Sprachangst

Sprachen lernen ist für mich das schönste Hobby, doch das war nicht immer so! Als Kind bzw. Jugendliche fand ich es fürchterlich im Englisch-Unterricht etwas sagen zu müssen. Besonders in der Realschule hatte ich im Englischunterricht immer ein flaues Gefühl im Magen und hoffte möglichst nicht dranzukommen. Ich hatte Angst vor Fehlern und was die anderen dann über mich denken würden. Erst im Studium habe ich gelernt, dass dieses Gefühl ein weit verbreitetes Phänomen ist: Sprachangst.

Das Phänomen der Sprachangst, in der Literatur meist unter dem englischen Begriff ‚Language Anxiety‘ zu finden, ist nicht neu, wird aber erst seit kurzer Zeit in der Forschung thematisiert. Und wie vieles andere ist auch Sprachangst ein komplexes Thema. In der Literatur wird zwischen Foreign Language Anxiety/Fremdsprachenangst, Heritage Language Anxiety/Herkunftssprachangst und Majority Language Anxiety/Mehrheitssprachangst unterschieden. Die Ursachen und Folgen sind vielfältig und führen in allen Fällen zu einer eingeschränkten Lebensqualität.

Foreign Language Anxiety/Fremdsprachenangst betrifft meist Menschen, die eine neue Sprache lernen, also u.a. Schüler*innen. Dabei ist eine Unsicherheit erstmal nicht unüblich vor allem zu Beginn. Doch bei einigen steigert sich das weiter, dass sie vor der Bewertung durch andere Angst haben, sich nicht mehr auf das Lernen konzentrieren können und dann auch in Prüfungssituationen Stress erleben. Das Sprachen lernen wird dann vermieden, Gelerntes kann nicht abgerufen werden und die Hemmung zu Sprechen wird immer größer.

Bei der Heritage Language Anxiety/Herkunftssprachangst spielen besonders soziale und familiäre Faktoren eine Rolle. Die Sprecher*innen haben eine andere Erstsprache als die Umgebungssprache. Sie erwerben die Erstsprache im familiären Kontext, meist ohne Schrifterwerb. Es entstehen Identifikationskonflikte und sprachliche Unsicherheiten, die innerhalb der Familie als negativ gewertet werden können. Die Betroffenen haben das Gefühl zu keiner der beiden Sprachen bzw. Welten zu gehören.

Dazu kann (muss aber nicht) dann auch die Majority Language Anxiety/Mehrheitssprachangst kommen, die durch die Erwartungen an die jeweilige Person und häufiger Diskriminierung wegen äußerer Merkmale zustande kommt. Die Menschen fühlen sich nicht als vollwertig und versuchen die Mehrheitssprache zu vermeiden. Das kann zu beruflichen und sozialer Nachteilen führen, insbesondere wenn die Person keine Unterstützung im Umfeld bekommt.

Die Gesellschaft, d.h. auch jede einzelne Person, sollte die Menschen mit solchen Ängsten unterstützen, z.B. indem alle Sprachen als Ressource betrachtet werden und Platz im Alltag bekommen. Auch über die Angst selbst muss gesprochen werden können, z.B. in Workshops oder persönlichen Gesprächen. Die Fragen, wer welche Sprache wie gut spricht, sollte weniger defizitär betrachtet werden, denn wir alle sprechen unsere Sprachen unterschiedlich gut. Die Vorschläge vieler Forschungsgruppen, möglichst viele Sprachen in das Bildungssystem und in das Leben aller Menschen zu integrieren, wäre ein wichtiger Schritt. Und das heißt im Umkehrschluss nicht, dass der deutschen Sprache den Status als Unterrichtssprache oder Amtssprache abgesprochen wird, wie es oft befürchtet wird!

Kennst du Situationen, in denen du negative Gefühle gegenüber einer deiner Sprachen hattest?

Quellen

Bosselmann-Cyran, Kristian (Hrsg.): Fremdsprachen und Fremdsprachenerwerb (= Das Mittelalter. Zeitschrift des Mediävistenverbandes. Band 2). Berlin 1997

Sevinç, Yeşim & Backus, Ad. Anxiety, language use and linguistic competence in an immigrant context: a vicious circle?, International Journal of Bilingual Education and Bilingualism 22, 2019

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