Der baltische Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie hat heute noch zwei lebende Sprachen: Lettisch und Litauisch. Die größere Sprache von beiden mit etwa 3 Millionen Sprechern ist das Litauische (litauisch lietuvių kalba), die außer in Litauen auch in Teilen Polens, Belarus, Lettlands und Russland gesprochen wird. Als Minderheiten- bzw. Regionalsprache ist Litauisch außerdem in Lettland und der polnischen Woiwodschaft Podlachien anerkannt und seit Litauens EU-Beitritt im Mai 2004 Amtssprache der EU.
Mit Sicherheit kann man sagen, dass Litauisch zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehört, doch wann und wie die Abspaltung abgelaufen ist, sorgt für Diskussionen. Manche Forscher*innen glauben, das sich das Baltische und das Slawische eine Zeitlang gemeinsam entwickelt haben, bevor sie sich voneinander abspalteten, die sogenannte balto-slawische Hypothese. Einiges spricht für diese These, anders dagegen. Doch für die Forschung eignet sich das Litauische in besonderem Maße, denn die alten Formen und Wortstämme des Indoeuropäischen haben sich hier sehr gut erhalten.
Schriftlich belegt ist Litauisch erst ab 1503, als Glosse eines Vaterunsers. Ob frühere Schriften gab, ist unklar, denn das Lateinische war als Kirchensprache etabliert und andere Texte wurden kaum angefertigt. Doch die vollständige Christianisierung der Litauer im 14. Jahrhundert waren aber Schriften für die Geistlichen nötig und die waren nicht immer dem Lateinischen mächtig. Also verfasste Martynas Mažvydas den Katechismus auf Litauisch, der 1547 gedruckt wurde. Das erste Wörterbuch Polnisch- Latein-Litauisch entstand erst 1620. Die politischen Geschehnisse und vielen Kriege erschwerten die Etablierung der litauischen Literatursprache. Die Vorherrschaft des Russischen Reiches in weiten Gebieten der Litauer führte dazu, dass Litauisch in kyrillischen statt in lateinischer Schrift gedruckt wurde, was nur in geringer Akzeptanz resultierte. Die Rückkehr zur lateinischen Schrift erfolgte im Jahr 1905.
Die lateinische Schrift kann nicht alle Laute abbilden, also wurde es durch einige diakritische Zeichen ergänzt, die vor allem die Zischlaute und Vokallängen kennzeichnen. Durch die vielen unterschiedlichen Grapheme kann Litauisch gut in einer phonetischen Schreibung (ein Laut = ein Buchstabe) abgebildet werden.
Ähnlich wie die verwandten Sprachen Sanskrit oder Latein ist das Litauische eine stark flektierende Sprache, die mit zahlreichen Affixen agiert. Es besitzt zwei Genera und zwei Numeri, wobei es alte Neutrumformen und Reste des Duals , vor allem in Dialekten, ausweist. Ähnlich wie die meisten slawischen Sprachen hat Litauisch sieben Fälle, die dialektal noch um Sonderfälle des Lokativs ergänzt werden. Die Verben können, je nach Tempora und Modus, entweder analytisch oder synthetisch gebildet werden. Die Wortstellung ist relativ frei, der Kontext daher entscheidend.
Der Wortschatz ähnelt zu großen Teilen dem indoeuropäischen und slawischen, ein Argument für die balto-slawische Hypothese, lässt aber auch Raum für zahlreichen “neuere“ Entlehnungen aus den Kontaktsprachen wie u.a. dem Deutschen, Polnischen und Russischem. Auch Neuschöpfungen sind mit Hilfe von litauischen Linguisten entstanden, die den Einfluss der Kontaktsprachen zurückdrängen soll.
Das Litauische gliedert sich in zwei große Dialektgruppen: Niederlitauisch/ Žemaitisch und Hochlitauisch/Aukštaitisch, die sich in einem von Nordwest- nach Südostkontinuum erstrecken. Beide Gruppen können in viele Unterkategorien aufgeteilt werden.
Der literarische Schatz der Litauer wie Sagen, Mythen oder Volksliedern trifft man in allen Dialektgruppen in poetisch hoher Qualität und sie erfreuen sich damals wie heute großer Beliebtheit.
Wichtige Persönlichkeiten der litauischen Sprache und Literatur sind Mikkola, Basanavičius, Lebedys und viele andere mehr. Die Litauer sind stolz auf ihren Sprach- und Sagenschatz, der hier im deutschsprachigen Raum leider viel zu wenig bekannt ist. Ob sich das ändern lässt?
Quellen
Eckert, Rainer. Litauisch. In Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002
Baldauf, Lucia. Litauisch intensiv!: das Lehrbuch der litauischen Sprache. Baltica, Hamburg 1998