Die Dialektkarten von Wenker

Das Ergebnis der Befragungen Georg Wenkers zur Erfassung der deutschen Dialekte im Deutschen Kaiserreich waren 1668 per Hand gezeichnete Karten, die alle Merkmale der deutschen Dialekte abbilden sollten. Diese Dialektkarten sind ein wichtiges systematisches Werkzeug in der Dialektologie und ein Novum im 19. Jahrhundert.

Der Begriff Dialektkarte setzt sich zusammen aus den Wörtern ‚Karte‘ (lat. charta) und ‚Dialekt‘ (lat. dialectus –  ‚Gespräch/Diskussion‘ oder ‚Redeweise‘).

Eine Dialektkarte ist, ähnlich wie eine Landkarte, Sammlung verschiedener Varianten eines Merkmals, eine sogenannte thematische Karte. Auf den Karten wird der Zeitbezug ausgeklammert bzw. ist eine Momentaufnahme der Merkmale. Spätere Karten können anders aussehen in Bezug auf das gleiche Merkmal.

Die Dialektkarten, die Wenker und seine Mitarbeiter aus den Fragebögen anfertigten, ermöglichte es nicht nur die momentane Dialektverteilung im Deutschen Reich nachzuverfolgen, sondern auch die Nachverfolgung der Lautgeschichte des Deutschen bis in die heutige Zeit. Die Karten waren der erste Versuch die Dialekte systematisch zu erfassen und darauf Dialektgrenzen aufzuzeigen. Dabei musste man sich mit der Momentaufnahme jedes Merkmals begnügen, die heutige Technik ermöglicht auch einen Zeitbezug innerhalb der jeweiligen Karte abzubilden.

Je mehr Informationen man zu Verfügung hat, desto detaillierter kann man die Karten gestalten, wichtig ist aber auch übersichtlich zu bleiben und klare Dialektgrenzen zu ziehen. Das erwies sich bei der riesigen Datenmenge, die Wenker auszuwerten hatte, als schwierig. Die Überschneidungen einiger Daten und die Übersichtlichkeit müsste berücksichtigt werden.

Jede Karte war mit einer Legende versehen, die nicht nur die Dialektgrenzen, sondern auch die unterschiedlichen Realisierungen des sprachlichen Merkmals erklärte.

Im Wenker-Atlas sind vor allem Laut-Karten vertreten z.B. die Verteilung von Diphthongen. Auch einige morphologische Karten sind dabei, aber solche Veränderungen sind schwieriger zu kartografieren als Lautveränderungen.

Die Besonderheit der Dialektkarten besteht darin, dass man demografische Daten mit den Lautunterschieden der Regionen vergleichen kann und dadurch Rückschlüsse auf Bewegungen der Dialektgrenzen oder demografischen Veränderungen z.B. Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte usw. ziehen kann. Die Sprachgeschichte des Deutschen könnte viele Entwicklungen ohne diese Karte nicht rekonstruieren, denn die technischen Mittel waren zu Wenkers Zeiten, im 19. Jahrhundert, recht begrenzt vor allem wenn man die Datenmenge bedenkt.

Vor allem der unglaubliche Aufwand, den Wenker und seine Mitarbeiter über die Jahre leisteten (Entwicklung und Auswertung der Fragebögen, Zeichnen der Karten etc.) beeindrucken mich. Die heutige Technik macht vieles einfacher und vor allem schneller, aber ich mag die alten Karten sehr!

Die Methodik der Erhebung würde nach heutigen Maßstäben nicht mehr verwendet werden. Das Ausfüllen der Fragebögen wurde von Lehrern der jeweiligen Gebiete erledigt, deren Angaben nicht nochmal überprüft wurden. Man könnte argumentieren, dass sich dadurch viele Fehler eingeschlichen haben.

Trotz allem wurde der Grundstein unserer modernen Dialektologie von Wenker und seinen Mitarbeitern gelegt. Die Karten mögen heute veraltet sein, aber sie sind nicht nur ein Stück (Sprach-)Geschichte, sondern auch ein schützenswertes Kulturgut.

Quelle

Niebaum, Hermann & Macha, Jürgen. Einführung in die Dialektologie des Deutschen. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014.

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