Glagolica – die Schrift Kyrills

Codex Assesmanianus

Viele Sprachen der Welt kennen keine Verschriftlichung. Doch was tut man, wenn man eine schriftlose Sprache verschriftlichen will? Meistens verwendeten die Menschen dann eine Schrift aus anderen Sprachen. Doch diese Schrift hat den oft Nachteil nicht für alle Laute der „neuen“ Sprache Schriftzeichen zu besitzen.

Genau vor diesem Problem stand der Missionar Kyrill von Saloniki (oder Konstantin von Saloniki), der unter anderem in Mähren unterwegs war und eine Schrift für die slawischen Sprachen brauchte, die bis dahin über keinerlei Schrift verfügten. 863 n. Chr. nutzte er das griechische Alphabet dabei als Basis, entwickelte sie aber grundlegend weiter. Er ließ auch Elemente anderer Schriftsystem einfließen z.B. aus semitischen Schriften. Kyrill betonte stets die Eigenständigkeit der Schrift, sie ist also keine reine Kopie der vorherigen Schriften.

Wie die Vorgängerschriften der Phönizier und Griechen ist auch die glagolitische Schrift eine Buchstabenschrift, d.h. es liegt (meist) jedem Buchstaben ein Laut zugrunde. Die Buchstaben sind dabei arbiträr, lassen also vom Aussehen nicht auf die Aussprache schließen.

Die glagolitische Schrift verschriftliche als erstes Altbulgarisch und Mazedonisch, vor allem Bibelübersetzungen und andere religiöse Texte, später auch das offizielle Altkirchenslawisch (eine Form des Altbulgarischen). Eine Besonderheit der Schrift ist die Möglichkeit mit ihr auch Zahlen darstellen zu können. Dabei entspricht der Zahlenwert der Stellung des Buchstaben innerhalb des Alphabets.

Bis heute sind zwei unterschiedliche glagolitische Schreibformen bekannt: die ältere, runde, bulgarische Form, die im 10. und 11. Jahrhundert genutzt wurde; und die eckige, kroatische Form, die erst ab dem späten 11. Jahrhundert belegt ist. Die Verbreitung der Glagolica konkurrierte mit der aus ihrer entwickelten kyrillischen Schrift, die zum Ende des 9. Jahrhunderts aufkam. Vor allem im kroatischen, serbischen und bosnischen Raum konnte sich die glagolitische Schrift bis ins 12. Jahrhundert gegen die kyrillische Schrift behaupten. In den Gebieten, die westslawische Sprachen sprechen, wie Polen oder Tschechisch, sah sich das Glagolitische mit der lateinischen Schrift konfrontiert. In ostslawischen Gebieten setzte sich bis zum 12. Jahrhundert das Kyrillische durch, sodass die Abspaltung der orthodoxen von der katholischen Kirche auch in den Schriften sichtbar ist. Aber anders als das Kyrillische wurde die Glagolica ausschließlich für slawische Sprachen verwendet.

Bekannte Werke in der älteren, runden Form sind die „Kiewer Blätter“ und der „Codex Assemanianus“ (ca. Ende des 10. Jahrhunderts), die Gebete und religiöse Texte enthalten. In der eckigen Glagolica sind beispielsweise die „Prager Blätter“ und der „Dimitar-Psalter“ (ca. Ende des 11. Jahrhunderts) erhalten, die neben religiösem Inhalt auch Heilmittelrezepte enthalten.

An den erhaltenden Schriftstücken kann man die Motivation Kyrills ablesen. Es gibt so gut wie keine weltlichen Themen in den Texten. Damit bleibt die glagolitische Schrift, ganz in Kyrills Sinn, eine Schrift der Religion und der Kirche. Er schuf die Schrift nicht aus Liebe zu den slawischen Sprachen, sondern als pragmatische Lösung zur Sicherung seines Missionserfolgs. Die Spaltung der slawischen Kirche, orthodox und katholisch, lässt sich an der Verwendung der jeweiligen Schrift, glagolitisch oder kyrillisch, gut erkennen.

Heute kann man vor allem in Kroatien ein wachsendes Interesse an der Glagolica beobachten als Verzierung jeglicher Art und auf Denkmälern. Ihren Staus als Schriftsprache wird sie aber kaum wieder erlangen.

Quellen

Haarmann, Harald. Geschichte der Schrift. Beck, München 2002

Miklas,Heinz. Die slavischen Schriften: Glagolica und Kyrillica. In: Der Turmbau zu Babel. Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift. Band 3: Schrift. Teilband: A. Kunsthistorisches Museum u. a., Wien 2003

Bildquelle

Codex Assemanianus, Von Unknown; probably some scribes from Ohrid Literary School in 10th century – http://kodeks.uni-bamberg.de/AKSL/Texte/AssemanianusFacs1.htm,

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