundschulunterricht heute? In: Grundschule aktuell, Heft 91, 2005