Die Brailleschrift

Die Idee einer Blindenschrift kam schon im 17. Jahrhundert auf und es gab immer wieder Versuche sie „salonfähig“ zu machen. Aber erst dem Franzose Louis Braille gelang die Entwicklung der Blindenschrift wie wir sie heute kennen und weltweit als Standardschrift genutzt wird.

Louis Braille (1809-1852) verlor als Kind sein Augenlicht durch einen Unfall in der Werkstatt seines Vaters. Durch das Engagement seiner Eltern konnte der Junge eine Schule besuchen und kam dort in Kontakt mit der Nachtschrift von Charles Barbier. Braille verbesserte das System der Schrift, um sie fürs schnellere Lesen und den Buchdruck zu vereinfachen.

Das Sechs-Punkt-System der Braille-Schrift beruht auf sechs erhabenen Punkten, die gut mit den Fingerspitzen ertastet werden können. Die Punkte sind im Rechteck mit je zwei Spalten und drei Zeilen angeordnet. Mit den 64 Kombinationsmöglichkeiten der Punkte können alle Buchstaben, einschließlich Sonderzeichen wie Fragezeichen etc., dargestellt werden, die sogenannte Grundform.

 Spalte 1Spalte 2
 Zeile 1Punkt 1Punkt 4
Zeile 2Punkt 2Punkt 5
Zeile 3Punkt 3Punkt 6
System der Punktverteilung nach Braille

Die Grundform teilt sich in sieben Gruppen.

Gruppe 1: Punkt 3 und 6 sind nicht vorhanden

Gruppe 2: Gruppe 1 plus Punkt 3

Gruppe 3: Gruppe 1 plus Punkt 3 und Punkt 6

Gruppe 4: Gruppe 1 plus Punkt 6

Gruppe 5: Die Punkte der Gruppe 1 werden um eine Zeile nach unten versetzt

Gruppe 6 und 7: die restlichen Zeichenmöglichkeiten

Der Ökonomie wegen gibt es keine Groß- und Kleinschreibung bzw. es muss ein Extrazeichen vor den Buchstaben gesetzt werden, um die Großschreibung anzuzeigen. Auch Zahlen oder Ziffern werden mit vorangestellten Zeichen kenntlich gemacht, genauso wie Satzzeichen und anderes im Schriftbild Nötige.

Ursprünglich war die Brailleschrift für Französisch entwickelt, doch schnell wurde klar, dass auch andere Sprachen sich damit schreiben lassen. Eine Voraussetzung dafür war die fehlenden Buchstaben anderer Alphabete in das Zeichensystem zu integrieren. Selbst das griechische und das kyrillische Alphabet konnten phonetisch angeglichen werden.  

Die Druckerzeugnisse in Brailleschrift sind wesentliche umfangreicher an Material als gewöhnlich. Das Papier ist dicker, nur einseitig bedruckt und braucht pro Bogen mehr Platz. Da stellt sich automatisch die Frage der Wirtschaftlichkeit und man muss sich nicht wundern, dass die Kosten für ein Buch in Braille viel höher liegen als für Standardbücher.

Um trotzdem die Drucke in Brailleschrift herzustellen, musste man sich Möglichkeiten zur Vereinfachung und Verkürzung erarbeiten. Das hat nicht nur den Vorteil, dass das Buch weniger Umfang hat, sondern auch das Lesen schneller wird.  Dafür bleibt das System grundsätzlich erhalten. Es gibt einzelne Buchstabe, die für ein einzelnes Wort stehen, dass sehr häufig vorkommt z.B. „u“ für „und“. Sehr viele Bücher in Deutschland sind in dieser sogenannten ‚Kurzschrift‘ verfasst, sodass Vielleser diese Schrift beherrschen müssen, wenn sie sich umfangreich belesen möchten. Die Zeichenkombinationen der Schrift sind sehr zahlreich, nur die einzelnen Buchstaben zu kennen, reicht bei Weitem nicht aus!

Louis Braille entwickelte aber nicht nur eine Schrift zum Lesen und Schreiben, sondern auch eine Notenschrift, die auf demselben System der sechs Punkte basiert. Dabei ist die Kodierung der Punkte an Note und Notenlänge angepasst. Andere Zeichen geben weitere Informationen wie Tempo, Oktaven oder sogar Akkorde an. Man muss aber bedenken, dass blinde bzw. sehbehinderte Musiker*innen während des Spielens die Noten nicht mit den Fingern lesen können, da sie die Hände ja zum Spielen brauchen. Es muss also vorher gelesen werden und dann aus dem Gedächtnis gespielt werden, egal welches Stück oder Instrument.

In unserem “sehenden” Alltag ist die Brailleschrift nur vereinzelt vertreten. Der eine oder andere hat sie sicher schon in Bahnhofsaufzügen, Treppengeländern oder in öffentlichen Gebäuden bemerkt. Das erleichtert die Orientierung und Selbstständigkeit der Menschen mit Sehbehinderungen. Schließlich will man nicht immer jemanden um Hilfe bitten müssen. Auch auf Medikamentenpackungen ist die Brailleschrift zu finden, manche (leider noch zu wenige) Restaurants haben ihre Menükarten in Braille. Wenn man mal darüber nachdenkt, wo wir Sehende überall Schrift finden und es für selbstverständlich halten, dass alles beschriftet wird, kann man sich leicht vorstellen, wie viel mehr Blindenschrift wir im öffentlichen Leben bräuchten.  

Als Sehender macht man sich kaum die Mühe die Brailleschrift zu erlernen. Sie lässt sich ja durchaus mit den Augen lesen. Denn Sehende tun sich mit dem Ertasten der Punkte viel schwerer, da unser visueller Sinn sehr dominant ist. Aber vielleicht kann ein Perspektivenwechsel zum Nachdenken anregen, der dazu führt, die Welt nicht nur mit den Augen zu begreifen.

Schließlich ist unser Tastsinn der erste, der sich embryonal entwickelt. Das zeigt doch eindeutig wie wichtig das Fühlen ist, nicht nur allgemein, sondern auch für die menschliche Kommunikation, zu der auch das Lesen und Schreiben gehört.

Quellen

Adam, Birgit. Das Buch der Blindenschrift. Marix-Verlag, Wiesbaden 2009

https://www.dbsv.org/

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