Sprachenpolitik in der Ukraine

Ein Land wie die Ukraine beheimatet die verschiedensten Bevölkerungsgruppen. Schon allein durch die Geschichte des Landes kommen unzählige Ethnien zusammen, die genauso viele unterschiedliche Sprachen sprechen, seit Jahrhunderten. Doch durch den Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 ist die Frage nach sprachlicher Identität wieder in den Fokus gerückt.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der neugewonnenen Unabhängigkeit der Ukraine 1991wurde Ukrainisch alleinige Amtssprache. Das bedeutete aber nicht, dass andere Sprachen nicht gesprochen werden durften. Die meisten Menschen waren schon damals mehrsprachig. Die am meisten verbreitetste Sprache, neben Ukrainisch, war und ist bis heute Russisch, dass besonders im Osten und Süden der Ukraine verbreitet ist. Schätzungen von 2001 nach sprechen ein Drittel der Ukrainier*innen Russisch als Muttersprache. Auch eine Mischvarietät, das sogenannte Surschyk, wird bis heute gesprochen.

Seit 1991 ist die Zahl der Ukrainischsprecher*innen stetig gestiegen, was vor allem daran liegt, dass Ukrainisch als Bildungssprache immer stärker forciert wird. Das bedeutet, dass vor allem die Jüngeren prozentual mehr und kompetenter Ukrainisch sprechen als die Älteren. Im Laufe der letzten Jahrzehnte war die Sprachenpolitik oft an die politischen Ansichten der Regierung geknüpft.

So ratifizierte die Ukraine am 19. September 2005 die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, sogar früher als einige  Mitgliedsstaaten der EU. Darin sind u.a. Jiddisch, Krimtatarisch, Romani und Ungarisch als Minderheitensprachen anerkannt. Prozentual zur Gesamtbevölkerung der Ukraine machen die Minderheiten aber nur einen kleinen Teil aus, was ihren Schutz umso wichtiger macht.

Während der Regierungszeit von Wiktor Janukowytsch trat 2012 ein Gesetz in Kraft, nachdem neben der Amtssprache Ukrainisch auch regionale Sprachen als Verkehrssprachen genutzt werden konnten, sobald der Anteil der Sprecher*innen 10% innerhalb der Region beträgt. Das war nicht nur wichtig für die russische Sprache, sondern auch für Minderheitensprachen wie Ungarisch oder Rumänisch. Insgesamt bekamen 18 Sprachen diesen Status. Jedoch wurde diese Sprachenvielfalt 2018 wieder eingeschränkt, z.B. wurde Unterricht nicht mehr in den Minderheitensprachen angeboten. Besonders für die grenznahen Regionen zu Ungarn, Polen und Rumänien war das ein Rückschritt, den auch die Nachbarländer scharf kritisierten.

Die Kritik riss nicht ab als im Frühjahr 2019 weitere Verschärfungen vorgenommen wurden. Das Gesetz „Über die Gewährleistung des Funktionierens der ukrainischen Sprache als Staatssprache“ sah vor, dass im öffentlichen Raum, z.B. im Fernsehen, in Zeitungen usw., das Ukrainische weiter in den Fokus rückt und als einzige Sprache fungieren soll. Das betrifft zwar nicht den Alltagsgebrauch aller Sprachen, vermittelt aber den Eindruck einer Hierarchie, die nicht zum Bild der weltoffenen Ukraine zu passen scheint.

Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 hat sich die Sprachwahrnehmung stark verändert. Die ukrainische Sprache ist zu einem Symbol für Einheit und Identität geworden. Und obwohl das Russische weiterhin für einen großen Teil der Ukrainer*innen die erste Sprache ist, zeigen sich Tendenzen, dass viele Menschen die Sprache des Aggressors nicht mehr verwenden wollen. Das Russische verliert in der Ukraine zunehmend sein Prestige und auch außerhalb des Landes, z.B. in Westeuropa, assoziieren viele Menschen mit Russisch automatisch Russland. Diese fehlende Abtrennung zwischen Sprache und Staat ist bis heute Anlass für Konflikte.

Im Dezember 2022 trat in der Ukraine das Gesetz „über die nationalen Minderheiten“ in Kraft, dass angelehnt an die Europäische Charta, allen Sprachen der Minderheiten einen offiziellen Status einräumte. Es geht darüber hinaus auch um finanzielle Unterstützung und den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Das Gesetz ist ein weiterer Schritt zur Mitgliedschaft der EU.

Quellen

Zensus der Ukraine: https://2001.ukrcensus.gov.ua/eng/results/general/language/

Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/internationalepolitik/europa-nordamerika-ukraine-sprachenstreit-14927.html

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